Wenn sich eine Frau, die eine für viele Leute (mich eingeschlossen) extrem wichtige Band entscheidend prägte, wenn sich also "Frau Ideal" mit einem bestenfalls für eine mehrere Jahre zurückliegende Boy-Band-Vergangenheit bekannten Sänger zusammentut, sorgt das entsprechende Album für eine enorme Erwartungshaltung. Die Vorab-CD verwirrte erst mal - in "Ich+Ich" muss man sich 'reinhören und das eigene Koordinatensystem etwas re-justieren. Um dann zu entdecken, dass in diesem Projekt viel Substanz steckt. Also fuhr WESTZEIT nach Berlin-Charlottenburg, um Annette Humpe und Adel Tawil mal näher zu befragen.
"Ich+Ich" ist sicher keine Platte, deren Qualitäten sich gleich beim ersten Mal erschließen. Es ist "erwachsene" Musik, die Texte wollen gehört, verstanden und erfühlt werden.AH: Ja, es ist ein erwachsenes Album - kein Wunder - ich bin ja auch erwachsen. Aber ich bin nicht gepierced, ich trage keine Miniröcke.
Und warum tut man sich die ganze Ochsentour mit Promo usw. nochmal an?
AH: Es ist doch mein Beruf! Ich bin Songschreiberin, irgendwo auch Sängerin und es kann doch nicht sein, dass ich mir von der Gesellschaft oder von Mode bestimmen lasse, ob ich den noch ausüben darf! Wenn ich singen möchte, möchte ich singen.
Aber ist der Job hinter den Kulissen nicht angenehmer?
AH: Es ist einfacher, aber das habe ich 20 Jahre gemacht und wollte nun ml wieder was anderes. Ich habe 12 Jahre auch hinter den Kulissen gestanden, weil ich ein Kind habe. Nun wird es demnächst 13 und jetzt kann ich auch mal weg.
Wenn man unterstellt, dass die Story über euer Zusammentreffen stimmt...
AT: Nee, wird sind eigentlich gecastet!
AH: Das dürfen wir doch nicht sagen!
Was hast du gesagt, als Annette kam und mit dir eine Platte machen wollte?
AT: Das hat sich ja entwickelt.
AH: Ich bin doch nicht zu ihm hingegangen: "Du jetzt machst du mal 'ne Platte mit mir!" Das ist langsam gekommen.
AT: Wir haben angefangen, zusammen zu arbeiten, Songs zu machen, ohne zu wissen, wer die mal singen wird. Annette hat angefangen, backings zu singen... Erst nach 3, 4 Nummern haben wir gesagt: Das wollen wir selber machen. Aber wir haben nicht mit diesem Ziel angefangen.
Die Texte sind alle von Annette, die Musik...
AT: Zusammen. Bei ihr im Keller erstmal, im kleinen feinen Studio.
Mit Gästen?
AH: Nö, haben wir alleine gemacht. Aber für die Tour haben wir einen Bassisten, einen Akkordeonisten, einen Schlagzeuger und einen Gitarristen.
Zum Glück wird "Ich+Ich" nicht auch unter dem Label "Neue Deutsche Popmusik" vermarktet.
AH: Häh? Was ist das denn?
AT: Silbermond und so?! Das ist ein Mediending.
AH: Mich interessiert das gar nicht. Als Band machst du dir da gar keine Gedanken 'drüber. In Interviews hechelt man solchen Formulierungen immer hinterher. Aber mit unserem Leben als Musiker hat das nichts zu tun. Gar nichts.
Viele warten aber auch hier auf eine Explosion wie in Frankreich - eine eigenständige Form von Popmusik.
AH: Das fände ich schön, wenn wir sowas hätten, aber es geht aus verschiedenen Gründen nicht: Zunächst haben wir hier keine Quote, da macht Frankreich viel mehr für seine nationalen Künstler und Produktionen. Der Staat unterstützt Projekte dort finanziell, es werden Auftrittsorte gebaut, es wird richtig was getan. Und dann darf man nicht vergessen, dass das französische Publikum ganz anders umgeht mit seinen Künstlern - die sind irrsinnig treu und verehren ihre Künstler bis in's Grab. Da ist auch Alter gar keine Frage.
AT: In Deutschland wird sowas auf keinen Fall explosionsartig passieren. Wenn, ist es ein langer Weg.
AH: Und natürlich sind wir durch den letzten Krieg auch von unseren Wurzeln abgeschnitten worden. Die Musikentwicklung wurde durch die Nazis ja unterbrochen. Die Franzosen knüpfen da an Traditionen an, die wir gar nicht mehr haben.
Erzählt mal über euer Deutschlandbild. Es gibt ja z.B. in "????" die Reizworte "Osten und Westen", die ihr aber in einem viel größeren Maßstab einsetzt.
AH/AT: Auch.
Diese Sitarsounds weisen schon in eine bestimmte Richtung.
AH: Ja, damit ist eine Fährte gelegt, es gibt aber auch andere Fährten. Weil Hass und Wahnsinn hier regiert...
