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SUSAN O'NEILL

Das gemeinsame Schweben

SUSAN O'NEILL

Die irische Songwriterin (und Filmemacherin) Susan O'Neill hat ihre Karriere sozusagen in Kapiteln organisiert. In ihrer Jugend übte sich die Musikerin aus dem kleinen Ort Ennis im irischen County Clare als jüngstes Mitglied der Ennis Brass Band (Susan spielt zusätzlich zum üblichen Rock-Instrumentarium auch noch Trompete) und dem Truly Joyful Gospel Choir - zwei Dinge, die auch für ihre heutigen Arbeiten als wesentlich herausstellen sollten. Nachdem sie dann einige Zeit in lokalen Bands verbracht hatte, brachte sie 2018 ihr erstes eigenes Album heraus, dass sie unter dem Akronym ihres Namens als „SON“ veröffentlichte. 2020 traf sie auf den irischen Songwriter-Kollegen Mick Flannery (seines Zeichens in seiner Heimat ein veritabler Superstar) und nahm mit ihm den Song „Baby Talk“ auf, der sich als so erfolgreich herausstellte, dass Susan und Mick sodann ein ganzes Album namens „In The Game“ aufnahmen, durch das Susan auch in unseren Breiten bekannt wurde. Danach wollte sie das „SON“-Projekt dann aber nicht weiterführen, weil sie mittlerweile ja auch unter ihrem eigenen Namen populär geworden war. Deswegen testete sie ihre inzwischen deutlich weiterentwickelten Fähigkeiten als Songwriterin und insbesondere auch Sängerin mit der EP „Now You See It“ auf der sie auch für sie neue musikalische Wege beschritt – was dann letztlich zu der jetzt vorliegenden LP „Now In A Minute“ - dem ersten LP unter ihrem eigenem Namen – führte.

Wie ist Susan O'Neill zur Musik gekommen? Hat das vielleicht mit dem Schreiben von Gedichten angefangen – denn darauf deuten ihre doch sehr lyrischen, poetischen Songtexte hin?

„Nein – die Gedichte waren für mich eine Möglichkeit als Teenagerin mit meinen Gefühlen umzugehen und mich auszudrücken“, führt Susan aus, „im wesentlichen habe ich die Vielzahl von Gefühlen, die ich damals nicht verstehen konnte, damit auf eine möglichst einzigartige Art verarbeitet.“

Viele von Susans Kolleg(inn)en beschreiben das so, dass sie durch ihre Musik zum Ausdruck bringen können, was ihnen alleine mit Worten nicht möglich wäre.

„Oh – das ist sicherlich sehr wahr“, meint Susan, „wenn ich beispielsweise einen Song ohne Worte singe und lauthals Gebrabbel herausschreie, können die Zuhörer dennoch die Emotionen, die ich vermitteln möchte, verstehen – weich, sanft, grob oder harsch."

Aber um noch mal auf die Texte zurückzukommen. Wenn nicht die Poesie das Ausschlaggebende ist: Was möchte Susan denn über ihre Texte vermitteln?

„Ich versuche gerne immer etwas zu schreiben, das vielleicht auf zwei oder drei verschiedene Arten interpretiert werden kann“, führt sie aus, „es gibt zum Beispiel einen Song namens 'Drive' auf dem Album. Der ist für mich ziemlich geradlinig. Es ging mir darum, meine Schwächen und Imperfektionen zu vereinnahmen, um darüber die Verfügungsgewalt zu haben, damit mir nicht etwa ein außenstehender Beobachter diese Kraft nehmen könnte, die ich für die schwierigeren Dinge bräuchte. Dann gibt es aber andere Songs wie 'Hail', die dann von vorneherein viele verschiedene Bedeutungen haben. Der Song ist vielleicht drei oder vier Ebenen tief und handelt von der menschlichen Erfahrung von Träumen und Tod und Lebenszyklen auf die ich auf einer Tag zu Tag Basis blicke. Ich schreibe also etwas auf – versuche dann aber es zu verbiegen und zu behandeln, bis es zur Form eines Songs passt."

Wenn Susan in ihren Songs zu jemandem spricht: Ist sie das vielleicht manchmal sogar selber?

