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SVEND ÅGE MADSEN

Lüste & Leichen

(März, 168 S., 22,00 Euro)

Von dänischer Literatur weiß ich wenig bis nichts, deshalb war mir auch Madsen, der als "meistgelesener dänischer Autor unserer Tage" gilt, bisher kein Begriff. Und das, wo sein von Horst Schröder kunstvoll übersetzter Roman "Liget og lystem" schon 1968 in Kopenhagen und 1969 erstmal auf Deutsch bei März erschien. Egal, wenn ein Buch als "Kriminalroman, Liebesgeschichte, Pornografie und Science-Fiction in einem Roman!" und sein Autor als "unterhaltungsavantgardistisch" charakterisiert werden, bin ich dabei. Und tatsächlich, in einer durch ungewöhnlichsten Satzbau und skurrile Wortwahl zunächst schwer zugänglichen, dann aber unglaublich packenden Parallelwelt scheinen nicht nur zwei Sonnen auf die Protagonisten, nein, es werden auch ständig neue Leichen unter der Lostbank am schattenspendenden Straßenbaum hervorgezogen (ist "Lost" ein dänisches Spiel? Eine Madsen-Erfindung? Oder eine Botschaft des mysteriösen RiesenFernrohrAuges?). Ein gewisser "B.R." versucht, den für die von einem Messer herrührenden Löcher in den Toten Verantwortlichen zu finden, die schöne Isabel lässt ihr Haar und ihre Brüste wippen und wogen und am Stand der Melonenfrau kauft ein seltsamer grauhaariger Herr ein ("In der anderen Hand hält er sein Enkelkind.") - was mit der Geschichte aber (wie im Grunde alles in diesem Text) eigentlich gar nichts zu tun hat. Die Helden tragen so großartige Namen wie Hinke Nachtertag (was anscheinend ein Mann UND eine Frau ist bzw. sind), Finder, Chabi, Gunhilde mit dem Knopf, Hanne oder Tolb, die Häuser an der Straße in der sich das Ganze abspielt, bewegen sich zumeist fast gar nicht (und wenn doch, dann nur ein klein wenig), man hat gern einen Krug dabei (Warum? Warum nicht?), es gibt einige deftige SexSzenen und viele Stellen, wo Sätze sich verknoten und Wörter wild wirbeln – hier ein kleines SoundBeispiel: "Hinkes Körper sitzt neben dem Isabels. Dieser versucht, sich über den Fund der Leiche zu ereifern. Ihre Augen sehen, dass Chabi und Hanne neben dem Stand der Melonenfrau hervortauchen. Als Finder auf den Platz heraustritt, sieht er, dass Hanne und Chabi auf den Platz heraustreten und sehen, dass er auf den Platz heraustritt und sie sieht. Er geht auf Isabel und Hinke zu, um zu ihnen hinzugelangen." Das hat was von Pynchon und Brautigam, von amerikanischem underground und postmodern-theoretischer Literatur, ist ebenso sicher im Rhythmusgefühl (das Crescendo am Schluß ist beinahe körperlich erfahrbar) wie in der Wortschöpfung und -verdrehung, verwirrt höchst angenehm und ist auch gänzlich nüchtern grandioser Lesestoff. Für mich eine ganz große, wenn auch späte Entdeckung, dieser Svend Åge Madsen.
Weitere Infos: www.maerzverlag.de/shop/buecher/literatur/lueste-und-leichen


April 2023
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