Wie ist euer Gefühl, heute in diesem Land?
AH: Es ist immer noch Jammern auf einem ganz ganz hohem Niveau. Ich habe Leute getroffen, die In St. Petersburg unterwegs waren - wenn die erzählen, da schiessen dir die Tränen in die Augen. Ich kann das Gejammer nicht mehr hören, auch nicht mitjammern: Ja, die neue Armut! Ich reise sehr viel, einmal im Jahr nach Indien und lebe da auch eher karg. Deswegen sehe ich diese krassen Unterschiede - was wirklich Armut ist. Nun kannst du sagen: Ich habe gut lachen, immer genug zu essen, eine schöne Wohnung - ich kann mir das alles leisten. Gut, mir geht's sicher besser, als vielen hier. Trotzdem finde ich, dass auch mal kürzer getreten werden kann. Dann wird eben nicht soviel Geld für soviel Scheiß ausgegeben. Wenn ich das sehe, die ganze Klingeltonsuppe - da kriegst du 'n Fön!
Manche Texte sind sehr deutlich in ihrer Sprache, andere genauso offen, aber zerbrechlicher. Entsteht sowas in unterschiedlichen Stimmungen oder sind es einfach zwei Aspekte einer Sache?
AH: Es gehört zusammen. Ich finde, dass auch ein zerbrechlicher Mensch mal "Arsch" sagen darf - ich sehe da keinen Gegensatz.
Manche Stücke strahlen eine gewisse Religiösität aus.
AH: Nennen wir's Spiritualität.
Seid ihr spirituell?
AH: Wenn spirituell ist, auch mal hinter die Kulissen zu schauen, Dinge hochzuheben und drunter zu gucken, die Antennen mal etwas weiter 'raus zu lassen - dann sind wir spirituell. Das heisst ja nicht, dass ich jeden Tag mein Horoskop lese - das machen wir nicht.
Hat das was mit deinen Indienreisen zu tun, oder bei Adel - deine Familie kommt ja aus Ägypten - mit diesem Hintergrund?
AT: Nicht direkt, auf keinen Fall. Es geht bei unserem Album ja mehr so um's Trösten, um Liebe, auch übergreifende Liebe. Das ist vielleicht auch ein Teil von Spiritualität.
Wie soll das Album denn wirken auf die Hörer?
AH: Tröstend. Die Leute sollen das im Auto hören und denken: Mann, die singen ja über mich! "Umarme mich" - das ist ja das Thema von so 'nem Ehrgeizigen, der immer nach oben wollte - ich wette, es gibt Millionen Leute, die so ticken. Wir selber auch - ich könnte sowas nicht schreiben, wenn ich das nicht kennen würde.
Aber man muss sich hüten, in jedem Text was Autobiografisches zu suchen, oder?
AH: Also ich kann nur über Sachen singen, die ich selber kenne. Jedes Gefühl, das in meinen Texten vorkommt, ist gelebt. Und das kennt Adel auch.
AT: Genau - auf eine andere Art manchmal, aber man kennt's. Und das soll auch der Hörer 'rausfinden können. Wenn dann die Leute kommen - und das haben wir schon erlebt - und sagen "Hier geht's um mich", dann sage ich: Super, so soll es sein!
Wie war denn die Arbeitsteilung bei der Musik?
AH: Adel ist mehr für grooves, Sounds vom Schlagzeug und sowas zuständig und ich für die harmonischen Geschichten.
Das Album steht auf einer elektronischen Basis.
AH: Na die Gitarren sind schon von 'nem Gitarristen gespielt.
AT: Natürlich ist das heute auch nicht mehr.
AH: Aber hier hört man's wirklich!
AT: Wir haben noch jemanden, der vor'm Rechner sitzt und uns unterstützt. Wenn wir dann dasitzen, Annette hat 'nen Text, schon die ersten Harmonien: dann wird gebastelt.
Hattet ihr so ein korrigierendes Ohr - das, was auch Aufgabe des Produzenten ist?
AH: Das war manchmal schwierig. Wäre manchmal gut gewesen.
AT: Deswegen hat's auch so lange gedauert.
AH: Aber es wäre auch schwierig gewesen - ich mach' das schon so lange und lass mir so schnell nichts erzählen, auch nicht reinreden. Wir haben keinen gefunden, dem ich mich musikalisch so überlassen hätte. Deswegen haben wir's uns auch nicht leicht gemacht. Soll es so sein - soll es anders sein. Oft fallen einem tausend andere Wege ein, wie's auch noch hätte sein können. Es war manchmal sehr anstrengend.
Jetzt kann man vor Veröffentlichung der ersten Platte schwerlich über die zweite reden...
AH: Also wir hätten schon 5 neue Titel für das nächste Album.
AT: Aber natürlich schauen wir, was passiert und sind sehr gespannt. Ob wir die selbe Energie nochmal aufbringen können - kann man jetzt gar nicht sagen.
Weitere Infos: www.ich-und-ich.de