Heather Woods Broderick unterstreicht ihre Wandlungsfähigkeit: Mit ´Domes´, ihrer ersten rein instrumentalen LP für das belgische Connaisseur-Label Dauw, verlässt die 38-jährige, in Los Angeles lebende Musikerin für den Moment das Indie-Folk- und Dream-Pop-Terrain ihrer ersten drei Solowerke und macht sich stattdessen mit improvisierten, bisweilen herrlich abstrakten Loops und Drones auf dem Cello im Ambient-Dunstkreis auf die Suche nach einem Gefühl von Trost und Geborgenheit, nach Ablenkung von den Turbulenzen des chaotischen Alltags in unsicheren Zeiten und lenkt so ihre Vorliebe für seelenvolle Melancholie und ihr Faible für das Mysteriöse in neue Bahnen.
In der Vergangenheit glänzte Heather Woods Broderick nicht nur als Solistin. Auch an der Seite von hochkarätigen Acts wie Sharon Van Etten, Alela Diane, Lisa Hannigan, Efterklang oder Damien Jurado konnte die Multiinstrumentalistin ihre Talente auf oft endlos erscheinenden Tourneen rund um den Globus ausspielen. Die COVID-19-Pandemie bedeutete für sie deshalb eine echte Zäsur, wenngleich sie der unerwarteten Pause rückblickend durchaus positive Seiten abgewinnen kann.„Für mich war die Pandemie ein erzwungener Stopp nach Jahren des endlosen Reisens und Tourens“, erklärt sie im Westzeit-Interview. „Seit ungefähr einem Jahrzehnt habe ich im Grunde genommen auf der Straße gelebt. Ich bin mit mehreren Projekten getourt, mit denen anderer sowie mit meinen eigenen. Touring war für mich eine Lebensweise, und obwohl ich spürte, dass ich nicht so viel reisen wollte, war es schwierig, herauszufinden, wie ich es reduzieren könnte. Der Lockdown hat das definitiv für mich getan, weil Tourneen plötzlich keine Option waren und die Branche, wie ich sie kannte, für eine lange Zeit brach lag. Trotz des daraus resultierenden Stresses und der vielen Unbekannten hat mich das daran erinnert, dass sich für mich Klarheit stets langsam herausschält. Es war eine gute Zeit, um zur Ruhe zu kommen, Dinge zu verarbeiten und klarer zu erkennen, was ich in meinem eigenen Leben priorisieren möchte. Das ist ein nie endender Prozess."
Auch ihr neues Album hat seinen Ursprung in der Pandemiezeit. Die sieben Soundscapes, die sich nun auf ´Domes´ finden und trotz bisweilen aufbrausender Momente letztlich doch in erster Linie einen meditativen Charakter haben, sind das Resultat eines ursprünglich nach innen gerichteten Verarbeitungsmechanismus während des ersten Lockdowns, bei dem der Fokus auf Stimmung und Atmosphäre und nicht auf einer virtuosen Performance im klassischen Sinne liegt. Grund dafür ist nicht zuletzt, dass die Stücke, die einer täglichen Routine entsprungen waren, eigentlich nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren.
„Ich habe angefangen, diese Loops und Drones als Übung für mich selbst zu machen. Am Anfang hätte ich nie gedacht, aus dem Material eine Platte zusammenzustellen“, verrät Broderick. „Irgendwann habe ich einige kurze Clips von einigen Improvisationen via Social Media geteilt, und die Reaktionen der Leute waren wirklich positiv. Im Laufe der Zeit habe ich ziemlich viele Stücke gesammelt, und ich habe jedes von ihnen nur zum Spaß aufgenommen. Das Label Dauw kam dann mit dem Vorschlag auf mich zu, ein komplettes Album mit Musik wie der aus den geteilten Clips zu veröffentlichten. Das führte dazu, dass ich die Platte zusammenstellte. Die Aufnahmen, die ich gemacht hatte, waren eher dokumentarisch und keineswegs sorgfältig gemacht, also half mein Bruder Peter mir beim Mischen der Stücke, bei der Audiobearbeitung in der Post-Produktion und bei der Gestaltung jedes Stücks."
Das Cello ist nur eines von vielen Instrumenten, die Broderick beherrscht. Doch während sie Klavier, Gitarre oder Querflöte im Kindes- oder Teenageralter erlernte, kam sie zum Cello erst verhältnismäßig spät, mit Mitte 20, widmete sich dem Instrument allerdings intensiver als einigen anderen, die sie zuvor erlernt hatte. „Als ich anfing, Cello zu spielen, trat ich bereits mit vielen lokalen Bands auf“, erinnert sie sich.
„Ich habe einige Zeit Unterricht genommen, um etwas Technik zu lernen, weil ich so schnell wie möglich gut genug werden wollte, um das Instrument in Bands spielen zu können. Seitdem habe ich mich phasenweise damit beschäftigt, denn es ist ja kein Instrument, was man immer dabeihaben kann. Mein Spielniveau ist an einem bestimmten Punkt irgendwie abgeflacht, weil ich nicht oft die Gelegenheit hatte, zu spielen. Allerdings ist alles immer schnell zurückgekommen, sobald ich wieder eintauchen konnte. Das führe ich darauf zurück, dass ich mich anfänglich intensiv damit beschäftigt habe. Der Prozess, ausgedehnte Improvisationen zu machen, wie die Stücke auf ´Domes´, hat mir die Möglichkeit gegeben, wieder etwas Technik zu üben und dabei Spaß zu haben."
Doch auch wenn anfänglich der Spaß am Spielen und die Ablenkung vom alltäglichen Wahnsinn für Broderick im Vordergrund standen, ist es dennoch beeindruckend, wie unterschiedlich die sieben Stücke auf ´Domes´ in Anbetracht der konzeptionellen Einschränkungen klingen, zumal die natürliche Klangfarbe des Cellos trotz der vielen eingesetzten Effekte stets im Mittelpunkt steht. Nie hat man das Gefühl, dass die Effekte die Musik machen, stets fesselt Broderick auch ohne ihre Stimme, wenn sie ihre Emotionen allein durch die Saiten des Cellos und eine ganze Reihe Effektpedale ausdrückt.
„Der größte Unterschied bei Instrumentalmusik, insbesondere bei dieser improvisierten Art von Ambient, ist für mich, dass es sich sehr frei anfühlt“, erklärt sie abschließend. „Texte zu schreiben, fühlt sich für mich mühsamer an. Wenn ich Songs mit Texten schreibe, ist es für mich eher ein Rätsel, herauszufinden, wie alle Teile zusammenpassen. Die Instrumentalstücke dagegen fließen einfach mühelos."
Aktuelles Album: Domes (Dauw)
Weitere Infos: www.heatherwoodsbroderick.com Foto: Sophie Kuller