Manchmal ist gerade die Entscheidung, die sonst niemand gefällt hätte und bei der die Profis des Musikgeschäftes nur den Kopf schütteln, genau die richtige. Zum Beispiel wenn man gerade wochenlang mit The Cure in ausverkauften Stadien unterwegs gewesen ist und danach – nichts macht. Wo andere schnell das neue Album produziert hätten, um mit einer eigenen Headlinertour die neuen Fans an sich zu binden, haben The Twilight Sad das Gegenteil getan. Sich zurückgezogen.
Schon allein, weil sie Zeit brauchten, um diesen Trip zu verarbeiten, wie Andy MacFarlane erklärt: „Dieses Aufarbeiten schaffst du nicht, während es passiert.“Sein Freund James Graham lacht: „Ich saß danach wieder zuhause und dachte: ,Was ist da eigentlich gerade passiert?!‘“ Nur eines war ihm klar: „Es war die besten Erfahrung meines Lebens! Jeder Tag war wie in Traum, der wahr geworden ist.“
Kein Wunder, denn die beiden Gründer und Köpfe von The Twilight Sad (deren Karriere bis 2016 trotz hochgelobter Alben eher eine Sache für eine kleine Gruppe Fans gewesen ist), standen plötzlich mit ihrer Band drei Nächte in Folge im Madison Square Garden – dank Robert Smith, der sich schon früh als Fan outete und sie eingeladen hat, ihn zu begleiten.
„Du versucht das zu normalisieren, um nicht den Verstand zu verlieren.“, lacht Andy „Und man könnte ja denken, dass Robert ein großen Ego hätte, aber nein – wenn, dann hat er uns am Boden gehalten.“
James: „Wir fragten ihn: ,Bei all den Berühmtheiten, die auf deine Shows kommen, will Du nicht mit denen abhängen?‘ Aber nein, er wollte mit uns abhängen!“
Andy lacht: „Und wir so: ,Bist du Dir sicher?!‘“
Aber es gab noch mehr Gründe, um endlich durchzuatmen.
„Wir hatten seit 2006 eigentlich keine Ruhe“, erklärt Andy in seinem wunderbar dicken schottischen Dialekt. „Es gab immer die nächste Tour am Horizont …“
Und während jeder meinte, sie müssten sofort losziehen und das Momentum nutzen, wussten sie, das wäre schon allein mental eine schreckliche Entscheidung.
„Und musikalisch auch“, ergänzt Andy, „Wir haben unsere Musik nie gehetzt gemacht. Wir haben uns immer die Zeit genommen, die es brauchte. Und gerade nach vier Platten, brauchten wir einfach noch mehr.“
Sie nutzen sie, um alte Arbeitsweisen über den Haufen zu werfen, ganz radikal. So hat Andy Musik im Wert eines ganzen Album komplett gelöscht – bis auf James Gesang. Um auf dieser Basis noch einmal komplett neu angefangen.
„Normalerweise schreibe ich zuerst die Musik und James darauf seine Lyrics … dieses Mal, das erste Mal, habe ich die Lieder auf seine Vocals geschrieben.“
Ein Rollentausch.
„Ich fand, dass diese Vocals so stark sind – während ich noch Raum nach oben hatte.“ Natürlich spielte da auch wieder diese letzte Tour eine Rolle. „Nach so einer Erfahrung muss man einfach eine Schippe drauflegen!“
Das galt auch für James, der seine Texte völlig neu anging.
„Ich habe immer sehr viele Metaphern benutzt, aber ich werde älter und diese Welt hat sich sehr verändert. Es ist wichtig, dass man Menschen genau sagt, was man empfindet. Natürlich habe die Lieder zuerst ich wegen mir und für mich auf diese direkte Art geschrieben – ich musste viele Dinge loswerden. Aber als ich fertig war, wurde mir klar, wie wichtig es ist, vollkommen ehrlich zu sein.“
Was für ihn auch erschreckend ist, geradezu beängstigend, wie er gesteht.
„Meine Familie hat das Album noch nicht gehört … es sind keine netten Sachen, die ich über mich selbst sage. Aber ich hoffe, dass alle die Hoffnung am Ende dieser Lieder wahrnehmen.“
Sie sind sich auch sehr bewusst, wie sehr ihr Sound, der mit den Indiehelden der 80er Jahre spielt und sie in eine mächtige, dunkle Rockepik packt, in die Zeit passt. Als 2007 mit ´Fourteen Autumns & Fifteen Winters´ ihr ersten Album erschienen ist, war die Welt noch optimistisch – heute ist sie das Gegenteil. Die Lieder von The Twilight Sad hallen jetzt auf ganz andere Art in den Fans nach, sie spiegeln plötzlich den Zustand sehr vieler Menschen. Schon allein, weil auch James und Andy an der neuen Realität verzweifeln.
„Am Anfang habe ich noch sehr genau darauf geachtet, was überall passierte, ob in Amerika oder bei uns im United Kingdom“, sagt Andy, „Aber es ist alles so unfassbar lächerlich! Ich habe einfach keine Ahnung, was überhaupt vorgeht.“
James nickt: „Wie zum Teufel konnte es soweit kommen?!“
Doch dass sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben, zeigt der Titel ihres neuen Albums: ´It Won´t Be Like This All the Time´.
Hoffen wir das beste.
Aktuelles Album: It Won´t Be Like This All the Time (Rock Action / PIAS) VÖ: 19.01.
Foto: Debi Del Grande