Etwas eigenartig war diese Band schon immer. Schräg und widerborstig hat sie sich in aller Munde breitgemacht und sich einen eigenen Begriff für freigeistig Inspirierendes und geniale Konzeptionen ausgelegt. Nicht nur, weil ihr Kopf ein hoch gewachsener Hüne ist, der jahrelang rastlos wie ein kreativer Vagabund zwischen L.A., London und Berlin pendelte, sondern auch, weil ihre Musik ein vorzugsweise querdenkendes Etwas ist. Liars sind ein eigenartiges Phänomen - und neuerdings auch noch ein ziemlich kopf- und konzeptloses.
Angus Andrew, dem Hünen, fehlen gerade mal zwei Zentimeter bis zur Zweimetermarke. Der große Sympath jettet seit nunmehr drei Jahren bedeutend weniger zwischen den Metropolen als früher. Denn mittlerweile er in Berlins Mitte sesshaft geworden, wo er die Vorzüge schätzt und genießt, die man in diesem prominenten Teil der Stadt eher weniger vermutet: Einsamkeit, Ruhe und die daraus aufkeimende Muße. Umgeben von diesen drei Pfeilern zieht er sich hier in seinen eigens eingerichteten Kreativraum zurück:„Ich kenne nicht wirklich viele Leute hier und spreche auch nicht die Sprache. Aber genau das mag ich an meinem Leben hier in Berlin: Ich bin allein und kann mich deshalb voll und ganz auf meine Arbeit konzentrieren. Ich war nirgendwo so produktiv wie hier.“
Diese Einschätzung belegt auch der Liar'sche Output bis dato. Bereits zu dem Vorgängeralbum war Angus in dieser Stadt kreativ, schnippelte an Filmen, Konzepten und allerlei anderem Pipapo. Wie der Titel allein schon vermuten ließ, zentrierte sich damals auf dem Anfang letzten Jahres veröffentlichten Drittwerk der Liars „Drum's Not Dead“ alles um Rhythmus und pulsierende Lebendigkeit. Ein groovender Minimalismus war es, der zwischen kraftvollem Gepolter, Anti-Rock und Avantgardismus-Gerausche alles zu einem großen Ganzen und Eigenen formte. Buddelt man noch eine Ebene tiefer, stößt man auf das Album „They Were Wrong, So We Drowned" aus dem Jahr 2004, das sich inhaltlich unter anderem um Hexen in Walpurgisnächten in deutschen Mittelgebirgen drehte. Völlig zu Recht darf man sich nun fragen, welch Konzept das aktuelle, vierte Album durchziehen mag: vielleicht harmloses Obst oder wilde Tiere? Nein, nichts dergleichen. Das Konzept diesmal war schlicht und einfach: keines.
Es sollte alles so nüchtern und schlank wie nur irgendmöglich werden. Selbst ein Albumtitel wäre schon zu viel Vorgabe, zu viel Orientierungshilfe und zu viel Konzept gewesen. Die klare Vorgabe für Angus und seine Mitstreiter war, keine Art von Überbauten und Vorarbeiten zuzulassen. Natürlich ist das typisch Liars. In der Natur ihrer Eigenart liegt es nun mal, Gewohnheiten und Gewöhnlichkeiten nur selten zuzulassen. was nicht zuletzt seinen Ursprung in ihrer besonderen Arbeitsweise und kreativen Fernbeziehung gründet. Angus und sein kreativer Gegenspieler Aaron Hemphill haben getrennt voneinander gearbeitet. Zwischen Berlin und L.A. spannten sie ihre experimentellen Landschaften, eleganten Soundeskapaden und unkonventionellen Ergüsse:
„Wir arbeiten sehr gegensätzlich, manchmal ergibt all das, an dem jeder für sich alleine arbeitet, in zusammengewürfelter Form dann überhaupt keinen Sinn mehr. Aber dadurch, dass wir uns auch mal einen Monat nicht sehen oder hören, macht es das Ganze eben auch umso interessanter. Und außerdem muss man nicht jede Kleinigkeit diskutieren. Es ist mir nämlich wirklich ein Rätsel ist, wie man als eine mehrköpfige Band im Proberaum stets auf einen Nenner kommen und einen künstlerischen Kompromiss finden kann. Ich weiß nicht, wie die das alle machen.“
Es sind also die unterschiedlichen Herangehensweisen, die über die Distanz an unterschiedlichen Orten entstehen, aber an einem gewissen Punkt zusammenfließen, kombiniert und miteinander in Einklang gebracht werden. Wichtig ist dabei, laut Angus, der Ort und sein Raum, an dem Kreatives geschaffen wird.
„Es ist wichtig, dass du als Musiker in ganz bestimmten Umständen lebst. Du musst einen Platz finden, an dem du gut und günstig leben kannst. Dort musst du dir deinen Raum schaffen, der dich frei von Einflüssen macht.”
Diesen Raum hat Angus nun in Berlins Mitte gefunden. Hier geht er kopflos, abgekapselt und frei von grundlegenden Diskussionen vor. Direkter und erklärungsfreier dreht sich auf dem selbstbetitelten Werk der Liars nun alles um einen melodiösen Minimalismus der intuitiven Bauchlastigkeit und eigenartigen Eingängigkeit. So klingt es eben, wenn ein Konzept der Konzeptlosigkeit aufgeht.
Aktuelles Album: Liars (Mute / EMI)
Foto: Joe Dilworth