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IDA MAE

Im Auge des Sturms

IDA MAE

„Click Click Domino“ - das zweite Album des britischen Duos Ida Mae – war produktionsbedingt noch ein klassisches Pandemie-Album, bei dem Chris Turpin und Stephanie Ward erstmals mit Zoom-Sessions und produktionstechnischem Patchwork arbeiten mussten. Und das bei einem Projekt, bei dem es ursprünglich darum ging, sich dem Blues so weit wie möglich anzunähern. Dazu waren Chris und Stephanie schließlich eigens vom heimatlichen Bath nach Nashville gezogen, nachdem sie das Vorgänger-Projekt Kill It Kid an den Nagel gehängt und geheiratet hatten. In den USA reisten sie dann erstmal an die Geburts- und Wirkungsstätten des klassischen Blues und gingen mit Acts wie Willie Nelson, Marcus King, Greta Van Fleet oder Lucinda Williams auf Tour. Das nun vorliegende dritte Album „Thunder Above You“ sollte dann wieder live im Studio eingespielt werden.

„Ja – wir haben das Album vor ungefähr einem Jahr eingespielt“, berichtet Chris, „Stephanie war zu dieser Zeit schwanger und wir sind dann nach England zurückgekehrt, um das Album dort aufzunehmen, bevor unser Kind geboren wurde. Wir hatten von Anfang an vor, ein Album live zusammen aufzunehmen - aber wir wollten das typische Studio-Setting vermeiden, wo man sich wie in einem U-Boot fühlt und im Dunkeln aufnimmt. Also wollten wir uns selbst ein Studio aufbauen – mit der Ausrüstung, die wir im Laufe der Zeit angesammelt hatten. Ich konnte dann einen Freund eines Freundes eines Freundes davon überzeugen, uns dieses Haus, das wir uns ausgesucht hatten, zu diesem Zweck zu verwenden."

„Wir waren ja lange Zeit vorher in den USA unterwegs“, berichtet Stephanie, „wenn man auf diese Weise lange von zu Hause weg ist und dann dorthin zurückkehrt, erfährt man eine ganz neue Wertschätzung dessen, was dieses zu Hause ausmacht. Deswegen war es wichtig für uns, dieses Album im UK aufzunehmen. Da ich ja schwanger war, war das Ganze für mich geradezu wie eine Erdung.“"

Ist es das vielleicht auch, was Ida Mae in den Lyrics zum Ausdruck bringen wollen – eingedenk der Tatsache, dass sie ja keine klassischen Storyteller sind, sondern sich eher mit Bildern und Allegorien beschäftigen? Zusammengefasst erweckt das Album den Eindruck von Charakteren, die im Auge des Sturms für einander da sind.

„Wow – das ist schön“, meint Stephanie, „ich mag diese Interpretation."

Der Titel des Albums - „Thunder Above You“ - legt ja genau diese Interpretation nahe.

„Ja, ich denke wir waren im Zentrum eines intensiven Momentes unseres Lebens“, überlegt Chris, „das Album aufzunehmen war das letzte, was wir gemacht haben, bevor unser erstes Kind geboren wurde. Es gab da wirklich Augenblicke in denen wir uns fühlten, wie draußen auf der See zu sein. Wir waren ja bis zu dem Augenblick auch die ganze Zeit auf Tour gewesen. Also tauchten wir sehr tief ein in den Prozess der Aufnahmen."

„Ja, das Ganze hat sich angefühlt, als wären wir alle zusammen auf einer Insel im Sturm“, meint Stephanie zu dem Thema, „ich habe dann für alle gekocht und es war eine sehr intime Art des Aufnehmens. Alle fünf waren die ganze Zeit zusammen."

Neben Chris und Stephanie waren das noch der langjährige Partner Ethan Johns, der als Drummer aushalf, Bassist Nick Pini und Tontechniker Fraser Latimer.

Noch ein weiteres Thema zieht sich wie ein roter Faden durch das Album, denn in mindestens 5 der neuen Songs spielt das Wort „Regen“ eine tragende Rolle. „Das ist bizarr, richtig?“ fragt Chris, „das ist bei den ersten beiden Alben ähnlich. Ich bin auch nicht ganz sicher, woher das kommt. Es ist irgendwie sehr romantisch, denke ich. Das mag damit zusammenhängen, dass wir britisch sind und uns der Folklore und Folk-Sagen und -Texten verpflichtet fühlen. Da gibt es eine bestimmte Symbolik, die mit bestimmten Worten verbunden ist. Es gibt auch Vogel-Referenzen auf dem Album. Es gibt da nämlich bestimmte Worte mit einer tieferen Resonanz – und 'Regen' ist halt eines, das mit mir schwingt.“ „Regen war sogar das erste Wort, das Chris als Baby sagen konnte“, fügt Stephanie hinzu.

