Raus aus der Gosse, hinauf auf den Rock-Olymp: Mit einem ausgeprägten sozialen Gewissen, pointiert-augenzwinkernder Working-Class-Lyrik, einer tief verwurzelten Liebe zu ihrer Heimatstadt Dublin und einem facettenreichen Sound aus Garagen-Rock´n´Roll und Post-Punk wirbeln die irischen Senkrechtstarter Fontaines D.C. im Dunstkreis ihrer ganz ähnlich gepolten Labelmates Idles schon eine ganze Weile gehörig Staub auf. Jetzt erscheint ihr mitreißendes Debütalbum ´Dogrel´.
Manchmal hat man das Gefühl, dass Fontaines D.C. ihr Glück selbst nicht fassen können. Schließlich waren Sänger Grian Chatten, die Gitarristen Carlos O´Connell und Conor Curley, Drummer Tom Coll und Bassist Conor Deegan II (alias Deego) zuvor allesamt in musikalischen Projekten ohne große Zukunft aktiv.„Über die Zeit sind wir echt alle in Scheißbands gewesen“, gibt Deego gegenüber Westzeit zu. „Die merkwürdigste davon war die elfköpfige ägyptische Prog-Band, in der Grian Schlagzeug spielte und ich Klavier.“
Doch auch der erste Fontaines-D.C.-Proberaum in einem Keller im nicht gerade als Nobelviertel verschrienen Stadtteil The Lotts deutete nicht unbedingt auf eine Weltkarriere hin.
„Das war das reinste Drecksloch mit einer kaum funktionsfähigen PA, aber sie haben uns drinnen rauchen lassen, und das war damals alles, was zählte“, erinnert sich Deego. „Es war in diesem ständig von Feedback geplagten Raum, dass unser alter Gitarrist Josh O´Connor uns ´die beste Band der Welt´ taufte. Das war natürlich ein Scherz, denn wir konnten kaum unsere Instrumente spielen und nur mit Mühe und Not einen Song zusammenbasteln, aber als wir den Proberaum verließen, haben wir das alle tief in uns drin dennoch irgendwie geglaubt.“
Einige wenige Singles später greifen Fontaines D.C. mit ´Dogrel´ nun nach den Sternen. Ihre Anfänge hat die Band, die sich selbst als „ambitioniert, kunstfokussiert und weichherzig“ bezeichnet, darüber allerdings nicht vergessen. Bodenständigkeit zeichnet sie auch zwei Jahre nach der ersten Veröffentlichung genauso aus wie echte Authentizität – auch wenn der wachsende Erfolg das Leben der Musiker ganz schön umgekrempelt hat und sie inzwischen kaum noch Zeit daheim verbringen. Mit den Texten ihrer Songs ist Dublin allerdings auch Tausende Kilometer weit weg gewissermaßen nur einen Steinwurf entfernt. Dabei inspiriert Fontaines D.C. die zunehmende Gentrifizierung ihrer Heimatstadt genauso wie der Umgang der Menschen in der irischen Hauptstadt mit dem Verschwinden von oft jahrzehnte- oder gar jahrhundertealten Traditionen.
„Der Verlust von Tradition und Geschichte macht Dublin und Irland ganz allgemein viel amerikanisierter und homogener“, ist Deego überzeugt. „Wenn wir mehr dafür gekämpft hätten, unsere Sprache und Traditionen beizubehalten, hätten sie uns als Schutz vor diesen Kräften dienen können, ähnlich wie das in Spanien der Fall ist. Falls sich nichts ändert, bleibt uns nun nichts anderes mehr übrig, als am Totenbett unserer Traditionen zu singen.“
Die Angst, dass ein Festhalten an Althergebrachtem zum Stillstand führen könnte und die einst kulturell, sozial wie politisch so lebendigen Arbeiterviertel Dublins schlimmstenfalls zu ihrem eigenen Museum verkommen könnten, weil die Realität der modernen Welt von Nostalgie verhüllt wird, teilen Fontaines D.C. nicht.
„Nostalgie macht sich erst breit, wenn die Kultur vollkommen verschwunden ist“, glaubt Deego. „Solange wir aber weiter in den Pubs singen und unser Obst auf der Moore Street kaufen, ist sie quicklebendig.“
Trotzdem muss der Bassist nicht lange überlegen, was sein Ziel wäre, wenn ihm eine Zeitmaschine in die Hände fallen würde. Zuerst würde er in die 1920er-Jahre zurückreisen, mit dem Ziel, all die großen irischen Autoren kennenzulernen,
„auch wenn man vermutlich durch halb Europa gondeln müsste, um sie alle aufzutreiben“, und zum Osteraufstand des Jahres 1916, um Éamon de Valera und seine Mitstreiter zu treffen. In puncto Musik dagegen wäre das Amerika der 1960er-Jahre Deegos Ziel.
„Ich würde auf jeden Fall versuchen, The Velvet Underground und The Beach Boys zu treffen“, verrät er abschließend, „und Phil Spector – bevor er durchgedreht ist.“
Aktuelles Album: Dogrel (Partisan / PIAS / Rough Trade)
Weitere Infos: fontainesband.com Foto: Molly Keane