(Moloko Print, 246 S., 24,00 Euro)
"Zur Geschichte des Kunsthauses Tacheles in Berlin" steht auf dem aus einer Architekturzeichnung und einem verschwommenen Foto gestalteten Cover. Su Tiqqun ist eine der Frauen, die das Tacheles über einen langen Zeitraum begleiteten, jener Ruine, die im Februar 1990 gemeinsam mit dem von Leo Kondeyne aus Leuten von Freygang, Ich-Funktion, Feeling B, Herbst In Peking und Die Firma gebildeten Bandhaufen Tacheles und Künstlern wie Clemens Wallrodt und Thomas Sojka (aka. TOMBO, mit dem grandiosen LebensMotto: "Ich bin freischaffender Philosoph und Künstler und zeitweise Hochbauingenieur.") die Kaufhausruine in Berlin Mitte (Oranienburger Ecke Friedrichstraße) vor der unmittelbar bevorstehenden endgültigen Sprengung bewahrt wurde. Aus dem Enthusiasmus der Anfangstage wird sehr schnell genervte AlltagsAggressivität, weil bald Leute einziehen, die weniger an träumerischen Utopien als an PseudoProvokation, Radikalität und durchaus auch an Geld interessiert sind (Tiqqun nennt sie an einer Stelle sehr treffend "Land- und Goldsucher"). So entstehen Fronten zwischen den Aktivisten, manifestiert in Kleinkriegen um die Zuteilung von (ohnehin meist geklautem) Strom oder ausstehende (Miet)Beiträge. Aber das Haus-eigene Café "Zapata" pays the bills, tödliche Unfälle und verzweifelte Selbstmorde trüben die scheinbare(!) SuperStimmung jeweils nur kurz. In der vierten Etage regiert WestBerliner Überheblichkeit und Auskennertum, in der dritten Thüringer MalAnarchismus in eher weltentrückter Ausprägung ("die Punk-Cobra aus Erfurt"). Als Mitte der 90er der Frauenanteil rapide wächst, wird es für diese trotzdem nicht leichter: "protestantischer Tugendterror" (Etage 3) und "katholische Geilheit" (in der vierten) prallen aufeinander. "Für Frauen waren beide Prägungen schwierig. Keine hat es lange in ihrem Atelierbereich ausgehalten. In den Etagen souverän bleiben, hieß: sich liieren oder gehen. Allround-Putzi oder Madonna am Kreuz. Wem das zu spezifisch war, die ging weg oder ins Büro." Und so verschwindet die Utopie, mit finanzkräftigen Investoren (Mitte der 90er konnten man die Schweden von Skanska noch gemeinsam vergraulen, den materiellen Verlockungen der Fundus-Gruppe war man dann nicht mehr gewachsen) wird aus (Pseudo)Untergrund nun endgültig gentrifizierter Kommerz. Trotz grandiosen Konzerten (von John Zorn und Elliot Sharp bis Vágtázó Halottkémek und Test Department) und abgedrehten Off-Theater-Inszenierungen (z.B. von Il Gran Teatro Amaro und RA.M.M.), frühen Rammstein-Pyro-Shows, abseitigen ZirkusExperimenten und geklauten MIGs als UntergangsDeko – ich hatte in diesem Haus immer ein irgendwie ungutes Gefühl, vielleicht gibt es doch sowas wie eine Aura? Ach ja, gleich zu Beginn schildert Su Tiqqun ihre Begegnung mit einem Granden der ostdeutschen UntergrundLyrik: "Matthias" BAADER Holst (der stirbt am 30.06.90, symbolträchtig am Vorabend der Währungsunion, an den Folgen eines Straßenbahnunfalls und kann/muss so das Tacheles in seiner Größe und Tragik nicht miterleben). Allein dieses Wieder-ins-Gedächtnis-Rufen ist das Lesen dieses Buchs wert, ebenso die hier (leider viel zu klein) reproduzierten Tacheles-Plakate und Fotos. Und die auch sprachlich sehr gelungene, dichte, zuweilen redundante, aber niemals langweilige Schilderung der Geschehnisse aus der Perspektive einer (gleichsam Un-)Beteiligten erst recht.Weitere Infos: www.molokoplusrecords.de