Schon mit seinen ganz ausgezeichneten letzten beiden Soloalben ´Between The Times And The Tides´ und ´Last Night On Earth´ hatte sich Lee Ranaldo erfolgreich aus dem übermächtig erscheinenden Schatten seiner früheren Sonic-Youth-Mitstreiter Thurston Moore und Kim Gordon gelöst, auf ´Electric Trim´ findet er nun neue klangliche Herausforderungen, ohne der betont songorientierten Ausrichtung der Vorgänger deshalb untreu zu werden.
Mit Unterstützung des spanischen Produzenten Raül „Refree“ Fernandez, der bei den Sessions in Hoboken und Barcelona engster Vertrauter Ranaldos war, entstanden neun spannende Lieder mit behutsam aufgeschichteten, oft sanft elektronisch umspülten Arrangements, bei denen der 61-jährige amerikanische Ausnahmegitarrist mit der herrlich sanften Stimme auch vor der Verwendung von für ihn eher ungewöhnlichen Instrumenten wie Marimba, Banjo oder Flügelhorn nicht zurückschreckte. Als Gäste lud er die Mitstreiter seiner alten Touring-Band The Dust um seinen Sonic-Youth-Kumpel Steve Shelley, Wilco-Gitarrist Nels Cline, Oneida-Drummer Kid Millions und Sharon Van Etten ein, die einem halben Dutzend Songs ihre wundervolle Stimme leiht. Für die Texte kollaborierte er dagegen mit dem befreundeten Schriftsteller Jonathan Lethem, Autor von ´Motherless Brooklyn´ oder ´Die Festung der Einsamkeit´: „Der Wunsch kam auf, weil ich nicht wollte, dass alle Ideen für die neuen Lieder meinem Gehirn entspringen. Ich wollte einfach eine neue Dynamik, eine neue Perspektive“, erklärt er die Arbeitsteilung beim Texten, als wir ihn daheim in New York erwischen.Wenn Ranaldo im WESTZEIT-Interview von seinem neuen Album schwärmt, es als eines der großartigsten Projekte bezeichnet, an denen er in seiner weit über 35 jährigen Karriere beteiligt gewesen ist, und ganz aufgekratzt davon berichtet, wie ihm die Aufnahmen produktionstechnisch ganz neue Türen geöffnet haben, dann klingt das im ersten Moment etwas seltsam. Schließlich war er als Mitbegründer von Sonic Youth für unzählige Indierocker drei Jahrzehnte lang das Maß aller Dinge in Sachen experimenteller Klangerzeugung. „Bei Sonic Youth ging es in erster Linie darum, den Sound des Zusammenspiels der Band einzufangen“, betont er. „Selbst wenn wir nicht gemeinsam im Studio aufgenommen haben, war das Ziel doch immer, das zu dokumentieren, was wir als Live-Band gemacht haben. Unsere Platten waren stets einigermaßen problemlos auf der Bühne umzusetzen.“ Die Aufnahmen zu ´Electric Trim´ beschreibt Ranaldo dagegen als fortwährenden Trial-and-Error-Prozess, bei dem es zu ergründen galt, was der jeweilige Song wollte oder brauchte. Gedanken an spätere Live-Umsetzungen blieben bei den bisweilen komplex strukturierten Aufnahmen außen vor. Nachdem Ranaldo mit der Akustikgitarre die Basis geschaffen hatte, galt das Motto: Alles kann, nichts muss. „Wir haben mit einer Menge elektronischer Beats und Samples begonnen und anschließend erst echte Musiker hinzugezogen. Dabei haben wir alle Parts als Rohmaterial betrachtet“, verrät er. „Die Arbeit war viel stärker auf die Studiotechnik fokussiert als alles, was Sonic Youth je gemacht haben.“
Mit ´Electric Trim´ setzte Ranaldo eine Idee um, die ihm schon lange im Kopf herumschwirrte. „Ich habe immer 60er-Jahre-Platten wie ´Revolver´, ´Sgt. Pepper´ oder ´Pet Sounds´ bewundert, bei denen die Bands die Möglichkeiten des Studios bis zum Letzten ausgeschöpft und sie als kreatives Werkzeug eingesetzt haben – nicht nur als Ort, um die Performance der Band zu dokumentieren“, verrät er. „Auf diese Art eine Platte zu machen, war schon immer mein Traum, und deshalb war das Ganze ein Riesenspaß für mich – vom ersten bis zum letzten Tag!“
Aktuelles Album: ´Electric Trim´(Mute/PIAS/Rough Trade)
Weitere Infos: www.leeranaldo.com Foto: Alex Rademakers