Dass Sophie Hunger ihren eigenen Kopf hat und nicht unbedingt das macht, was von ihr erwartet wird, bewies sie ein ums andere Mal, seit sie vor 10 Jahren mit ihrer zweiten LP ´Monday's Ghost´ auch außerhalb ihrer Schweizer Heimat bekannt wurde und mit ihren multilingualen, stilistisch bemerkenswert vielseitig aufbereiteten Art-Pop-Songs insbesondere auch hierzulande für Furore sorgte – und nebenbei auch als Kolumnistin und Filmkomponistin tätig ist.
Dennoch dürfte selbst eingefleischte Fans die Konsequenz überraschen, mit der sie anlässlich der Veröffentlichung ihres neuen Albums ´Molecules´ eine Reihe radikaler Richtungswechsel einschlug. Nach den Arbeiten am letzten Album ´Supermoon´ nutzte Sophie Hunger eine persönliche Trennungs-Geschichte nicht nur als Inspirationsquelle vieler neuer Songs, sondern auch für einen Ortswechsel und zog nach Berlin. Dort fand sie dann in der dortigen Elektronik-Szene auch Anregungen für eine neue musikalische Ausrichtung und entschloss sich zudem, erstmals ein komplettes Album auf Englisch einzuspielen.Das neue Album heißt ja schlicht ´Molecules´. Es stellt sich da die Frage, ob es neben der Musik auch die sprachliche Ausrichtung neu aufgestellt werden musste?
„Ja ich habe mich in der Zeit in der ich an dem Album arbeitete viel mit wissenschaftlichen Sachen beschäftigt. Ich habe zum Beispiel Bücher gelesen über Junk-DNA – das ist ein Strang der DNA, von dem man dachte, dass er keine Informationen enthält, was aber nicht stimmt. Und dann habe ich mich mit dem Schweizer Teilchenbeschleuniger CERN beschäftigt. Das hat mich interessiert. Ich habe mich auf diese Weise mit der materialistischen Seite unserer Existenz beschäftigt.“
Und woher kam dieses Interesse?
„Nach den Aufnahmen zu ´Supermoon´ habe ich in den USA eine Schule für Sound, Aufnahmetechnik und ProTools absolviert, weil ich diesbezüglich noch selbständiger sein wollte“, berichtet Sophie, „und da geht es viel um Frequenzen und Luftdruck und solche Sachen. Das war damals ein Teil meiner Wahrnehmung und ich wollte dass das dann auch in der Sprache bzw. im Vokabular sichtbar wird.“
Und in der Musik, denn angeregt von ihrem Umzug nach Berlin, wo sie in die Elektronik-Szene geriet, entschloss sie sich dazu, auf der neuen Scheibe weitestgehend mit elektronischen Elementen zu arbeiten. Dabei näherte sich Sophie – auch als Songwriterin - einem Terrain an, das sie bislang nur gestreift hatte.
„Ja, denn so war ich in der Lage, Emotionen darin zu finden“, erläutert Sophie, „etwa von bestimmten Bassfrequenzen berührt zu sein. Und was mir auch gefiel, war der Kontext mit meiner Stimme – dass mir diese Art von Musik viel Platz für meine Stimme ließ; jedenfalls viel mehr als ein Rock-Set-Up. Wenn man nur einen Drumcomputer und einen Synthie-Bass hat, dann hat die Stimme so viel Platz wie in einer Kirche. Und da habe ich gemerkt, dass das perfekt für mich ist und dass ich da sehr viel gestalten kann.“
Was mit dem neuen Stil einhergeht, ist der Umstand, dass die Texte dieses Mal wesentlich direkter und persönlicher gerieten, als bislang gewohnt. Kann man diese vielleicht – als musikalisches Tagebuch – wörtlich nehmen?
„Neee – denn Musik ist ja doch immer etwas Fiktionales“, überlegt Sophie, „es stimmt aber, das alles direkter und persönlicher ist, denn das Album entstand in so einer Trennungsphase und das war für mich einfach nicht zu ignorieren. Das war der Kontext, in dem dieses Album entstand und ich habe mich dann auch dazu entschlossen, dazu zu stehen und das nicht etwa zu verschleiern.“
Aber auch politische Untertöne kommen ungewohnt deutlich zum Vorschein. So beschäftigt sich Sophie vor allen Dingen mit dem Zerfall der bislang als gegeben hingenommenen politischen und sozialen Strukturen im Angesicht der rasant fortschreitenden Technologisierung.
„Nun ja, neu ist das alles nicht“, meint Sophie, „das letzte Mal, dass neue Technologien ausschlaggebend waren war im 19. Jahrhunderts mit der Industrialisierung. Und wir wissen ja alle, was im 20. Jahrhundert aus diesen Umbrüchen entstand. Ich finde schon, dass das ein wenig unangenehm ist. Vielleicht müssen meine Generation und die nächsten zwei unsere Träume begraben, damit das alles wieder runter kommt.“
Erstaunlich, dass bei all dem kein sprödes Konzeptalbum, sondern eher eine Sammlung anrührender, zugänglicher Pop-Songs herausgekommen ist. Aber wie gesagt: Sophie Hunger hat ihren eigenen Kopf und macht nicht unbedingt das, was man von ihr erwartet.
Aktuelles Album: Molecules (Caroline / Universal)
Foto: Marikel Lahana