Es ist vielleicht etwas ungewöhnlich, anstatt Undergroundhelden oder alternativen Künstler(inne)n nun plötzlich den Gewinner einer Castingshow auf dem Westzeit-Titel zu sehen. Aber warum sollte man einen Menschen verurteilen, nur weil er eine Chance ergriffen hat, die sich ihm bot? Thomas Godoj ist definitiv kein Fall für die Schlagerparade, auch im Boulevard scheint er sich nicht wohl zu fühlen. Vielmehr ist es ihm eine Herzensangelegenheit, sich gegen Gewalt / Kindesmissbrauch zu engagieren...
Es stellt sich also die Frage: Wer / Wie ist Thomas Godoj wirklich? Somit ist dies ein Versuch, Antworten zu finden, ohne Vorurteilen zu erliegen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, beginnen wir die Suche in Rybnik, einem Ort in der Nähe von Kattowitz in Oberschlesien. Dort bestand in der Zeit zwischen 1818 und 1945 der preußisch-deutsche Landkreis Rybnik. In diesem Landstrich, der heute zur Republik Polen gehört, wurde Godoj am 06. März 1978 geboren. Als fast achtjähriger Junge siedelte er 1986 mit seiner Familie nach Recklinghausen um. „Polnisch ist meine Muttersprache“, sagt Godoj, „doch Deutsch ist es ebenso.“Keine Überraschung also, dass sich auf dem zweiten Godoj-Album „Richtung G“ neun Lieder mit deutschen Texten befinden. Doch mit "Zwykla Milosc" erklingt eben auch ein Titel in der polnischen Muttersprache.
„Auf der Tour zu ´Plan A´ habe ich einen Coversong von einer in Polen sehr bekannten Band gespielt. Da ich der Sprache mächtig bin, habe ich mir gedacht, nehme ich auch einmal einen Song in Polnisch auf. ´´Zwykla Milosc heißt ´Pure Liebe´, und ist wie ein Märchen mit Vagabund & Prinzessin. Es handelt von einem Musiker, der ein Vagabundenleben führt. Er will seiner Liebsten natürlich das Beste bieten. Das ist nicht immer einfach, besonders, wenn die Finanzen noch nicht so möchten...“
Inwieweit autobiographische Züge verarbeitet wurden, war kein Thema. Godoj selbst stand in seiner nahezu zehnjährigen Karriere als Musiker auch bereits einmal mit Hartz IV da.
„Mein Studium hab´ ich in den Sand gesetzt, irgendwann musste ich mich halt entscheiden, welchen Weg ich gehen möchte. Ich habe mich für die Musik entschieden, war mit meiner letzten Gruppe Wink bereits einmal kurz vor einem Plattenvertrag.“
Godoj hatte als Jugendlicher bereits mit Leuten abgehangen, die 7-9 Jahre älter waren als er. Die in einer Band spielten. In deren Proberäumen er sich inspirieren und von der Musik infizieren ließ.
„Ich habe mich immer schon sehr viel für Musik interessiert, für Rock´n´Roll und Festivals. War beim Dynamo-Festival in Eindhoven, beim Rock am Ring. Ich wollte auch eine Band haben, bin angefangen, Schlagzeug zu spielen. Irgendwann bin ich auf den Gesang gekommen, habe 2000 meine erste Formation (englischsprachig) gegründet. Wir haben einen Newcomer-Wettbewerb gewonnen. Später kooperierten wir mit einer Firma aus Frankfurt – die hat auch Wink produziert. Zu dem Zeitpunkt musste ich mich entscheiden, was ich machen möchte.“
Godoj konnte damit zwar nicht seinen Lebensunterhalt bestreiten, aber er sammelte Erfahrungen. Beim Dynamo-Festival begeisterten ihn Hardrock-Metal-Acts wie Life Of Agony, Type O Negative, Tiamat, Biohazard, persönlich startete er jedoch mit Melodic Rock.
„Mit meiner zweiten Band habe ich Nu Metal gemacht. Dadurch fing ich an, Deutsch zu singen.“
Irgendwann kam dann die „Casting-Geschichte“. Godoj gewann 2008 den Wettbewerb ´Deutschland sucht den Superstar´. Nun musste alles sehr schnell gehen. Das Debutalbum „Plan A“ entstand, „...ohne das ich da allzu viel Hand angelegt hatte. Außer meiner Stimme habe ich nichts dazu beigetragen.“ Godoj war unzufrieden.
„Kurz nach der `Casting-Geschichte´ habe ich mich von meinem Management getrennt. Ich habe eine andere Ansicht gehabt, wollte eine andere Philosophie fahren!“
´DSDS´-Teilnehmer haben ab einer bestimmten Platzierung eine Vertragsbindung, die sie scheinbar nicht so einfach auflösen können.
