Vergleicht man das, was Mardi Gras BB. auf ihrer immerhin schon achten CD machen mit dem, was die „deutsche Blaskapelle“ zu Anfang auszeichnete, so kann man im besten Sinne eine konsequente Weiterentwicklung ebenso beobachten, wie eine klare konzeptionelle Linie. Das neue Werk ähnelt dabei dem poppigeren Vorgänger „Exile Itch“ und geht noch einen Schritt weiter:
Nachdem einer der beiden „Stehtrommler“, Erwin Ditzner die Band Ende letzten Jahres verließ, bot sich eine Neuausrichtung an, die dazu führte, das es auf dem neuen Album also erstmals auch offiziell eine „straighte“ Rhythmusgruppe zu hören gibt – mit klassischem Drumkit und E-Bass anstelle des Sousaphons. Aber wie gesagt: nicht um den Preis des Verleugnens: Der klassische Reverend bleibt uns erhalten, wie uns Mastermind Doc Wenz erklärt:„Live ist das etwas Anderes: Der Reverend mit seinem Sousaphon, das ist eine Silhouette, die für unsere Fans zu einer Art 'Ikone' geworden ist. Ein Symbol für MG.BB.“, erklärt Doc die neue Situation, „daher haben wir das Bühnenprogramm in zwei Teile geteilt. Das Sousaphon kommt hier also immer noch vor. Aber die rockigeren Titel des neuen Albums wären so nicht spielbar. daher gibt es jetzt auch auf der Bühne den E-Bass. Was dem Reverend im übrigen gut tut: Ich habe ihn kürzlich bei völlig neuen Tanzschritten erwischt.“
Davon abgesehen, sind es auch dieses Mal weniger die Tanz-Grooves, sondern die Songs und die geradezu klassischen Gitarrenpop-Arrangements, bei denen die Bläser zwar nach wie vor wichtiger Bestandteil, aber nicht mehr alleiniger Angelpunkt sind, die im Zentrum stehen. Was war denn dieses Mal das Wichtige/Aufregende/Konzeptionelle?
„Eigentlich wollte ich mich gerade dieses Mal vom ewigen Konzeptdenken frei machen“, gesteht Doc, „und erstmals bei MG.BB einfach darauf los komponieren. Gleichzeitig gab es aber auch die Umbesetzung in der Live-Rhythmusgruppe von Sousaphon und Second-Line-Drumming zu E-Bass und Drumkit. dem musste ich kompositorisch schon Rechnung tragen. So entstand dann doch wieder ein 'Roter Faden'. Ich habe mich beim komponieren an meinen frühen Einflüssen orientiert: Elvis Costello, The Clash, Nick Lowe. Daher sind auch die Beats und Gitarren straighter und härter.“
Das erste richtige Stück heißt ja „Child Of Pop“ - ist das momentan so etwas wie eine Leitlinie oder ein Thema?
„Die Bläser im Refrain sind schon ungewohnt 'muskulös', dafür wird es dann in der Outro arabesk-spielerisch, das gefällt mir mit am besten. Der Titel 'Child Of Pop' entstand nachträglich. Der Song beschreibt scherzhaft die Entwicklung der Popmusik zwischen 1960 und Punk und hatte zunächst einen anderen Namen. Grundsätzlich könnte man ihn aber sehr wohl als 'Überschrift' benutzen: 'My Private Hadron' ist näher am Pop (in seinem positiven Wortsinn) als frühere Alben.“
Was hat es denn mit dem Titel auf sich? Muss man jetzt studiert sein, wenn man Mardi Gras genießen möchte?
„Um Gottes willen!“ empört sich Doc, „nein, man muss nicht studiert haben um an unserer Musik Anteil zu nehmen. Im Gegenteil, das neue Album ist zumindest musikalisch ja eher etwas kerniger, allgemein verständlicher. Hadronen sind kleine Teilchen aus der Quantenphysik die sich durch ungewöhnliche energetische Unruhe und Instabilität auszeichnen. Unser Produzent, Gordon Friedrich, hatte diese Idee, da er sich ständig fragt, was denn mein Motor für einen so mächtigen Output (8 Alben in nur 9 Jahren) sein könnte. Da las er diesen Artikel und kam auf die Antwort: Ich habe Hadronen im Hirn! Oder im Hintern - oder wo auch immer. Poetisch gesprochen: Ein Moment der Unruhe, das einen zwingt kreativ zu sein. Aber vielleicht auch das, was jeden von uns immer weiter machen lässt, ob wir nun wollen oder nicht.“
Es wird schon deutlich: Mardi Gras BB. haben uns noch einiges zu sagen. Was mal als Schnapsidee begann, ist – fernab jedweder marketingtechnisch gelenkter Kommerzialität - zu einer echten Institution geworden. Schön, das es heutzutage so etwas überhaupt noch gibt.
Aktuelles Album: My Private Hadron (Hazelwood / Indigo)