Stina Holmquist ist erst Anfang 20, aber das merkt man ihren wandlungsfähigen Songs nicht an. Mit offenen Augen fängt die Duisburger Sängerin, Pianistin und Songwriterin mit schwedischen Wurzeln in ihren Liedern ihre Gedanken zur sich immer schneller drehenden Welt ein und trifft dabei mit ihrem zeitlos-elegischen Indie-Pop immer den richtigen Ton, ganz egal, ob sie raffinierte Eingängigkeit oder melancholische Ruhe und Tiefgründigkeit in den Fokus rückt. Mit ihrer aktuellen Single ´In A Dress´ im Gepäck steht sie im April beim Rock-It-Festival in Moers, im Gdanska in Oberhausen und im Schwarzen Adler in Rheinberg auf der Bühne, und auch für den Rest des Sommers hat sie live noch viel vor.
Ein wenig scheint es so, als würde sich alles, was Stina Holmquist anfasst, in Gold verwandeln. Gleich bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt gewann sie den KuK-Award in Essen, wenig später fand sie sich spontan auf der Bühne des Traumzeit-Festivals in ihrer Heimatstadt wieder, und auch mit ihrem im Frühjahr 2022 auf Dackelton Records veröffentlichten EP-Erstling ´Deep Water´ konnte sie beindrucken, wenngleich die drei dort verewigten Songs längst nicht die ganze stilistische und emotionale Bandbreite abdeckten, mit der die Senkrechtstarterin bei ihren Konzerten begeistert. Zufall ist das alles natürlich nicht.„Ich habe mit acht Jahren angefangen, Klavier zu lernen“, verrät Stina, als wir sie in ihrer Heimstadtstadt auf einen Kaffee treffen. „Bei meiner Oma stand früher ein Klavier in der Wohnung, und weil immer darauf gespielt habe, habe ich das Klavier dann auch von ihr bekommen. Es steht jetzt bei mir im Wohnzimmer."
Mit zwölf begann sie, zusätzlich auch noch Gesangsunterricht zu nehmen, doch so wertvoll die traditionelle Musikschulausbildung auch war – ihrer eigenen Fähigkeiten wurde sich Stina erst richtig bewusst, seit sie eigene Lieder schreibt.
„Weil ich vom klassischen Klavier komme, habe ich lange gedacht, dass ich die krassesten Klavierstücke schreiben muss, bis ich dann irgendwann mal etwas von Lana Del Rey gecovert und gemerkt habe: ‚Oh, das sind einfach nur vier Akkorde, und es kann manchmal auch ganz simpel sein.‘"
Spätestens, seitdem hört Stina bei ihrem künstlerischen Tun auf ihr (Bauch-)Gefühl und lag damit bisher eigentlich immer richtig. Doch was ist eigentlich ihr Antrieb beim Schreiben ihrer Lieder?
„Ich habe noch keinen Song nur für mich geschrieben“, verrät sie. „Ich glaube, ich könnte das auch gar nicht. Ich schreibe die Songs mit dem Gedanken, sie aufzunehmen, sie live und mit Band zu spielen. Ich glaube, ich habe zu jedem Song auf bestimmte Weise eine so enge Bindung, dass ich diese Bindung mit anderen Menschen teilen will und möchte, dass andere Leute sich damit identifizieren können. Ein Stück weit geht es mir aber auch darum, eine Geschichte zu erzählen und Bilder zu malen, gleichzeitig aber auch dem Publikum den Freiraum zu geben, eine eigene Interpretation zu finden."
Doch auch wenn es Stina wichtig ist, Atmosphäre zu erzeugen und die Hörerschaft in den Moment, die Situation eintauchen zu lassen, sind die ersten Impulse doch oft persönlicher Natur, der Wunsch, sich im Sinne einer Selbsttherapie etwas von der Seele zu schreiben. „Selbsttherapie ist ein gutes Stichwort, denn ich glaube, das trifft auf jeden Fall zu“, sagt sie.
„Das ist etwas anderes, als wenn man mit jemandem darüber redet. Du schreibt es einfach runter und Punkt. Dadurch kann ich dem Gefühl dann einen Raum geben und es dabei belassen."
Erste eigene Lieder hat sie bereits zu Schulzeiten geschrieben, bis ihr dann die Pandemie Zeit und Gelegenheit gab, sich so richtig ins Songwriting zu vertiefen und dabei verschiedenste Einflüsse zu verarbeiten. War es früher noch der Geschmack ihrer musikbegeisterten Eltern, der abfärbte –
„Mein Papa hat immer viel Pink Floyd im Auto gehört“, erinnert sie sich schmunzelnd –, kennt sie heute keine Berührungsängste bei ihren Hörgewohnheiten und zählt Acts wie Asgeir, Kaleo, Giant Rooks, Tom Odell, Luke Noa oder Tina Dico zu ihren Favoriten.
Dass sie klanglich nicht auf der Stelle tritt, beweist auch ihre aktuelle Single, in der sich ganz unterschiedliche Einflüsse wie von The War On Drugs und der bereits erwähnten Lana Del Rey widerspiegeln. Aufgenommen wurde ´In A Dress´ vor den Toren Berlins mit Produzent Alex Sprave, der zuvor schon mit Steiner & Madlaina, Me & My Drummer, Max Prosa oder Tim Bendzko kollaboriert hatte und Stinas Sound ein Stück weit mehr in der Gegenwart verankert. In dem Lied beschreibt sie ein Gefühl der Ohnmacht, oder wie sie selbst sagt:
„Es geht um das Gefühl, sich in seinem Alltag im Kreis zu drehen und immer dasselbe zu tun."
Gleichzeitig richtet sie sich aber auch gegen das „Höher, schneller, weiter“-Denken, dass sich heutzutage in vielen Köpfen festgesetzt zu haben scheint und dazu führt, dass niemand mehr den Moment genießen kann, weil es immer nur um den nächsten Schritt geht.
„Ich finde das total ätzend“, sagt sie bestimmt. „Ich finde, es sollte doch darum gehen, dass es den Menschen gut geht. Auch wenn es unmöglich ist, eigentlich sollten doch alle tun können, was sie glücklich macht. In unserer Gesellschaft haben aber alle das Gefühl, sie müssten irgendwo hin. Ich schließe mich da gar nicht aus, ich denke das auch bei bestimmten Sachen, aber ständig das Gefühl zu haben, irgendwo hin kommen zu müssen oder dies oder das Leben zu führen; um gesellschaftlich anerkannt zu werden – das ist ja kompletter Schwachsinn!"
Mit dem Refrain „I’m in a dress / Black and white / And the silk is soft and light / And it wraps around my legs as the wind subtly touches my face” beschreibt Stina derweil einen Weg, dem Hamsterrad zu entkommen und etwas Ruhe zu finden:
„Ich habe mir vorgestellt, dass ich ein Kleid trage, in einem Feld stehe und komplett frei von allem bin“, erklärt sie. „Ich habe nur den Wind um mich herum, das ist wie bei einem Strandspaziergang, wenn man vom Wind komplett durchgepustet wird. Das ist das Gefühl, das ich mir in dem Moment gewünscht habe."
Aktuelles Single: „In A Dress“ (Eigenveröffentlichung)
Weitere Infos: stinaholmquist.de Foto: Thomas Berns