Mal anders herum gefragt: Hatten Ida Mae denn überhaupt ein Thema im Sinn, als sie das neue Album angingen?

„Normalerweise ist das für mich tatsächlich so“, bestätigt Chris, „zumindest bei den Projekten, die ich vorher bearbeitete hatte, hatte ich immer ein Ziel im Kopf und einen bestimmten Modus Operandi für Dinge, die ich ansprechen wollte. Bei Ida Mae geht es aber um die wilden Dinge, die um uns herum passieren und dann sind es die Songs, die Dich dazu führen, wie sie klingen, wie sie aufgenommen werden und wie sie repräsentiert werden wollen."

„Bei uns geht es mehr um ein bestimmtes Gefühl als um ein bestimmtes Thema“, ergänzt Stephanie. Es gibt dann eher ein Leit-Gefühl als ein Leit-Motiv."

Woher kommt denn die Vorliebe für britische Folk-Musik?

„Ich bin immer von britischen Folktraditionen inspiriert“, führt Chris aus, „ich mische sie halt mit Americana. Ich sehe beides aber als das Gleiche an. Es ist – besonders in der amerikanischen Musik – alles miteinander verflochten. Verschiedene kulturelle Elemente da historisch auseinanderzuhalten ist sehr schwierig, weil es sich da um einen schönen Schmelztiegel von so vielen verschiedenen Kulturen handelt. Ich denke aber, dass der größte Unterschied zwischen England und den USA das Touren ist. Denn hier, in den USA, gibt es eine ganze Kultur von und um Live-Shows, die es in Europa einfach nicht gibt. Es gibt hier die Tradition großartiger Musikalität für eine wirklich fesselnde Live-Performance. Wir haben unglaublich viel Zeit damit gebracht, uns die Bühnen mit Leuten wie Warren Haynes, Marcus King, den Wood Brothers, Willie Nelson oder Greta Von Fleet – um auch mal Jüngere zu erwähnen - zu teilen. Zu beobachten wie sich diese Acts musikalisch und performerisch organisieren und daran teilzuhaben, das war wirklich inspirierend – und das existiert nirgendwo sonst auf der Welt."

Wie ist denn Chris' Verhältnis zur britischen Folkmusik?

„Ich bin damit aufgewachsen“, berichtet er, „obwohl ich die amerikanische Musik damals noch wesentlich interessanter und aufregender fand – wie das typisch für britische Vorort-Kids zu sein scheint. Die Folk-Community ist aber eine interessante Gesellschaft, die ich heute aus der Ferne betrachte. Es gibt in der Folk-Welt mehr Verhaltensregeln als anderswo. Die Nick Drakes und John Martyns haben da gut vorgelegt. Ich habe während der Pandemie mit Martin Simpson gesprochen und John Smith ist heute ein guter Freund von mir. Ich kenne also viele Leute, die in dieser Richtung tätig sind und fühle mich bis heute von den altertümlichen Inhalten der Folk Musik angezogen. In der amerikanischen Musik tauchen ja dieselben Inhalte auf und sogar in der skandinavischen Folklore findet man sie. Ich bin fasziniert von diesem Destillationsprozess altertümlicher Inhalte, die sich über den Lauf der Zeiten gebildet hat. Das ist denn auch das, was ich in meinen Texten adressiere. Allerdings mehr was das Vokabular als die Inhalte betrifft. Was ich mag, ist dass Folksongs oft extrem düster und sogar brutal sein können. Ich haben nicht allzuviel in dieser Richtung zu bieten, aber gewisse Symboliken reizen mich dann schon. Ich spiele damit. 'Doing It For Badness' begann einmal als geradliniger Folksong, veränderte aber seine Form währen der Aufnahmen in eine ganz andere Richtung. 'Into Your River' war mehr geradlinig geschrieben und hatte weniger Swing als nun. Ich mag auch die Melodien des Folk – aber auch das Gitarrenspiel in der Art von Nick Drake oder Bert Jansch. Und Richard Thompson ist mein absoluter Gitarrenheld. Es gibt da einen Song namens 'Feel Your Love', der tatsächlich in der Tradition eines Richard & Linda Thompson Songs angelegt ist. Ich bin sehr inspiriert von Richard's Art mit seiner Gitarre Sounds wie Uellian Pipes zu emulieren. Da bin ich mehr an seinem Gitarrenspiel als an traditionellen britischen Folk-Elementen interessiert."

Weiß Chris eigentlich immer ganz genau, worüber er singt?

