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SOPHIE CHASSÉE

Die Theorie des Abrechnens

SOPHIE CHASSÉE

Es gibt ja so Begriffe wie „Ausnahmekünstler(in)“, „handwerklich brillant“, „Allround-Talent“ oder „virtuos“ die es aufgrund ihrer eigentlich nichtssagenden Ambivalenz im Zusammenhang mit Künstlern eigentlich zu vermeiden gilt – die aber dummerweise auf die Songwriterin und Multiinstrumentalistin Sophie Chassée zutreffen. Das liegt auch daran, dass Sophie sich für ihre Karriere als Solo-Künstlerin das Nischen-Genre „Modern Acoustic Fingerstyle“ ausgesucht hat. Das heißt: Genau genommen ist das kein Genre, sondern eine Spieltechnik, bei der die akustische Gitarre mit einzelnen Fingern angeschlagen wird, Akkorde keine so große Rolle spielen und die perkussiven Aspekte des Spiels durch Traktieren des Gitarrenkorpus eingebunden werden. Das eignet sich dann vorwiegend für Songs mit folkig/bluesig/jazzigem Stil, die – je nach gesanglicher Neigung – dann auch mit Pop-Elementen versehen werden können.

In dieser Gemengelage hat Sophie auch ihre Alben „Initiation“, „New Chapters“, „Progress“, „Lesson Learned“ und nun auch das fünfte Werk, „Attachment Theory“ angelegt. So weit so gut: Das ist dann aber nur ein Teil dessen, was Sophie als Künstlerin ausmacht. Nachdem die gelernte Instrumentenbauerin ihren Lebensunterhalt auch als Gitarren- und Bass-Lehrerin bestreitet, ist es vor allen Dingen aber ihre Rolle als Session-Musikerin, die sie auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht hat. Neben einer Zeit in dem eigenen Bandprojekt Karanoon verdingte sie sich unter anderem als Tour-Bassistin für Alli Neumann und zuletzt Annenmaykantereit, mit denen sie auch den größtmöglichen (Festival)-Bühnen gestanden hatte und dort auch Fans für ihre Solo-Karriere „rekrutieren“ konnte. Während die ersten vier Alben – auch im Titel – den Lernprozess ihrer musikalischen Laufbahn nachzeichneten, ist „Attachement Theory“ nun von einem ganz anderen Kaliber und zeigt Sophie – verletzlich und verletzt – in einem ganz persönlichen songwriterischen Umfeld, wo sie mit diesen und jenen Unbilden abrechnet.

„Na ja – man könnte das auch als mein Rache-Album bezeichnen“, geht Sophie sogar noch einen Schritt weiter, „Ich rechne da mit allerlei Sachen ab – beispielsweise mit meinem Vater in dem Song 'Like Fathers Do' und auch mit der Person die mich im Rahmen einer üblen Trennung verlassen hat. Auf jeden Fall ist das ein regelrechtes Abrechnungsalbum geworden.“

Dass jemand vom Status einer Sophie Chassée in seiner eigenen Arbeit so persönlich wird, ist dann doch eher ungewöhnlich. Wie gewichtet Sophie eigentlich das Geschäftliche und das Kreative?

„Nun ja – seit ich den Job bei Annenmaykantereit habe ist es ja solo für mich auch weiter nach vorne gegangen“, berichtet Sophie, „auch mit dem neuen Album verändern sich gerade einige Dinge. Da kommen aber viele Sachen drumherum hinzu, die gar nichts mit der Kreativität zu tun haben – wo ich dann auch manchmal sitze und denke: 'Boa – eigentlich will ich doch nur Musik machen und mich mit dem ganzen Kram drumherum gar nicht beschäftigen'. Aber ich muss sagen, dass meine eigene Musik für mich immer eine Art Freiheit bedeutet. Ich bin meine eigene Chefin, ich mache meine eigenen Konzerte und ich kann im Prinzip machen, was ich will und fühle. Natürlich gibt es Jobs wie den als Bassistin wo ich denke – okay, das ist jetzt einfach 'For the money'. Das hat natürlich nichts mit einer kreativen Verwirklichung zu tun, aber ich muss ja auch gucken, wo die Kohle herkommt.

Ist das Album jetzt entstanden, weil Sophie gerade Zeit hatte oder sich die Sachen von der Seele schreiben musste? Mit welcher Zielsetzung wurde es angegangen?

„Also ich musste mir das unbedingt von der Seele schreiben – ganz klar“ führt Sophie aus, „und ich habe auch einfach Bock zu sagen: 'So – jetzt pusche ich das mal richtig nach vorne'. Denn für viele bin ich ja Sophie, die Bassistin von Blablabla – und viele wissen ja auch gar nicht, dass ich diese Solo-Geschichten mache. Ich wollte aber auch mal neue Sachen in der Produktion ausprobieren auch um Solo weiterzukommen; denn 'Attachement Theory' ist ja doch auch musikalisch ein bisschen anders als die anderen Alben.“

In der Fingerstyle-Szene geht es ja auch viel um Virtuosität und Konkurrenz. Was hat Sophie denn unternommen, um das neue Album in eine andere Richtung zu lenken?

