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AVANTASIA

Phantastische Welten

AVANTASIA

Wenn eine Band den Begriff Metal-Oper für sich besetzt hat, dann Avantasia. Was 2001 noch als All-Star-Projekt begann, ist inzwischen zum wiederkehrenden Band-Happening gereift, welches aufgrund seiner Einzigartigkeit Freunde aus allen Lagern der Metal-Genres vereint. Nicht zuletzt die 2017er Wacken-Abschluss-Show setze ein meterlanges Ausrufezeichen, das lange nachhallte. Nun erscheint mit ´Moonglow´ das achte Avantasia-Studioalbum – und es ist das detail- und facettenreichste überhaupt.

Wieder einmal gaben sich Szene-Größen wie Jorn Lande (Masterplan), Bob Catley (Magnum), Geoff Tate (Queensryche) oder Michael Kiske (Helloween) die Klinke in die Hand, um an Avantasia mitzuwirken. Und wieder einmal ist das Ergebnis eine schiere Urgewalt an Storytelling und Metal-Genuss. Mastermind Tobias Sammet stand uns Rede und Antwort zum unweigerlich jetzt schon sicheren Metal-Highlight des noch jungen Jahres 2019.

Hallo Tobias! Die große Stärke von Avantasia ist die Vielseitigkeit und der Abwechslungsreichtum – Dein neues Album ist der beste Beweis dafür. Wie einfach ist es eigentlich für Dich, dies zu bewerkstelligen? Planst Du das beim Songwriting oder verwirfst Du gar massenhaft Ideen, wenn Sie nicht ins Konzept passen wollen?

„Ich gehe da gar nicht so verkopft ran, in erster Linie mache ich einfach Musik und lasse die Dinge passieren. Für mich hat Songwriting mit dem Rauslassen von Gefühlen zu tun, textlich wie auch musikalisch, und bei einem Unterfangen wie Avantasia bin ich ja derjenige, der auch den Rahmen so gestalten kann, dass da alles reinpasst, was ich drin haben möchte. Die musikalischen Grenzen stecke ich mir eigentlich nur unterbewusst durch meinen Geschmack, denn selbst komponierte Stücke sind ja ein Spiegel dessen, was man selbst gut findet. Naja, und beim Rumklimpern kommen dann Sachen raus, von denen ich denke, dass sie so gut sind, dass man sie festhalten sollte, andere verwirft man auch mal wieder.“

Obwohl ´Moonglow´ eine Geschichte über alle Songs hinweg erzählt, wirken viele der Songs auch einzeln betrachtet in sich abgeschlossen. Könntest Du dir so was wie einen Avantasia-Singles-Club vorstellen oder entspricht das Albumformat eher deiner Ausdrucksform, möglichst viele Songs zu einem Thema zu sammeln?

„Ich mag es theatralisch und episch, und Avantasia gibt mir die Möglichkeit, phantastische Welten zu erschaffen, in die nicht nur der Hörer beim Hören, sondern auch ich beim Komponieren eintauchen kann. Ein Album als Gesamtwerk ist wie ein Trip in eine andere Welt, und ich sehe es in einer so schnelllebigen Zeit, in der unsere Aufmerksamkeitsspanne immer kürzer wird, als entspannenden Gegenpol, wenn man ein Album hat, dass einen über die Dauer von 70 Minuten in eine andere Umgebung holt. Aber dennoch ist der einzelne Song die relevanteste Einheit für mich als Musikfan, also lege ich immer Wert darauf, dass ein Song alleine funktioniert. Und mir ist es auch wichtig, dass es nicht um bloßen Eskapismus geht, sondern dass ich in Metaphern Dinge verarbeiten kann, die mich als Mensch hier und jetzt beschäftigen.“

Suchst Du eigentlich bewusst nach Inspirationsquellen, die stilistisch zu Avantasia passen oder ist das eher ein natürlicher Prozess?

„Eigentlich möchte ich mir beim Songwriting nur Dinge von der Seele schreiben und irgendwie finde ich dann intuitiv einen Rahmen, der mir die Möglichkeit genau dazu gibt, der die Realität um mich herum aber überzeichnet. Ein bisschen ist das vielleicht wie bei Tim Burton, der solche Stilmittel auch benutzt und noch einen Hauch Expressionismus mit reinbringt. Außerdem fasziniert mich die Literatur der Schwarzen Romantik und insbesondere die viktorianischen Ableger davon. Ich bin kein Vielleser, aber die Welten und Geschichten, die Edgar Allan Poe und Konsorten geschaffen haben, sind für mich sehr inspirierend. Ich liebe auch die Gruselfilme der 60er und 70er. Und naja, irgendwie spürte ich, dass diese Welten wie geschaffen waren, um als Nährboden für die Erzählungen eines Wesens zu dienen, welches Schwierigkeiten hat, sich in der schnellen und von gewissen Erwartungen geprägten Welt der Schönen und Starken zurechtzufinden.“

Du hast neben altbekannten Kollaborateuren wieder einmal frische Stimmen ins Boot geholt. Hast Du bei manchen Songs und Parts schon beim Komponieren eine Traumbesetzung im Kopf oder wartest Du erst ab, wie sich die Produktion entwickelt und suchst dann den perfekten Mitspieler?