„Na ja, man hat immer eine bestimmte Vorstellung davon, worüber man singt“, formuliert er, „ob man das dem Zuhörer vermitteln kann, ist eine ganz andere Frage. Es gibt aber definitiv eine Richtung, in die ich gehen will. Andererseits ändert sich auch im Laufe der Zeit die eigene Sichtweise. Ich glaube es war David Gray der mal sagte, dass nach eine Woche, einem Monat oder einem Jahr später die Songs ein ganz andere Bedeutung annehmen können. Das mag ich aber, denn auf diese Weise führen Songs sozusagen ein Eigenleben. Mag also sein, dass gewisse Sachen in 5 oder 10 Jahren auch für mich ganz andere Sachen bedeuten als heute."

Andererseits sind Chris' Songs voller Spezifika.

„Ja – es gibt immer gewisse Eckpunkte oder Charaktere, auf die ich mich beziehe. Ich schreibe aber nie einen Song für jemanden bestimmten oder entwickele ihn um eine bestimme Idee herum, sondern es gibt immer die dichterische Freiheit. Ich bin kein konfessioneller Autor in der Tradition etwa von Joni Mitchell."

Wie liefen die Aufnahmen denn ab? War schon alles fertig, als es dann ins Studio ging?

„Also die Songs waren geschrieben und ziemlich fertig arrangiert“, führt Chris aus, „wir haben dann die Songs editiert, als wir ins Studio gegangen sind. Das macht man ja gemeinhin so, wenn man mit einer Band ins Studio geht. Aber bei Ethan Johns an den Drums und Nick Pini am Bass handelt es sich um so natürlich Musiker, dass es dumm wäre, denen zu sagen, was sie zu spielen hätten. Wir sind dann also mit den Songs ins Studio gegangen und was Du auf der Scheibe dann hörst, ist fast immer das erste Mal, dass wir sie gespielt haben. Wir haben viel dem Zufall überlassen und ich denke, das verleiht der Sache eine gewisse Frische. Nichts ist organisiert. Selbst während der Aufnahmen wussten wir nicht, wo die Sache hingehen würde. Nimm zum Beispiel 'Wild Flying Dove': Niemand der Beteiligten wusste, wo der Song hinführen würde. Das ist natürlich ein gewisses Risiko, das ich aber dann gerne eingehe."

Das führte natürlich dann auch zu Improvisationen mit einem gewissen Eigenleben, oder?

„Absolut“, bestätigt Chris, „Ethan musste uns zum Beispiel bei dem Song 'Into The River' erklären, dass wir gar nicht wüssten, wie gut er eigentlich ist, weil wir das Ganze einfach als Konversation der Musiker untereinander gesehen haben. Wir haben auch sehr leise gespielt – was man den Aufnahmen gar nicht so anhört – aber es war schon sehr intim mit viel Raum für Zwischentöne. Wir mussten uns da schon sehr aufeinander einlassen. Ich mag das sehr – hatte aber Bedenken, dass das Außenstehende so gar nicht wahrnehmen könnten. Umso besser, dass Du es aber offensichtlich tust."

Ging es dabei um eine bestimmte Ästhetik – oder um Klangexperimente? Immerhin gibt es ja zum Beispiel auch Synthesizer auf dem neuen Album zu hören.

„Ehrlich gesagt, haben wir uns ganz auf die Band verlassen“, verrät Chris, „wir hatten bestimmte Ideen und bestimmte Gitarrensounds und bestimmte Keyboards im Sinn. Nimm aber zum Beispiel 'Feel The World Turning' – das hat ja diese Daniel Lanois / Emmylou Harris / Wrecking Ball-Atmosphäre. Und Ethan kannte sich aus mit diesem Sound. Er hat eine bestimmte Energie, einen bestimmten Klang und eine bestimmte Atmosphäre verfolgt. Das war dann der Schlüssel-Moment für Vieles was folgte. Wir haben aber stets darauf geachtet, alles möglichst Live zu realisieren. 'My Wild Flying Dove' hat ein gewisses Neil Young-Feeling. Ich spielte eine große Gretsch Gitarre – und so haben wir das hinbekommen. Ich mag aber auch wirklich Synthesizer. Wir haben uns neulich in Deutschland einen Juno-Synthesizer gekauft und die akustischen Instrumente mit der Synthie-Energie zu kombinieren hat viel Spaß gemacht. So entstand dann der Sound."

Gleich nach der Veröffentlichung von Thunder Above You werden Ida Mae auf Tour gehen und im November dann auch einige Gastspiele in unseren Breiten absolvieren.

Aktuelles Album: Thunder Above You (Vow Road Records / The Orchard) VÖ: 06.10.


Weitere Infos: idamaemusic.com Foto: Dean Chalkley

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