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ATARI TEENAGE RIOT

Veränderung geschehen lassen

ATARI TEENAGE RIOT

Obwohl dieser Tage "Is This Hyperreal?", das erste Atari-Teenage-Riot-Album nach 12-jähriger Pause, erscheint, will Vordenker Alec Empire die Rückkehr nicht als Comeback seiner legendären, brachial-radikalen Digital-Hardcore-Band verstanden wissen. Ein Update nennt der Berliner es selbstbewusst – und durchaus treffend.

In mancher Hinsicht heißt es nach drei Soloalben allerdings dennoch „Alles auf Anfang“ für Alec Empire. So bleiben die unzähligen technischen Neuerungen, die sich für alle Spielarten der elektronischen Musik seit der Veröffentlichung des letzten ATR-Albums, "60 Second Wipe Out", im Jahre 1999 ergeben haben, bei der Produktion von "Is This Hyperreal?" außen vor. Die Band blieb sich und ihrem Namen treu, indem sie an alten Produktionsmitteln, sprich: dem Atari, festhielt:

“Das ist halt ein Teil des Sounds”, sagt Alec beim Treffen mit Westzeit vor dem ATR-Auftritt im Amsterdamer Paradiso. “Würden wir jetzt Plug-ins benutzen, würden wir uns anhören wie die Bands, die uns kopieren. Deshalb sind wir dabei geblieben. Außerdem hat es auch viel Spaß gemacht, denn das ist ja eine sehr reduzierte Form, elektronische Musik zu machen. Man kann sich eher auf bestimmte Ideen konzentrieren und macht nicht ewig rum.”

Die selbstauferlegte Beschränkung wirkte also durchaus inspirierend. Doch auch wenn die Band nichts von ihrer Aggressivität und Direktheit eingebüßt hat, tritt auf ´Is This Hyperreal?´ eine echte Dramaturgie an die Stelle eines alles überschattenden Wall of Noise. So ist das neue Album trotz des ungebrochenen politischen Gewissens der Musiker auch textlich reduzierter als sein Vorgänger, den Alec rückblickend als inhaltlich etwas überfrachtet einstuft.

“Wir hatten damals das Gefühl, dass wir noch mehr sagen mussten, damit es nicht vereinfacht wird und vielleicht sogar zu Missverständnissen führt”, erinnert er sich. “Jetzt ist das ganz anders. Man kann bestimmte Informationen einfach auf eine Website setzen, und wer sich dafür interessiert, kann sie sich dort holen. Das gibt einem natürlich ganz andere Möglichkeiten für die Musik.”

Das Spektrum der Möglichkeiten wurde auch neue Besetzung erweitert. Statt Hanin Elias steht nun Nic Endo am Mikro, CX Kidtronic ersetzt den verstorbenen MC Carl Crack.

“Ein wichtiger Unterschied zu früher ist sicherlich, dass es dieses Mal nicht den Bullshit wie beim damaligen Line-up gab”, bestätigt Alec. “Hanin hat mal bei Arte gesagt, dass sie die Situation damals spannend fand. Alle anderen empfanden sie als total negativ, denn es war eben nicht so, dass daraus spannende Kunst entstanden ist, wenn jemand keinen Bock hatte, ins Studio zu kommen, und stattdessen lieber ins Kino gegangen ist. Das ist für mich keine kreative Spannung und keine Auseinandersetzung mit den Themen.”

Die Themen, die ATR auf ´Is This Hyperreal?´ in den Mittelpunkt rücken, beschäftigen Alec und die Seinen schon länger. Die Wichtigkeit eines unabhängigen Internets wird gleich mehrfach thematisiert. So hat Shadow Identity´ die Bespitzelung der Bürger durch die Regierungen zum Thema, ´Digital Decay´ wurde von Wikileaks inspiriert, und mit ´Re-arrange Your Synapses´ knüpfen ATR an die alte Nummer ´Start The Riot´ an. Neu ist indes, dass sie damit auf weniger Widerstand stoßen als in ihren frühen Tagen, sondern eher offene Türen einrennen.

”Politisch gesehen interessieren diese Themen seit der Finanzkrise einfach wieder mehr”, glaubt Alec.

“Das ist zumindest das Feedback, das wir bekommen.”

Trotz der Rückbezüge zur Vergangenheit – Alec weiß, dass der Blick immer nach vorn gerichtet sein muss. Dass man sich sonst sein eigenes Grab schaufelt, hat nicht zuletzt die Musikindustrie zur Genüge bewiesen:

“Die Musikindustrie hat eine Hierarchie aufgebaut, bei der von oben verordnet wird, was die Masse zu konsumieren hat. Das funktioniert vielleicht in gewissen Grenzen bei irgendwelchen Supermarkt-Ketten, wenn man Pringels-Chips verkaufen will oder so, aber Kunst ist wie eine Sprache, die lebendig bleiben und sich entwickeln können muss. Das bedeutet, dass man Veränderung geschehen lassen muss – ob man sie nun mag oder nicht.”

Aktuelles Album: Is This Hyperreal? (DHR/Rough Trade)


Weitere Infos: www.atari-teenage-riot.com

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