„Mega Bog ist der Spitzname der Song-Träuflerin Erin Birgy, einem Rodeo-Kind aus dem pazifischen Nordwesten mit einem unverwechselbaren Lachen, das angeblich bei der Empfängnis verflucht wurde.“ So steht es zumindest auf der Website der Künstlerin, die zusammen mit ihrem Partner James Krivchenia (Big Thief) in Los Angeles lebt und auf ihren bislang 5 Alben ein unglaubliches Füllhorn an musikalischen Ideen ausgeschüttet hat – ohne sich dabei jemals einem bestimmten Format untergeordnet zu haben. Erin selbst bezeichnet ihr Projekt Mega Bog als „Jazzy-Prog-Rock-Band“ was aber nur ein etwas hilfloser Versuch ist, den Eklektizismus ihrer avantgardistischen musikalischen Bemühungen irgendwie einzugrenzen und zu beschreiben. Schon alleine deswegen überrascht es, dass ihr nun vorliegendes, sechstes Album im Vergleich zu den bisherigen Veröffentlichungen - zumindest musikalisch - deutlich geradliniger angelegt und in einem E-Pop-Setting angesiedelt ist, das angesichts von Erin's bewegter Geschichte in dieser Konsequenz nun wirklich nicht zu erwarten gewesen wäre.
Wie kam es denn zu der musikalischen Ausrichtung am New Wave- und E-Pop mit 80's Flair? „Nun eine der Limitierungen, die ich mir für dieses Projekt auerlegt habe, ist der Umstand, dass ich auf dem Klavier geschrieben habe anstatt auf der Gitarre“, erläutert Erin, „das war zu der Zeit für mich ungewohnt. Nun bin ich allerdings ganz gut. Ich hatte zuvor nur mit Gitarre und Stimme geschrieben, hatte aber das Vertrauen darin, dass ich es mit meiner Stimme schon rausreißen könnte, auch wenn das Klavier-Spiel zu der Zeit noch eher rudimentär war. Einfache, dumme, sinnliche Musik hat aber auch etwas für sich. Wenn man es konzentriert und gewisse Limitationen hat, dann kann man innerhalb dieser Grenzen alles Mögliche ausprobieren. Mich haben zu der Zeit ja alle möglichen Sachen aufgeregt – ich habe mir dann aber gesagt, dass ich ja nicht die ganze Zeit wütend sein müsse. Es gibt ja schließlich auch andere Arten der Musik, die mich in verschiedene Richtungen führen könnte, als komplizierte sexy Prog-Musik auf die ich mich ansonsten immer verlasse. Ich habe mir dann gesagt, dass ich mir keinen Jazz und kein Prog anhören wollte, sondern Haddaway und Bronski Beat oder Ozzy Osborne. Das ist Musik, die einfach, aber leidenschaftlich ist und die alles beinhaltet, was auch andere Leute inspiriert. Ich musste mich selbst befreien. Und ich fühle mich frei, wenn ich herumfahre und dabei aus vollem Halse 'What Is Love' von Haddaway singe. Musik ist großartig in dieser Hinsicht – aber das weißt Du ja offensichtlich selber."
Die neue Scheibe entstand während der Pandemie-Lockdowns in einer abgelegenen Hütte in New Mexico. Erin sagt, dass sie die neuen Songs an einem bestimmten Punkt einfach hatte schreiben müssen. Das hängt doch gewiss damit zusammen, dass sie ihre Musik in therapeutischer Hinsicht braucht, um ihr Leben zu verarbeiten, richtig?
„Ja, es ist für mich ein Verarbeitungsmechanismus“, bestätigt Erin, „es ist nämlich so, dass die Songs geschichtlich gesehen aus einem sehr düsteren Ort entspringen. Und ich kann diese Düsternis nicht ungefiltert auf die Welt loslassen ohne mich zuvor mit ihr ausgesöhnt zu haben. Der ganze Prozess einen Song zusammen mit Deinen engsten Freunden zu erkennen, einen Song zu formen und sich entwickeln zu lassen ist wichtig. Ich habe aber auf einigen der Songs zweieinhalb Jahre gesessen, bis sie gereift waren und ich ihre Bedeutung begreifen konnte und die benötigte Energie freisetzen konnte, die dann auch heilend wirken könnte. Denn das ist es, was ich möchte – eine positive Energie freizusetzen anstatt eines schrecklichen Szenarios, das seine eigene chaotische Wirkung auf die Welt haben würde. Das ist wichtig, weil ein Song sobald er draußen in der Welt ist, sein eigenes Leben entwickelt. Man muss die Songs wie eigenes Kind aufziehen. Ich denke, man kann den Start- und Endpunkt dieser Entwicklung dann auch erkennen."
