Nachdem die Pandemie wieder ordentlich angezogen hatte, fand die sechste Ausgabe des zunächst hoffnungsvoll geplanten Synästhesie-Festivals in der Berliner Kulturbrauerei als vermutlich letzte größere Party der Festival-Branche in diesem Jahr unter verschärften Hygiene-Bedingungen mit reduzierter Kapazität und 2G+ Regelung statt. Aber immerhin fand es statt. Dabei hatten die rührigen Macher um 8mm-Musik-Labelchef, Gin-Brauer und Musik-Impresario Alex Renzi sozusagen Glück im Unglück, dass etliche der angekündigten Acts direkt aus Berlin stammten, oder Verbindungen zur Hauptstadt mitbrachten. Das ursprünglich als Krautrock-Festival gestartete Projekt machte dabei in diesem Jahr seinem Namen „Synästhesie“ im übertragenen Sinne alle Ehre, da die stilistische Vielfalt der performenden Acts nun wirklich jegliche Sinneseindrücke und Genre-Kategorien sprengte. Der einzige „richtige“ Krautrock-Act war dann auch das Ensemble Faust, das seine vierte LP von 1973 in einer runderneuerten Form komplett live präsentierte – und zwar ergänzt um ein Streicherensemble und nicht zuletzt um Musiker aus drei Generationen, wie Faust-Urgestein Jean-Hervé Péron ganz richtig erwähnte. Ansonsten bot das Festival auf drei bespielten Bühnen dann ein wirklich breit gefächertes Angebot zwischen Prog-, Post- und Indie-Rock, Psychedelia und Elektronika.
Oben: Brian Jonestown MassacreMitte: Anika / The KVB
Unten: A Place To Bury Strangers / Thala
Das RambaZamba-Theater wurde dabei am ersten Tag zur Showcase-Bühne für die Acts Shybits, Emerson Snow und Laura Lee & The Jettes (mit einer Art inoffizieller Record-Release-Party ihres Debütalbums „Wasteland“) des Berliner Duchess Box Labels und am zweiten Tag in gleicher Eigenschaft mit Acts wie Death By Audio, The Pleasure Majenta und dem zur Zeit heißesten Trash-Rock-Trio Jealous für das Dedstrange-Label. Obwohl die Kapazitäten ja bewusst reduziert worden war, gab es dann im Folgenden keine Einlassbeschränkungen, was im kleinen Maschinenhaus-Club schnell dazu führte, dass dort ein für diese Zeiten schnell ein beängstigendes Gedrängel herrschte, als dort angesagte Acts wie die Italienische Psychedelia-Band New Candys oder die südafrikanische Wahlberlinerin Lucy Kruger mit ihrem erweiterten Medicine Boys-Band erste Kostproben mit überraschend rockigem Material eines bereits fertiggestellten, aber noch nicht veröffentlichten Albums gab, dass Lucy selbst als „zornige Scheibe“ bezeichnet.
Die größte Bühne – das Kesselhaus – war dann logischerweise den größeren Namen zusortiert. Am ersten Tag waren das Faust, die dann mit Hippe-Rock unterhielten, das Wall-Of-Sound-Rocktrio A Place To Bury Strangers, dass mit seiner brillanten Alptraum-Show – inklusive Jam Session aus dem Publikum und einer Akustik-Session am Bühnenrand – nun wirklich neugierig auf ihr im nächsten Jahr erscheinendes (übrigens erstaunlich songorientiertes) Album „See Through You“ machte, und – wegen diverser Absagen und demzufolge bedingter Programmumschichtungen – das als kurzfristiges Überraschungs-Ensemble hinzugefügt Brian Jonestown Massacre. Am zweiten Abend übernahmen die Headliner-Funktion das aus Nick Wood und Kat Day bestehende Darkwave-Duo The KVB, das zwar nur zwei Tracks aus ihrer inzwischen erschienenen neuen LP „Unity“ spielte, dafür aber mit viel Druck und Feedback auch die älteren Tracks aus ihrem Programm clubtauglich aufbohrten und dem Publikum ordentlich einheizten sowie schließlich das Math-Prog-Trio Beak>, das sein stacheliges Fusion-Artrock-Set schießlich ganz ohne Bühnen-Show präsentierte, dafür aber mit dauernden Frotzeleien zwischen Projektgründer Geoff Barrow und seinen Kumpels Matt Williams und Billy Fuller Akzente setzte. Das „Vorprogramm“ im Kesselhaus ging dann an jüngere Acts wie das Damen-Trio Automatic, die ebenfalls auf dem Duchess Box Label beheimatete Songwriterin Thala, die mit psychedelisch motiviertem Gitarren-Pop und -Rock zeigte, wo die nächste Indie-Ikone zu suchen ist und nicht zuletzt die seit langer Zeit in Berlin lebende und arbeitende Indie-Musikerin Anika, die vor ca. 10 Jahren über den Umweg einer Kollaboration mit Geoff Barrow zu ihrer Musiker-Karriere gelangt war und nun ihre aktuelle, selbstbetitelte Solo-LP mit einer kompletten Band im Vorfeld einer größeren geplanten (aber inzwischen schon wieder teilweise abgesagten) Wintertour mit schüchterner Zurückhaltung aber nicht ohne performerische Eleganz dem Publikum präsentierte.
Unterhaltungstechnisch und was die musikalische Qualität betraf, darf das Synästhesie-Festival 2021 ohne Frage als voller Erfolg gewertet werden. Wenn das Festival im nächsten Jahr – wie geplant – dann allerdings tatsächlich wieder ohne Einschränkungen stattfinden sollte, dann sollte man vielleicht noch über eine Entzerrung des Programms nachdenken, denn viele Shows fanden nahezu zeitgleich statt.
https://www.youtube.com/watch?v=CyiZnLfMZsc