Mit den leidenschaftlichen Self-Empowerment-Songs ihres Projekts Blush Always adaptiert Singer/Songwriterin Katja Seiffert den Sound des 90er-Jahre-Indierock fürs Hier und Jetzt und besticht auf ihrem fabelhaften Debütalbum ´You Deserve Romance´ nicht nur mit unwiderstehlichen Melodien und großer Dringlichkeit, sondern klingt anders als viele ihrer Peers auch wie eine Künstlerin, deren Liebe zur Musik größer ist als der Wunsch, berühmt zu werden. WESTZEIT traf sie in ihrer Wahlheimat Leipzig zum Gespräch.
„Ich weiß nicht, was der neuen Generation mitgegeben wurde, dass die alle mit 19 das Selbstvertrauen haben, das zu machen. Ich hätte das in dem Alter niemals gekonnt“, sagt Katja Seiffert bei unserem Treffen mit Blick auf all die Teenager, die derzeit in der Pop- wie in der Indiewelt offene Türen einrennen. „Ich habe Zeit gebraucht, auch, um meinen Platz als Musikerin in der deutschen Indie-Szene zu erkennen."Dass sich Katja diese Zeit genommen hat, trägt nun Früchte. Nachdem sie bereits im Frühjahr 2022 mit den vier Songs ihrer Debüt-EP ´Postpone´ ein echtes Ausrufezeichen gesetzt hatte, betrachtet sie mit den abwechslungsreichen Coming-of-Age-Songs ihrer ersten LP romantische Liebe und zwischenmenschliche Beziehungen in all ihren oft schmerzhaften Schattierungen und trifft dabei mit beachtlicher Leichtigkeit den Sweetspot zwischen Emotion, Reflexion und Intimität, während der nostalgisch angehauchte Sound von ihrer Liebe zu Snail Mail zeugt, aber auch ein Faible für die einstigen Wegbereiter dieses Genres wie Smashing Pumpkins, Pavement oder Sonic Youth offenbart.
Anders als viele andere neue Acts, die in der vagen Hoffnung auf den schnellen Erfolg bereitwillig alle Spielchen der Musikindustrie mitspielen, hat sie nicht nur klare Vorstellungen davon, was sie will, sondern vor allem auch davon, was sie nicht will.
„Als ich meine EP releast habe, kam unfassbar viel Musik von jungen Frauen, die Gitarrenmusik machen, gleichzeitig raus, und da konnte man uns alle schnell in eine Schublade stecken“, sagt sie. „Das ist ok, denn wir mögen uns alle untereinander, aber ich glaube, es ist trotzdem wichtig, dass wir alle unseren eigenen Weg gehen oder unseren eigenen Platz in dieser Szene verstehen, und dafür braucht man erst mal Zeit: Live spielen, gucken, was gefällt einem eigentlich, wie möchte man sich auf der Bühne präsentieren, wie kommt man an, wie kommt man vielleicht auch nicht an? Passt man auf große Bühnen, passt man auf kleine Bühnen, all solche Sachen. Ich gehe den Release des Albums jetzt noch selbstbewusster an, weil ich weiß, Blush Always ist nicht … Mainstream!"
Sie lacht, aber trotzdem sorgt genau diese Erkenntnis dafür, dass sie sich auf ´You Deserve Romance´ wohltuend von all den Bands absetzt, die vorgeben, Indie oder Alternative zu sein, aber schon bei ihren ersten Auftritten und Veröffentlichungen nach Kommerz klingen.
27 ist Katja inzwischen, doch die Musik begleitet sie praktisch schon ihr ganzes Leben lang. Auf die musikalische Früherziehung folgt Klavierunterricht mit fünf, später spielt sie Querflöte im Orchester und schreibt, gefördert von ihrem Klavierlehrer, der ihr Talent fürs Songwriting erkennt, als Teenager erste Klavier-Popsongs.
„Ich war ein typisches Musikschulen-Kind“, sagt sie rückblickend. Der aufkommende Wunsch, in einer Band zu spielen, wird da noch überlagert von der lähmenden Bühnenangst, die später den Namen ihres Projekts inspiriert.
Das Blatt wendet sich allerdings, als sie nach dem Abitur mit 18 für eine Weile nach Neuseeland reist, dort in die faszinierende Kunst- und Musikszene der Metropole Auckland eintaucht und regelmäßig All-Ages-Shows besucht, die ihr eine völlig neue Welt eröffnen.
„Meine einzige Konzerterfahrung bis zu dem Zeitpunkt war Avril Lavigne in irgendeiner Riesenarena, und das war auch meine Vorstellung, dass man ein Star sein muss, um auf einer Bühne zu stehen“, sagt sie. „Zu sehen, dass Gleichaltrige, dass Frauen Rockmusik machen, E-Gitarren spielen, DIY-Shows auf die Beine stellen, das hat mich unfassbar inspiriert."
