Daniel Wirtz ist ein großer Kritiker medialer Massenverblödung. Vielleicht hatte er deshalb in der Sendung ´Sing meinen Song´ einst das Privatfernsehen zu einem besseren Ort gemacht. Denn wer meckert, muss auch abliefern. Daniels Texte sind ehrlich, wortgewandt und repräsentieren Herz und Verstand gleichermaßen. Gerade erschien mit ´Die fünfte Dimension´ das fünfte Album von Wirtz. Nachfolgend spricht der Sänger über seine ewige Liebe zur Rockmusik, die Ideen und Ideale, die ihn seit jeher motivieren und erzählt, warum es sicher nicht immer einfach war, sein Erziehungsberechtigter zu sein.
Was war dein konkretes Ziel für das neue Album?“Solche Gedanken machen wir – meine bessere Wirtz-Hälfte Matthias Hoffmann und ich – uns nicht, wenn wir mit einem neuen Album starten. Diesmal haben wir uns allerdings hinterher entschlossen, zwei fertige Songs nicht mit aufs Album zu nehmen, weil sie die Gesamtatmosphäre verfälscht hätten. Sie wären zu „leicht“ gewesen, zu lustig. Dass wir das beim letzten Album nicht auch so gemacht hatten, ist ihm aus Sicht mancher Fans ein bisschen zum Verhängnis geworden. Diesen „Fehler“ wollten wir nicht wiederholen. Das war aber der einzige kalkulierte, analytische Eingriff in den kreativen Prozess.”
In welcher Situation überlegst du, ob du einen Text wirklich veröffentlichen sollst?
“Mit unserer ersten Platte habe ich mich ja schon komplett nackig gemacht. Intimer ging es ja kaum. Wenn man das erst einmal getan und sich damit auch noch vor mehr und mehr Leute gestellt hat, gibt es eigentlich keine Tabus mehr. Was ich nicht mit den Leuten teilen würde, würde ich auch nicht denken oder fühlen. So ist das vielleicht auch ein ganz guter Selbstoptimierungsmechanismus. „Würdest du diesen Gedanken auch auf ein Album packen? Nein? Dann ist es vielleicht einfach nicht richtig, so zu denken!“
Wer sind die musikalischen Helden deiner Jugend?
“Wenn ich vor einer schwierigen Entscheidung stehe, gerade auch alles rund um die Präsentation von Wirtz, stelle ich mir die Frage „Was würde Eddie Vedder tun?“ Aber natürlich auch Kurt Cobain und die anderen Helden des Grunge. Das waren die Jungs, die mir erstmals das Gefühl gegeben hatten, von Musik völlig abgeholt zu werden.”
Was würdest du als deinen größten beruflichen Erfolg bezeichnen?
“Dass wir nach zehn Jahren immer noch da sind und sich viele Plattenfirmen fragen: „Verdammt, die sind nur zwei Leute! Wie geht das?“ (lacht) Es war vom ersten Tag an unser Ziel, alles selbst zu steuern, mit einer Handvoll motivierter Leute, ohne großes Marketingbudget, ohne große Plattenfirma, nur mit unserer Musik, unseren Texten und unserer Ehrlichkeit. Es ist eine Auszeichnung und ein gewaltiger Erfolg, dass wir uns schon vor meiner Teilnahme bei „Sing meinen Song“ ein Publikum erspielt hatten, das für und mit uns durchs Feuer geht und uns durch Mund-zu-Mund-Propaganda hat wachsen lassen. Man übersieht ja manchmal, dass das letzte Album vor „Sing meinen Song“ höher gechartet ist, als das erste danach (lacht).”
Wie kritikfähig bist du?
“Natürlich freut sich jeder, wenn er von allen Seiten hört, was er Großartiges erschaffen hat. Dass nicht immer allen alles gefällt, ist auch klar und okay. Was aber wirklich unverändert nervt, ist, wenn jemand auf die Songs, die wie meine Kinder sind, draufkotzt. Ganz anstrengend finde ich auch die Vorwürfe, dass irgendwas konstruiert wäre, um größere Käuferschichten zu erreichen oder um irgendjemandem zu gefallen. Wenn es so wäre, hätte ich mir gar nicht so viel Mühe geben, sondern mich einfach bei DSDS neben Dieter Bohlen in die Jury setzen müssen. Du siehst, ich rege mich jetzt schon alleine beim Gedanken daran auf (lacht). Allerdings muss ich auch sagen: Wenn ich selbst rundherum zufrieden mit etwas bin, nehme ich Kritik gelassener hin.
Welches Kinderlied hast du deinem Sohn am liebsten vorgesungen?
Das einzige Kinderlied das ich kenne, ist das „Schlaflied“ von den Ärzten. Keine gute Idee (lacht). Ich habe tatsächlich in der Regel Eigenkompositionen improvisiert. Abend für Abend.”
Was wolltest du als Teenager werden?
“Es gab immer nur zwei ernsthafte Optionen: Rennfahrer oder Musiker. Und da wir zwar eine alte Gitarre auf dem Dachboden hatten aber keinen Formel-1-Boliden in der Garage, war die Entscheidung relativ einfach. Deutsche-Bank-Vorstand kann ja jeder (lacht).”
Was wolltest du nie werden?
“Meine Mutter war Lehrerin, mein Vater ist Kaufmann. Sie hofften, dass ich in diese Richtung gehen oder wenigstens Herzchirurg werden würde. Die waren natürlich gar nicht begeistert, dass ich dieses Musikerding todernst meinte. Das war aber auch ein guter Antrieb, gerade in den Anfangstagen: Denen zeige ich es! Inzwischen sind meine Eltern stolz auf mich und das, was ich tue. Irgendwie erreiche ich ja auch das eine oder andere Herz. Jetzt eben mit der Gitarre statt mit dem Skalpell (lacht).
Welche Werte möchtest du deinem Kind mitgeben?
“Respekt, Bescheidenheit, Toleranz, Ehrlichkeit aber auch ein bisschen den Willen zur Rebellion. Er soll Dinge hinterfragen und wissen, dass ein wacher, eigener Blick immer lohnenswerter ist, als blind der Meinung der Massen zu folgen. Aber ich will ihm auch die kleinen Dinge beibringen, zum Beispiel der Dame die Tür aufzuhalten, im Bus den Platz zu räumen, wenn es drauf ankommt oder beim Kauen den Mund geschlossen zu lassen.”
Woran glaubst du?
“Ich glaube daran, dass das, was du aufs Leben einzahlst, dir irgendwann vom Universum oder dem Karma wieder zurückgegeben wird. Wenn nicht in diesem Leben, dann in einem anderen.”
Welche Eigenschaft würdest du dir gerne abtrainieren?
“Mein Vater hat mich mal ein „Kind der Extreme“ genannt. Er meinte, bei mir würde es immer nur ganz oder gar nicht geben. Ich neige tatsächlich dazu, in allen Dingen extrem zu sein. Manchmal dient es der Sache, manchmal ist es lebensgefährlich (lacht).”
Was sind deine aktuellen neuen musikalischen Favoriten?
"Seit unserer gemeinsamen Tour 2015 feiere ich Milliarden, eine junge Truppe aus Berlin. Die konnten sich von meinen Leuten einige Fans erspielen."
Aktuelles Album: Die fünfte Dimension (Wirtz Musik)
Foto: Ina Bohnsack