„Ich wollte dann vor allem in der Produktion einmal Sachen ausprobieren, bei denen mir egal war, was andere von mir denken könnten und ob das in das Klischee Fingerstyle und/oder Songwriterin passt. Ich habe dabei Gitarre, Bass und Klavier selber eingespielt und mich dann nur beim Schlagzeug und bei den Synthie-Sound unterstützen lassen. Und ich habe mit Streichern zusammengearbeitet."

Was ist denn – nicht als Technikerin und Musikerin sondern als Songwriterin – die größte Herausforderung für Sophie?

„Das ist eine gute Frage. Ich glaube intuitiv würde ich sagen, zu erreichen, dass die Leute mir zuhören und dass es mir gelingt, die Leute abzuholen. Sei es durch die Musik oder den Text. Ich finde es auch unglaublich schwierig, ein Alleinstellungsmerkmal herauszuarbeiten, damit man nicht in einem Brei von Gleichartigem untergeht."

Sophies Texte – zumindest auf diesem Album – sind nicht nur persönlich, sondern scheinen Bestandteil von Konversationen mit dem jeweiligen Gegenüber zu sein.

„Ja total“, pflichtet Sophie bei, „das kommt daher, dass die Sachen mit Marie, meinem Vater, der sich aus dem Staub gemacht hatte oder meiner Oma, die verstorben ist, Dinge sind, die ich bis heute einfach noch nicht begriffen habe. Psychologisch weiß man das ja auch, dass diese Gedanken dann im Kopf kreisen und irgendwann führt man dann diese Gespräche mit sich selbst. Irgendwann habe ich dann angefangen, die Sache einfach genauso auch runterzuschreiben, wie ich sie in meinem Kopf gedacht habe.“

Hilft dieser Ansatz dann auch, eine gewisse Empowerment-Attitüde zu entwickeln?

„Auf jeden Fall“, bestätigt Sophie, „vor fünf Jahren hätte ich nicht gedacht, dass ich mal 'Don't Give A Fuck' singen würde. Das gilt auch für die Sache mit meinem Vater. Es ist ja so, dass die Leute von mir oft denken, dass ich einfach das Mädchen mit Gitarre bin. Aber ich merke immer mehr – auch durch die Trennung – dass ich heutzutage eben keinen Fuck mehr gebe. Ich brauche das auch, um mich ein bisschen stärker zu fühlen."

Was war Sophie bei diesem Album denn persönlich am wichtigsten?

„Ich gehe bei einer Album-Produktion gar nicht so sehr nach der Technik“, berichtet Sophie, „es geht mir da eher um das Geschichten-Erzählen. Bei dem Album habe ich sowieso krass darauf geachtet, dass es nicht nur Fingerstyle-Geballere gibt. Man soll zwar wissen, dass es diese eine Seite gibt – aber es gibt auch diese andere Seite, mit der ich mich als Songwriterin präsentiere; und da ist dieses Mal das Experimentieren ganz weit vorne gewesen.“

Um auch noch die Standardfragen anzusprechen: Was ist für Sophie Chassée bei ihrem Job das Schwierigste, und was das Schönste?

„Ahh – da erwischst Du mich gerade in einer guten Phase“, schmunzelt Sophie, „ich bin ja selbständig und für mich ist es gerade das Schwierigste, den Ausgleich zwischen dem Privaten und dem Selbständigsein zu finden und das Ganze auch voneinander zu trennen ohne mich stressen zu lassen. Man tut ja eigentlich etwas, was man liebt und ich will ja eigentlich auch nur Gitarre spielen. Dieser Anteil ist aber zur Zeit so wenig, weil da so unfassbar viel drumherum ist, dass es unfassbar schwierig ist, diesen Ausgleich zu finden, obwohl ich viele Sachen schon abgegeben habe. Deswegen ist es sogar schwierig, die private Sophie zu finden, die einfach mal Fernsehen möchte und nicht auch noch den Steuerkram machen muss. Und ich finde es auch schwierig, Kritik zu differenzieren – mit welcher Kritik kann ich wirklich etwas anfangen und welche Kritik ist einfach nur Quark - etwa von irgendwelchen Leuten, die vor vierzig Jahren mal eine Scheibe abgemischt haben und nun ihren Senf dazu geben müssen. Das nicht an sich heranzulassen, finde ich sehr schwierig, denn man macht sich ja auch verwundbar mit seiner Musik. Das Schönste an meinem Job ist hingegen, dass ich den ganzen Tag das machen kann, was immer schon machen wollte und kann davon leben. Und dass ich viel Herumkomme und viele Leute treffen und viele Kontakte auf einer persönlichen Ebene knüpfen kann. Insbeondere was den Zaunkönig-Song ('Last Journey Of The Wren') betrifft kommen immer wieder Menschen auf mich zu und sagen, wie sehr sie der berührt hat. Das ist ein wunderschönes Gefühl.“

Okay – welche unerfüllten Träume hat Sophie Chassée denn noch so auf Tasche?

„Irgendwann in meinem Leben möchte ich mal ein Feature mit John Mayer machen“, meint sie hoffnungsvoll.

Aktuelles Album: Attachment Theory (Roof Records / Rough Trade) VÖ 06.09.


Weitere Infos: www.sophiechassee.com

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