Wie kommt es denn dann, dass die Scheibe auf der musikalischen Seite aufgrund der Hinwendung zur Dicso- und E-Pop-Ästhetik fast schon wieder optimistisch klingt?
„Na ich denke, dass Optimismus oft aus einer gewissen Hoffnungslosigkeit entspringt“, überlegt sie, „wenn man etwas akzeptiert, weil man es eh nicht ändern kann, dann eröffnet Dir das eine ganze Welt von Möglichkeiten. Man überlegt sich dann, worüber man noch die Kontrolle hat oder worauf der eigene Einfluss noch etwas bewirken kann. Wie kann man leben ohne einfach nur auf das Ende und den Tod zu warten? Es muss doch da etwas anderes geben. Wenn man also diese ganze Angst davor, dass die Welt in Brand geraten ist, loslässt – und die Welt ist ja nun mal in Brand geraten – dann kann man erkennen, dass man selber noch sicher ist und sich überlegen, was davon man teilen könnte. Und eine dieser Ebenen der Sicherheit ist für viele – und besonders für mich – die Musik. Meine Vorstellungskraft ist durch die Musik sehr stark gewachsen. Musik zu hören oder mit der Musik konfrontiert zu werden fühlt sich für mich sicher an. Ich konnte mir so ein Universum erschaffen – und sei es auch nur ein ausgedachtes oder utopisches – in dem ich gewisse Themen meiner Psyche in ein realistisches Szenario der Sicherheit und der Hoffnung integrieren konnte. Das ist es, was ich meine, wenn ich sage, dass die neuen Songs zwar aus einem Ort der Düsternis entspringen, aber durch einen langen Prozess der Überlegungen und der Analyse einen Zustand erreichen, der mir erlaubt, mich gut dabei zu fühlen, mich mitzuteilen. Ich schwafele hier ein bisschen herum – aber ich hoffe, Du weißt, was ich meine."
Was ist denn das höchste Ziel, das Erin mit ihrer Musik erreichen möchte? Was zeichnet gute Musik für sie aus?
„Wenn man erkennen kann, dass auf das wahre Selbst Rücksicht genommen wird“, überlegt sie, „wenn dieses Gefühl irgendwie ansteckend ist, wenn es sich der Wahrheit verpflichtet fühlt, indem ein verletzliches, leidenschaftliches Ich präsentiert wird. Wenn ich Musik von anderen höre, die mit mir schwingt, dann kann ich die andere Person, die dieses Werk geschaffen hat, wirklich fühlen. Das inspiriert mich dann wieder, dieses wahre Ich meinerseits zu zeigen, in der Hoffnung, das es dann wieder auch andere inspiriert. Das Ziel ist zu zeigen, dass man stark und frei sein kann – auch in Umgebungen, die so etwas überhaupt nicht fördern. Sei authentisch und erforsche Deine Leidenschaften. Sei furchtlos. Es gibt auch die Möglichkeit, auf leise Art furchtlos zu sein. Nicht alles braucht mit der größten Lautstärke herausgebrüllt zu werden. Das habe ich mir immer gewünscht – war mir aber gar nicht bewusst, dass ich dessen fähig war, bevor ich mich bewusst dafür entschieden habe und mir erlaubt habe, die Musik zu machen, die ich liebe. Das hat dann eine ganze Weile gedauert – weil ich nicht so recht wusste wer ich war und erst herausfinden musste, was mich glücklich macht."
Aktuelles Album: End of Everything" (Mexican Summer / The Orchard, / Bertus) VÖ: 19.05.
Weitere Infos: https://megabog.com/ Foto: Amanda Jasnowski-Pascual