“Da gibt es eigentlich keine Regel. Mit manchen Leuten mache ich schon sehr lange Musik, wie z.B. Michael Kiske von Helloween, Eric Martin von Mr. Big, oder auch Jorn Lande oder Bob Catley von Magnum. Die gehören zur Avantasia-Familie und es regt meine Kreativität wirklich extrem an, wenn ich mit Bob oder Michi im Hinterkopf an einem Stück arbeite. Manchmal ist es aber auch so, dass ich nur eine bestimmte Stimmfärbung im Sinn habe. Und erst nachdem der Song geschrieben ist, überlege ich, wer wohl das Stück am besten singen könne. So war es z.B. mit Candice Night.“

Beim Titeltrack knistert vor meinem geistigen Ohr die alte Mike Oldfield-Single ´Moonlight Shadow´ auf meinem Plattenspieler – dramaturgisch und melodietechnisch seid ihr da nicht so weit auseinander und Candice bildet einen fantastischen Gegenpart zu Deiner Stimme. Ich wette, die Scheibe steht auch bei dir im Schrank. Gibt es Momente, an denen Du dich gegen die Entwicklung eines Songs wehrst oder lässt Du eher alles geschehen, solange es dem Song gut tut?

„Vielen Dank. Grundsätzlich lasse ich erstmal alles passieren, denn es kommt ja aus mir irgendwie auch so raus. Und wenn Du kein leerer Auftragskomponist und aus den richtigen Beweggründen und Herzblut dabei bist, dann liegst Du intuitiv meistens richtig. Es gibt ja auch keine Regeln, und die einzigen Grenzen sind die meines eigenen Geschmacks. Ich steh auf viele Sachen von Mike Oldfield und natürlich steht der bei mir im Schrank. Also nicht er, seine Platten. Im Metal ist es oft so, dass die Leute mit einer bestimmten Erwartungshaltung an ein Album gehen, nämlich dass man das liefert, was man immer liefert oder sich so entwickelt, wie der einzelne Fan es persönlich für richtig hält. Ich habe aber jetzt 18 Alben geschrieben, und wenn man nicht ewig die gleiche Suppe kochen will, muss man offen für die Erweiterung des eigenen Horizonts sein. Sonst läuft sich die Sache tot. Wenn Du aufhörst Dich selbst zu begeistern und auf das hörst, was die Leute sagen, wirst Du Dich irgendwann nicht mehr selbst begeistern und dann verlierst Du das Feuer, wirst ein Auftragskomponist und bekommst Magengeschwüre. Und darauf hab ich einfach keinen Bock. Nein, der Song kriegt was der Song kriegt, was er braucht, ich bin da offen.“

Manche Songs von ´Moonglow´ scheinen unweigerlich wie gemacht für eine große Show. Hast Du schon einmal daran gedacht, eventuell das Visuelle noch stärker als für eine Bühnenshow auszuarbeiten – etwa in Form eines Musikfilms?

„Ich bin auch bei diesem Album für mich wieder zu dem Schluss gekommen, dass Musikalben auf der einen, und Filme oder Bücher auf der anderen Seite völlig unterschiedliche Kunst- oder Unterhaltungsformen sind. Die Oper wurde zu einer Zeit geprägt, als es noch keine Filme gab, du musst bei einer fortlaufenden Geschichte Spannungsbögen aufbauen, das funktioniert im Musical z.B. nur bedingt, zumindest, wenn Du kurzweilige, individuelle Songs mit den altbekannten Songstrukturen schaffen willst, also Strophen und Refrains und so weiter. Außerdem finde ich das Erschaffen von Musikvideos schon grauenvoll, ich hasse es immer wieder. Und dann über 90 Minuten, nee, lass mal, haha...“

Wir müssen zum Abschluss kurz auf ´Maniac´ kommen – ein absichtlich gewählter Endtrack oder eine Studiophantasie, die Wirklichkeit wurde und zufällig gut passte?

„Eine reine Spaßaktion. Wir hatten nicht geplant, die Nummer aufs Album zu nehmen. Ich habe zu meinem Produzenten gesagt, lass uns das machen, nur so als Spaß, vielleicht als Bonustrack oder eben komplett für die Tonne. Ich meine, ich mache Musik doch in erster Linie für mich, ist es da nicht schön, einen Song produzieren zu können, den man vielleicht einfach in die Schublade legt? Das ist meine Form von Luxus. Naja, und wie das dann mit Schnapsideen so ist, wurde die Nummer ziemlich geil. Und da haben wir gesagt: Komm, kack drauf, wir packen die aufs Album, passt nicht ins Konzept, aber wir wollen ja nicht päpstlicher als der Papst sein. Was gefällt, ist erlaubt. Aus die Maus!“

Aktuelles Album: Moonglow (Nuclear Blast / Universal) Vö: 15.02.

Foto: Ales Kuehr

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