Zurück in Deutschland zieht Katja fürs Studium von Duisburg nach Kiel, doch im Reisegepäck hat sie auch den Wunsch, Gitarre in einer Rockband zu spielen. Für eine Weile ist der Traum allerdings nicht mehr als eine vage Idee, denn die bohrenden Selbstzweifel sind zunächst noch zu groß.
„Es hat noch ungefähr vier Jahre gedauert, bis ich tatsächlich angefangen habe, Gitarre zu lernen“, erinnert sie sich. „Irgendwann wusste ich, ich muss das jetzt einfach machen, ich komm nicht mehr drum herum. Ich hatte das Gefühl, dass sich das aufgestaut hat. Ich habe dann schnell gemerkt, dass Songwriting auf der Gitarre noch viel leichter ist als auf dem Klavier, vor allem, wenn man die Gitarre umstimmt und offene Tunings benutzt. Ich habe auch gar nicht lange Songs gelernt, sondern relativ schnell angefangen, selbst zu schreiben, und dann kam es so aus mir rausgesprudelt."
30, 40 Lieder schreibt Katja innerhalb eines Jahres und findet auch schon bald Leute, die mit ihr erste Konzerte in Kiel spielen.
„Eines dieser Konzerte, ich glaube, es war das zweite oder dritte, hat dann Lennart von den Leoniden gesehen und meinte, er findet die Songs supergut. Dann kam die Pandemie, die Leoniden hatten Zeit und haben mit mir meine EP aufgenommen. Das heißt, vom Zeitpunkt, wo ich angefangen habe, Gitarre zu lernen, bis zu dem Punkt, wo meine erste professionelle EP im Studio aufgenommen wurde, sind nicht mal zwei Jahre vergangen! Ich bin sehr glücklich, dass das so passiert ist, denn ich wüsste nicht, was ich ohne Songwriting jetzt machen würde."
Wertvoll war die Zusammenarbeit mit den Leoniden für Katja aber nicht nur, weil dabei die ´Postpone´-EP entstanden ist und sich viele Türen im Musikbusiness öffneten.
„Das Allerwichtigste war, dass ich Leute getroffen habe, die auf mein Songwriting vertrauen“, erklärt sie. „Dieses zweite Konzert, das war definitiv nicht gut, das heißt, Lennart kann da nicht gestanden und gedacht haben: Oh, wow, die spielen total klasse! Das bedeutet, er hat erkannt, dass das Songwriting gut ist, und ich glaube, das habe ich gebraucht. Die Leoniden haben mir einfach Selbstvertrauen gegeben und das Gefühl, dass das, was ich tue, wertvoll ist.“
Dieses Selbstvertrauen ist nun auch auf ´You Deserve Romance´ allgegenwärtig. Ehrlich, unverstellt und echt klingen die Lieder der LP und werden so in einer Musikwelt, die immer stromlinienförmiger wird, zu etwas Besonderem. Mühelos gleitet Katja über emotionale Zustände, Leichtigkeit und Schwere, ganz egal, ob es in ´Virtual For You´ um die Unwirklichkeit einer Facetime-Romanze geht, um Songs, die man nach einer entzweiten Beziehung nicht mehr hören mag, wie in ´Divers´, oder das Gefühl des frisch Verliebtseins in ´Oddly Romantic´. Nicht immer müssen es dabei die ganz großen Emotionen sein: ´At Home´, Katjas Hommage an das Alleinsein, funktioniert auch prima als Hymne für alle introvertierten Stubenhocker. Wenn sie in ihren Songs nicht zuletzt auch der Frage nachspürt, warum sie sich in der Vergangenheit immer wieder in toxische Beziehungen verstrickt hat, wird schnell deutlich, dass diese Songs in erster Linie an die Autorin selbst gerichtet sind, und auch der Sally Rooneys aktuellem Buch „Beautiful World, Where Are You?“ entlehnte Albumtitel funktioniert als „Note to self“.
„Meine Texte müssen nicht kompliziert sein, aber sie müssen ein bestimmtes Gefühl einfangen“, erklärt sie. „Es ist oft so, dass ich die Songs in dem Moment schreibe, in dem ich eine Emotion spüre. Genau in dem Moment setze ich mich hin und schreibe den Song, und meistens schreibe ich ihn dann auch komplett fertig von vorne bis hinten. Was dann aus mir rauskommt, ist allein deswegen schon echt, weil die Situation echt war. Das heißt auch, dass ich meine Texte nicht groß hinterfrage. Expressives Songwriting in emotionalen Situationen, das ist dieses Album."
Die „First thought, best thought”-Herangehensweise, die sich dahinter versteckt, wendet Katja nicht nur auf die Texte, sondern gerne auch auf die Musik an.