„Das ist eine gute Frage“, überlegt Susan, „ich habe nie darüber nachgedacht, zu mir selber zu singen. Aber wenn ich zu jemandem singe, ist es nicht unbedingt eine einzelne Person, sondern es geht um viele Leute. Manchmal geht es sogar um Archetypen von Menschen. Es gibt da zum Beispiel den Song 'Tijuana' – der in etwa von einer Beziehung handelt. In meinem Kopf geht es aber um den Archetypen, der nicht vom Alkohol loskommt und nicht mit dem Leben zurechtkommt. Es ist eine erfundene Geschichte – denn ich war noch nie in Tijuana."

Geht es Susan auch darum, Dinge des täglichen Lebens zu verarbeiten und so sich selber besser verstehen zu können?

„Definitiv“, bestätigt Susan, „ich denke, das machen viele Schreiber. Es geht um eine Widerspiegelung des Ich."

Dabei scheint die Natur in Susan's Lyrics eine große Rolle zu spielen.

„Ja, das ist ja auch das Schönste was es gibt“, führt Susan aus, „je mehr ich mich in der Natur aufhalte, desto weniger tanzt mein Ego in dem Ecken meines Bewusstseins herum. Alles macht dann mehr Sinn. Ich denke, die Natur ist der einzige Bereich auf der Erde, der gesund und begreifbar ist. Wenn ich mich nicht in der Natur aufhalte, dann werde ich schnell unsicher und verwirrt. Ich würde dabei gar nicht mal sagen wollen, dass ich dabei die Natur benutze, sondern, dass sie einfach diese Wirkung hat, mich zu beruhigen. In diesen Augenblicken weiß ich dann auch ganz genau, dass das der Ort ist, an dem ich mich aufhalten sollte – dass das sozusagen das Natürlichste von der Welt ist."

Inwiefern lässt sich Susan O'Neill als Musikerin denn von der Natur – oder vielleicht sogar von der Musik selbst – leiten?

„Enorm“, meint sie sehr bestimmt, „ich glaube, dass Musik und Emotionen miteinander verwoben sind. Gefühle evozieren manchmal Musik oder die Musik holt sich die Emotionen an Bord und dann schweben sie gemeinsam. Die Worte kommen für mich dann erst als Drittes dazu. Sie sind ein Extra-Vehikel, dass sich in das Vorhandene einbindet. Ich weiß, dass andere Musiker vielleicht anders darüber denken, aber für mich ist es die kraftvollste Möglichkeit, die Sache als Songwriterin anzugehen."

Geht es dabei auch daran, die Magie oder das Göttliche anzuzapfen (wie einige Kolleg(inn)en von Susan das ausdrücken?

„Es gibt bei allen Menschen die Schreiben oder sich sonstwie künstlerisch betätigen, dieses Bewusstsein und dieses Bedürfnis, die Wahrheit und das Reine oder – wie Du sagst – das Göttliche anzuzapfen. Denn es ist ja in jeder Blume und in jedem Regentropfen zu finden. Du brauchst dabei gar nicht so lange danach zu suchen. Wenn Du aufhörst zu suchen, dann manifestiert es sich sowieso. Ich denke, das ist das große Paradox dabei: Wenn man drüber nachdenkt, dann verflüchtigt es sich. Deswegen versuch ich gar nicht, mich in dieser Hinsicht allzusehr darin hineinzusteigern – ich bin mir aber klar, dass ich den Dingen, wie wir ansonsten nicht greifen können, irgendwie Respekt zollen muss."

Geht es dann überhaupt noch darum, Geschichten zu erzählen?

„Nun Geschichten erzähle ich ja zwischen den Songs – eine kleine Geschichte, eine Anekdote, eine Fabel oder einen Witz. In Irland gibt es je eine große Tradition der Geschichten-Erzähler. Shanachies – wie wir sie nennen – Leute also, die herumreisen – vielleicht mit einem Instrument – die Geschichten erzählen, an denen sie ihr ganzes Leben gearbeitet haben. Ich würde mich selbst aber nicht als Geschichtenerzählerin bezeichnen, aber es ist auf gewisse Weise mit dem verbunden, was ich tue."

Und wie sieht sich Susan O`Neill dann als Sängerin?

„Ich liebe es, alle möglichen Genres zu singen“, erklärt sie, „wenn ich singe, dann versuche ich nicht zu sehr über die Töne nachzudenken, sondern über das Gefühl, das ich vermitteln möchte. Ich fühle das Fühlen. Das fühlt sich an, als versuche ich mit meinem Kopf zu fühlen und mit meinem Herz zu denken. Darin kann ich mich geradezu verlieren."

Aktuelles Album: Now In A Minute (Star House Collective)


Weitere Infos: https://susanoneill.ie

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