Astronaut - freilich will jeder Pöks das einmal werden. Das Leben spielt einem aber nur selten so in die Karten, dass der Heranwachsende es am Ende tatsächlich derart hoch hinaus schafft. Thomas Hübner aka Clueso fing klein an, machte zunächst anderer Leute Haare schön, fand aber seinen Platz in den Weiten des großen Pop-Weltraums. Ein Hörspiel.
Der offiziell erste Raumfahrer war im Jahr 1961 Juri Gagarin. Was in seinem Kopf wohl vorgegangen sein mag, da oben? Was sein Bauch wohl sagte, in diesen jenseits des Schwindel erregenden Höhen? Und wie sich seine Sicht auf die Dinge wohl verändert haben muss, in diesen abstrakten Sphären? Diese Kugel, die sich um sich selbst und alles dreht, sie muss so unfassbar imposant und nichtig zugleich auf Gagarin gewirkt haben. Wie beneidenswert, so weit rauskatapultiert worden zu sein, um für einen Moment mal einen anderen Blick auf alles und sich selbst erhaschen zu können.Ein halbes Jahrhundert später zog auf jener kleinen Kugel Thomas Hübner durch die Sphären des Mainstreams. Bundesvision Song Contest-Gewinner der Herzen, Udo Lindenberg-Buddy, Wetten dass...!?-Gast und Albumchartüberflieger, der an aktuellen Veröffentlichungen von Lenny Kravitz und Leonard Cohen vorbeidüst und auf der Poleposition landet. Ja, vermutlich hat ihm die Kanzlerin auch schon mal die Flosse geschüttelt und gesagt, dass sie seine Musik echt dufte findet. Will man das hören? Will man das lesen? Will man das wissen? Eigentlich nicht, denn viel gibt es in solch einem oberflächlichen Raum nicht zu sagen. Vielmehr ist es sogar äußerst grenzwertig, sich diesen Sphären zu nähern. Schwiegermutters Darling und selbst die beste Freundin findet diesen Typen so grundsympathisch, voll cool und irgendwie knuffig. Langweilig – bis zu dem Punkt, an dem man sich selbst mal etwas locker macht und dem Ganzen eine Chance gibt. Mal schauen, was der Bubi so kann, mal hören, was er zu erzählen hat. Aber besser den Kumpels und der Freundin erst einmal nichts davon erzählen, dass man sich auf die Welt des Thomas Hübner einlässt und seiner Musikgeschichte ein Ohr schenkt.
34 Jahre alt und weit mehr als die Hälfte seines Lebens hat er schon mit Haut und Haar der Musik gewidmet. Von Jam zu Jam gerappt, mit seinen Buddys in Erfurt auf dicke Hip-Hop-Hose gemacht. Von der Schule geflogen, die Lehre zum Frisörmeister abgebrochen. Und was ist aus ihm geworden?
„Gerade fühle ich mich wie ein Astronaut, der seinen Strick abgeschnitten hat und weiß, er wird gleich wieder eingesammelt. Nun ist er sich aber gerade nicht ganz sicher, ob die dann auch wirklich gleich kommen, die ihn eigentlich wieder abholen wollten.“
Übersetzt heißt das: Clueso hat sein neues, sechstes Album ´Stadtrandlichter´ eingetütet und abgegeben, die ersten Leute hören es, aber es gibt bisher kaum Resonanz, nur ein paar lausige Fragen der Schlange stehenden Journalisten. Eine Schwebesituation, die ihn zwar nicht verunsichert, aber doch beschäftigt. Nicht ob eigener Selbstzweifel oder Unsicherheit gegenüber dem, was er da am Ende abgeliefert hat. Diese Unsicherheit gab es aber dennoch, ständig, bis zu dem Moment der finalen Abgabe:
„Mehr ging nicht, ich habe alles gegeben. Und ich bin vom Grundgefühl sehr glücklich mit diesem Album. Das war vorher immer nur zum Teil so.“
Dieses ´Vorher´ ist mittlerweile aber ein anderes Kapitel. Kein schlechtes für Clueso, das bei weitem nicht, aber eben ein abgeschlossenes. Als 2011 das fünfte Studioalbum ´An und für sich´ bei Four Music erschien, war Clueso hierzulande allen ein Begriff. Jeder Versuch, die Katze auch mal gegen den Strich zu streicheln, kam draußen als Wohlklang an und löste sich in breitem Wohlgefallen auf. Das klang in der Rückschau selbst ihm alles zu sehr nach den vier Wänden, in denen all das festgezurrt und verpackt wurde.