„Wenn man in die Top 15 gekommen ist, dann musste man so ein ´Ding´ unterschreiben. Erstens einen Künstler-Exklusiv-Vertrag mit der Plattenfirma Sony. Der ist meines Erachtens schon okay. Da kann man nicht meckern. Das ist super. Die Zusammenarbeit funktioniert auch sehr gut. Zweitens halt einen Managementvertrag. Und...äh...ja...da werden einem die Sachen aufs Auge gedrückt. Für mich war klar, dass ich ein anderes Management benötige.“
Wie er genau aus dem Vertrag herauskam, sagt der Musiker nicht, sondern lacht.
„Hab´ gekündigt, aber vorher mit dem alten Management gesprochen... Das musste man über Anwälte klären, um sich zu einigen...“ Mittlerweile managt Thomas Godoj sich selbst.
Godoj findet nicht nur Antworten. Er hinterfragt auch. „Wie gefällt Dir das neue Album überhaupt?“ Er nimmt zur Kenntnis, dass der Autor dieser Zeilen nicht primär den ´Casting-Star´ aus der Musik heraushört, sondern eher Parallelen zu real gewachsenen Acts wie Revolverheld empfindet.
„Ich sehe das zwar nicht so, aber ich kann damit leben. Man wird ja häufig in eine Schublade gepackt.“
Aus der Schublade heraus in den Koffer hat Godoj dann erst einmal seine Sachen gepackt, um die nunmehr auf „Richtung G“ veröffentlichten Songs zu erarbeiten.
„Wir hatten drei Tage ein Songwriter-Meeting in Berlin. Danach habe ich die Leute extra noch einmal besucht, um die Titel zu Ende zu bringen. Zum einen war da Christian Bömkes, mein langjähriger Kumpel - wir haben lange in einer Band gespielt, dann René Lipps, Aki Bosse, Boris Pillmann, Tom Albrecht und Michel Van Dyke. Ich habe Themen vorgegeben, über die ich schreiben wollte, und drauflos gearbeitet. Mit Bosse habe ich mich auf Anhieb super verstanden – wie eigentlich mit allen, die ich ins Boot geholt hatte, wir schrieben zusammen die Single ´Nicht Allein´.“
Ein anderer Track wurde mit „Starschnitt“ betitelt.
„Dieser Song ist die Antwort auf die Frage, die mir Journalisten im letzten Jahr immer wieder gestellt haben - ´Thomas, wie fühlt man sich als Star´? Man sitzt sozusagen in einem Flugzeug, kann es aber nicht selbst fliegen, weiß nicht, wo es hingeht. Man kann an seiner Musik arbeiten, Texten, und dann schauen, ob die Leute es mögen. Es gibt kein Rezept. Ich bin mit dem neuen Album absolut zufrieden, bin sehr stolz darauf, dass ich die Starts geschafft habe, an den Stücken mitgeschrieben habe. Hier steckt Leidenschaft, mehr Herz drin. Mehr Thomas Godoj halt.“
Zitat: „... und die Welle reißt mich mit, komm wir geh´n und Leben für den Augenblick. Diese Welt ist so verrückt, doch was passiert, wenn sie mich irgendwann zum Teufel schickt? Starschnitt – Star und Schnitt...“
Das Cover von „Richtung G“ unterstreicht diese Thematik, aber auch andere Lebensentwürfe, noch zusätzlich“. „Es zeigt einen modernen Kompass mit Labyrinth – man sucht sich den eigenen Weg im Leben!”
Die Vollendung der Quadratur des Kreises gelingt Godoj mit dem sehr emotionellen Lied über „Winterkinder“.
„Der Song hat einen krassen Text! Es gibt ihn seit fünf Jahren. Wir haben ´Winterkinder´ bereits lange vor der Casting-Show mit meiner letzten Band Wink gespielt. Das Lied liegt mir sehr am Herzen! Es geht um Kindesmissbrauch. Ein sehr aktuelles Thema. Immer! Immer wieder! Es gibt Schlagzeilen, im Fernsehen... Schlagzeilen kommen, und gehen. Mit Musik kann man das verewigen!“
Wie auch die Freundschaft – in Godoj´s aktueller Begleitband spielen einige alte Kumpels der im Text bereits mehrfach erwähnten Gruppe Wink. Live wird es – neben den neuen Songs von „Richtung G“ und älteren Titeln vom Solo-Debut „Plan A“ – gar alte Titel von Wink zu hören geben. Unerhört für einen ´DSDS´-Sieger, oder?
Aktuelles Album: Richtung G (Columbia / Sony Music)
Weitere Infos: www.thomasgodoj.de Foto: Andreas