„Ich bin froh, nicht Musik studiert zu haben“, sagt sie und meint damit nicht nur den Druck, wenn man alles auf eine Karte setzt, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
„Mein Musikmachen ist davon geprägt, dass ich keine Ahnung habe, was auf meinem Gitarrengriffbrett passiert. Blush Always basiert ein bisschen darauf, dass es random ist, was für Akkorde da kommen. Ich frage nie, ob es noch eine bessere Akkordfolge geben kann. Wenn ich etwas spiele, das sich gut anhört, dann ist das gesetzt und ich benutze das für den Song. Diese Naivität macht, glaube ich, mein Songwriting aus."
Für die Aufnahmen zur LP hatte Katja Unterstützung von Produzent Magnus Wichmann, der schon ihre EP betreut hatte, und den Musikern Dave Rossel an der Gitarre, Dennis Behrendt am Schlagzeug und Christian Lincke am Bass, mit denen gemeinsam sie die Lo-Fi-Versionen ihrer Songs facettenreich ausarbeitete.
„Wir haben uns eine Woche im Studio getroffen und haben uns für jeden Song einen Tag Zeit gegeben“, erzählt sie. „Das waren dann so 13-Stunden-Tage, und wir haben es tatsächlich geschafft, am Ende dieser Woche acht Songs arrangiert zu haben. Dann sind wir noch mal ins Studio gegangen, um sie aufzunehmen, und das war wirklich eine magische Woche, denn obwohl wir uns vorher nicht kannten und uns dort zum ersten Mal getroffen haben, hatte ich das Gefühl, dass sie alles, was ich mir vorstelle, sofort verstehen. Das hat so perfekt funktioniert, dass ich sie deshalb auch gefragt habe, ob sie meine Live-Band sein wollen, und zum Glück haben sie Ja gesagt. Es ist wirklich eine sehr romantische Geschichte, wie ich über dieses Album meine Band gefunden habe!"
Gleich nach der Veröffentlichung von ´You Deserve Romance´ – übrigens am internationalen Tag des Herzens, das kann doch kein Zufall sein! – startet dann auch die erste Blush-Always-Headlinetournee mit Konzerten in Leipzig, Berlin und Kiel, bevor der Rest von Deutschland im Januar 2024 an der Reihe ist. Auch wenn Katja die Bühnenangst ihrer Kindheit und Jugend inzwischen überwunden hat, begegnet sie der Aufgabe, als Frontperson auf der Bühne zu stehen, immer noch mit gehörigem Respekt, trotzdem – oder gerade deshalb – will sie auch dabei ihren eigenen Weg gehen, und das nicht nur, weil sie, statt ein schnödes Banner mit dem Bandnamen aufzuhängen, lieber herrlich altmodische Röhrenfernseher auf die Bühne stellt, über die das Logo der Band flackert. Auch auf billige Publikumsanimationen und vorhersagbare Mitmachnummern, die heute selbst in der Indiewelt gang und gäbe sind, will sie verzichten.
„Ja, definitiv! Ich würde mich sonst nach jedem Konzert in Grund und Boden schämen – und das will ich ja gerade nicht mehr tun!“, sagt sie mit einem augenzwinkernden Verweis auf den Bandnamen. „Ich will dahin kommen, dass ich ein Konzert spielen kann und auf der Bühne so bin, wie ich mich fühle, und danach sagen kann: Das war ich, das war cool! Ich glaube nicht, dass ich jemals Menschen dazu auffordern werde, in die Knie zu gehen und hochzuspringen."
Sie lacht. „Und wenn doch, dann kannst du mich gerne anrufen!"
Tatschlich hat Katja ähnlich wie bei ihren Songs klar definierte Vorstellungen davon, was ein gutes Konzert für sie ausmacht, als Performerin, aber auch als Zuschauerin. „Es geht mir ganz klar um die Musik“, sagt sie bestimmt. „Ich würde auch unterscheiden zwischen Konzert und Show. Ich gehe eigentlich ausschließlich auf Konzerte, die deutsche Musiklandschaft dagegen präsentiert eigentlich fast ausschließlich Shows. Deshalb finde ich es teilweise auch so schwer, da reinzupassen, gerade auf Festivals, wo etwas anderes erwartet wird. Wenn ich auf Konzerte gehe, dann sind mir die Songs oder die Energie, das Feeling, das in den Songs rüberkommt, wichtig und ob mich das irgendwie berührt. Oft schalte ich auch ab, wenn ich auf einem Konzert bin, und mache mal die Augen zu, um das Ganze zu spüren. Das ist das Gegenteil von ‚Ich mache mit und gucke genau, was auf der Bühne passiert‘, es ist eher ein ‚Schafft es die Band, mich in einen Zustand zu bringen, wo ich mich verliere und in der Musik versinke?‘ Das finde ich ziemlich cool."
Aktuelles Album: You Deserve Romance (Embassy Of Music / Zebralution)
Weitere Infos: www.blushalways.com Foto: Hannes M. Meier