Wem 16 Horsepower vielleicht zu dramatisch ist und Woven Hand (das Solo-Projekt von David Eugene Edwards) eher zu folkselig, der kann es ja mal mit Lilium versuchen. Die Lilien-Vision des charismatischen Pascal Humbert, seines Zeichens Bassist von 16 HP und seines grüblerischen Trommler-Kollegen Jean Yves Tola, begann zunächst mal als sparsame, düstere und rein instrumentale Fingerübung zwischen den "normalen" 16 HP-Veröffentlichungen. "Short Stories” heißt nun das zweite Elaborat des Duos nicht ganz unpassend. Denn es handelt sich dabei um eine Sammlung "richtiger" Songs, die – mit jeweils selbst geschriebenen Texten – von verschiedenen befreundeten Musikanten interpretiert werden.
Dazu gehören z.B. die Sängerin Kal Cahoone von der befreundeten Band Tarantella, Tom Barman von dEUS oder auch David E. Edwards. "Auf den Titel des Albums kamen wir erst später", erklärt Jean Yves, "als wir die Scheibe abmischten, realisierten wir, daß diese CD wie ein Buch mit Kurzgeschichten war. Der gemeinsame Nenner hierbei sind die verschiedenen Autoren der Songs, die ihre Geschichten erzählten. Jeder Schreiber erzählt eine andere Geschichte, aber ich denke, daß es hierbei um die Liebe geht – im weitesten Sinne." Im Gegensatz zur Mutterband, die ja doch sehr vom predigenden Gesang des David E. Edwards geprägt wird, präsentiert sich Lilium als eine Art offene Bühne, bei der jeder Beteiligte seine Sicht der Dinge einbringt. Ist das konzeptionell kein Problem? "Ehrlich gesagt, stelle ich mir niemals Fragen wie diese, bevor ich fertig bin.", blockt Jean Yves ab, "Wir machen das, von dem wir im Moment denken, daß es richtig ist. Dann entstehen erst Fragen. Wir waren sehr offen und ehrlich bezüglich des ganzen Projektes. Jeder wußte im voraus, auf was er sich einließ. Und ich denke auch, daß jeder mit dem Ergebnis zufrieden ist." War es denn nicht schwierig die doch recht verschiedenen Charaktere unter einen Hut zubekommen? "Nicht wirklich", meint Jean Yves, "wir haben das Kernstück jedes Stücks mit dem Bewußtsein geschaffen, daß es sich später beim Aufnehmen und Mixen ändern würde. Das mußten wir tun, da wir eine Menge verschiedener Leute angesprochen haben. Wir haben dann um ein Feedback und deren Vorstellungen gebeten und sind anschließend direkt mit jedem ins Studio gegangen und haben mit ihnen weiter am Song gearbeitet. Die Sänger hatten immer ihre eigenen Texte und wir haben uns dann alle zusammen bemüht, das Beste draus zu machen." Gibt es eigentlich einen besonderen Grund, warum die Musik Liliums – wie auch die der Mutterband – so düster und schwermütig ist? "Eigentlich nicht", räumt Jean Yves ein, "ich arbeite immer auf dieselbe Weise und das bedeutet, daß es keine Regeln gibt. Die Musik diktiert immer, was als nächstes passiert. Eine Sache führt zur anderen und wir tun, was immer notwendig erscheint. Es ist dann also wohl schlicht die Art von Musik, die wir momentan einfach gerne schreiben möchten." Das Lilium-Projekt scheint also weniger eine Alternative zu, als eine Ergänzung von 16 HP zu sein – auf jeden Fall aber läßt sich mit diesen zerbrechlichen, feinsinnig gesponnenen Songs ganz prächtig die Zeit bis zur nächsten 16 HP-Veröffentlichung überbrücken (jenen Aufnahmen, die ihnen damals den Plattenvertrag bei der Industrie bescherten), die für den Spätsommer angepeilt ist.