„Ich hatte ein schönes Zuhause bei Four Music. Ich hatte meine Freiheit. Aber die besten Ideen kamen dann doch immer aus meinem engsten Umfeld. Es fehlte manchmal schlicht die Möglichkeit für die zündende, kranke Idee. Die Idee, gegen etwas zu gehen, worüber wir uns eigentlich schon längst einig waren. Das hat mir gefehlt.“
Und da die Freiheit nach Vertragserfüllung zur Wahl stand, war es nur die logische Konsequenz, diese unlogischen Entscheidungen voller Inbrunst weiterzuverfolgen: Für ´Stadtrandlichter´ gründete Clueso mit seiner Zughafen-Horde das nach seinem ersten Album benannte Label ´Text und Ton´.
Dieser Umstand ist nur ein kleiner Teil eines veränderten Grundgefühls. Es ist ein weiteres Stück Clueso-Geschichte. Denn Freiheit zu wählen, heißt auch auf Herausforderungen und Hindernisse zu treffen: Nun muss und soll alles in Eigenregie ablaufen, auch die komplette Produktion ebendieses neuen Albums. Denn nur so wird man in seinen kreativen Bewegungen nicht eingeschränkt, ja kann man auch gerne mal die Fehltritte bewusst wagen, um zu sehen, was dabei herauskommt und danach entsteht. Der Weg war kein Zuckerschlecken, wenn man Thomas erzählen hört:
„Wenn du fünf vor zwölf ankommst, bist du um halb durch die Hölle gegangen. Ich speichere aber meine ersten Songideen immer unter „-emo“ ab. Danach sichere ich alle Varianten unter einer neuen Endung. Wenn ich mich verlaufe, nicht weiterkomme, gehe ich zurück auf „-emo“, um zu hören, was es war, was mich damals daran gepackt hat. Es gibt einen Grund für die erste Emotion. Das Warum ist dabei egal, man muss eben nur das Beste mitnehmen und festhalten.“
Aber allzu oft war da auf dem Weg eine Wand, kein Durchkommen zu sich und dem, was man aus sich rauslassen musste. Ein eigener, innerer Druck, der so vieles versperren und undurchsichtig machen, und Weg und Ziel aus den Augen verlieren ließ. Die Leidenschaft, das Loslassen, das Sich-fallen- und -wieder-gehen-lassen haben aber nach Umwegen zurück zu einem Gefühl geführt, das sich gut anfühlte:
„Früher war es ein Film, der einen abholt, auf den man sich einlässt und der auch geil ist, aber bei dem man immer das Gefühl hat: Ich sehe den Kameramann. Nun ist das anders, eher wie ein Hörspiel, das einen selbst entführt, obwohl man dabei war.“
Und diese Entführung klappt eben meist über den direktesten Weg, genau den, der so nahe liegt und der am einfachsten zu gehen ist.
„Wenn es verkopft ist und zum Typ, zur Geschichte, zur Musik passt, wenn man was spürt, dann ist es okay. Wenn aber zu viel Wollen drin steckt, finde ich’s nicht mehr gut. Radiohead sein zu wollen, sie zu kopieren, geht nicht auf. Sich bei ihnen zu bedienen, sich abholen und inspirieren zu lassen, ist gut. Aber es bedarf der eigenen Geschichte, der eigenen Note, um zu begeistern.“
Gold- und Platinalben fallen nicht vom Himmel, sie kommen nicht von ungefähr. Dafür muss man Mainstream sein, ihn durchlaufen und sich auch mit dessen Modrigkeiten arrangieren. Herr Hübner kriegt das hin. Weil er sich die Freiheit bewahrt hat, zu atmen und Luft an sein Hirn zu lassen, das permanent rattert und weiter will.
„Musik mache ich nicht im Sitzen, sondern ich springe auf, laufe herum im Raum. Musik ist für mich wie eine Art Batterie, die aufgeladen werden muss, damit man sich an ihr aufladen kann.“
Deshalb sind Skizzen eben keine Songs. Deshalb sind Songs meist lange Prozesse, egal ob man am Ende wieder ganz nah an der ursprünglichen Skizze strandet. Diese Art und Weise wie Clueso Musik macht, ist reines Passieren. Also fragt er sich auch niemals, ob die Menschen da draußen den Track brauchen, ob die Zeilen, die er schreibt, überhaupt gehört werden möchten. Songs, die derartige externe Ziele verfolgen, gehen ihm ab. Davon hat er sich freigemacht:
„Ich erzähle natürlich keine Geschichten, die noch nie zuvor erzählt wurden. Ich suche nur nach einer Art und Weise. Einer Art und Weise, Dinge die mich beschäftigen, in eine Form zu packen, die vielleicht anders ist.“
In diesem eigenen Kosmos ist es seine ureigene Geschichte, die er schreibt und die ihn treibt. Ob man ihn dann irgendwo einsammelt oder antrifft, ist zweitrangig – der Astronaut hat sich selbst eh schon wieder weiter rauskatapultiert auf dieser Expedition durch den eigenen Welthörraum:
„Er hat sich eingeklinkt, dreht aber noch ein paar Runden und genießt den Ausblick, weil er eine Hand frei hat.“
Aktuelles Album: Stadtrandlichter (Universal Music)
Foto: Christoph Koestlin