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DANIEL DE ROULET

Ein Sonntag in den Bergen

(Limmat, 126 S., 26,00 Euro)

Schon als diese mit "Ein Bericht" untertitelte kleine Erzählung im März 2006 zum ersten Mal erschien, war das dort Berichtete aus juristischer Sicht längst verjährt. Es geht hier nämlich um Brandstiftung in jenem ansehnlichen Berghäuschen, das sich Axel Springer Ende der 60er auf einen Alpengipfel im Berner Oberland, direkt über dem Nobel-Ferienort Gstaad setzen ließ. Das hübsche (aber leer stehende) Chalet brannte am 7. Januar 1975 komplett nieder - wie 1 ½ Jahre zuvor schon Springers "Klenderhof" auf Sylt. Die Täter konnten bei beiden Bränden seinerzeit nicht ermittelt werden - bis sich der inzwischen zu einem so anerkannten wie streitbaren Autoren gereifte Schweizer de Roulet dazu bekannte, gemeinsam mit seiner damaligen Freundin die nach Hitlers "Führersperrgebiet Obersalzberg" benannte "Operation Berchtesgaden" durchgezogen zu haben. Mit dem Sylter Vorfall hat er aber nichts zu tun - auch wenn sowohl die Polizei wie auch Springer selbst überzeugt waren, dass die gleichen Täter dahinter stecken mussten. "Herr Springer, ich weiß nicht einmal, wo Sylt liegt.", beteuert de Roulet in seiner Beichte. Der Vietnamkrieg hatte den frischgebackenen Studenten radikalisiert - den US-Napalmbomben musste im allgemeinen "Zorn auf die Weltlage" etwas entgegengesetzt werden, selbst in der betulichen Schweiz: "Die wenigen Schweizer, die in den Untergrund gingen, waren dort auf eher sanfte Weise aktiv. Unserer Polizei fiel auf, dass die Terroristen nur am Wochenende zuschlugen; unter der Woche verdienten sie ihren Lebensunterhalt. (...) Im bewaffneten Kampf gegen den Eidgenössischen Staat blieben wir ein Muster an Legalismus." Die Brandstiftung war aber auch ein Akt der Verliebtheit, des erotisch konnotierten Aktionismus – denn: "Sie fand mich zu zögerlich, warf mir vor, ich hielte Sonntagsreden und trüge nichts dazu bei, unsere prachtvollen Berge von den Mistkerlen zu säubern, die sich dort verkrochen." Sowas ist schon ein starker Ansporn, weshalb de Roulet noch heute grübelt: "Wäre das eine Erklärung?" Und so wurde in dem Nobelhotel, in dem er mit seiner Begleiterin aus Gründen der Konspiration absteigt, wird nicht nur das BrandstiftungsEquipment gepackt, sondern auch nach Kräften geliebt (und nebenbei einer werdenden Mutter moralischer (Hochstapler)Beistand gewehrt). In gekonnt gesetzten Worten erzählt de Roulet von dem jungen Wütenden, der er einst war. Springer war für den Revoluzzer ein beinahe banales Ziel: "Mir dagegen fiel es nicht schwer, ihn als Verantwortlichen für all das hinzustellen, was uns in Deutschland an die Nazizeit erinnerte. (…) In unseren Augen kündigte die Stammheimer Haftanstalt ein neues Auschwitz an." Dass Springer selbst nie Nazi war, wurde de Roulet erst später klar - damit kamen auch Zweifel, ob das Vorgehen gegen sein Haus denn richtig war. Die kulminierten August 2003 bei einem Bankett, an dem auch der damalige Bundeskanzler Schröder teilnahm und dort bemerkte: "Ich weiß nicht, ob es Ihnen so geht wie mir, Tag für Tag bekämpfe ich das, wofür ich mich als junger Mensch engagiert habe." Und weil Anfang 2005 die ehemals Angebetete (die inzwischen zu einer "wohlhabende(n) Geschäftsfrau geworden" war) einem Krebsleiden erlag ("nachdem sie genau am dreißigsten Jahrestag unserer Straftat ins Krankenhaus eingeliefert worden ist"), war er frei und bereit, sein beim letzten Treffen gegebenes Versprechen einzulösen und die zwischenzeitlich zu Papier gebrachten Erinnerungen an die Tat zu veröffentlichen. Mit der abgesprochenen und autorisierten Widmung "Im Gedenken an eine Jugendliebe". Und ganz nebenbei nimmt er damit auch einen Fluch von der nahe Gstaad gelegenen Gemeinde Rougemont, deren Einwohner sich aufgrund eines Missverständnisses jahrelang gegenseitig als Brandstifter verdächtigt hatten. Der Text ist voller Zärtlichkeit, voller Verständnis für die Wut der Jugend, zugleich aber auch voller (Selbst)Kritik und (Selbst)Befragung. Er ist ein Entschuldigungsbrief und zugleich auch eine Verteidigungsrede - er ist ehrlich, ohne selbstverleugnend zu sein. Und insofern immer wieder lesenswert.
Weitere Infos: www.limmatverlag.ch/programm/titel/975-ein-sonntag-in-den-bergen.html


März 2025
CECY ROBSON
DANIEL DE ROULET
Dr. UWE BASSET
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