Sunrise Avenue haben es vollbracht. An den Erfolg ihrer Single „Fairytale Gone Bad“ werden die Finnen zwar kaum anschließen können, doch niemanden innerhalb der Band stört dies – erklärt Sänger Samu Haber äußerst aufgeräumt und sieht in dem neuen Studiowerk „Out Of Style“ die Möglichkeit oberkorrekten Indie-Kritikern zu zeigen, wie viel Spaß der Mainstream machen kann: „Wir sind keine typische Rock-, Pop- oder Alterantive-Combo“, meint er mit einem Lächeln im Gesicht und formuliert diese Aussage nicht zufällig als Kampfansage.
„Du kannst mich ruhig danach fragen. Kein Ding, ich mag den Song immer noch und spiele ihn sehr gerne“, versichert Samu Haber. Doch so ganz traut man sich die Worte „Fairytale“, „Gone“ und „Bad“ nicht in den Mund zu nehmen – derart groß sind die Bedenken davor, als ewig Gestriger vom grundsympathischen Sänger kritisiert zu werden.Immerhin sprechen wir hier von einem sensiblen Thema und obendrein vom entscheidenden Moment seiner Karriere mit Sunrise Avenue:
Als 2006 die Tour de France zum letzten Mal vor dem Doping-Mega-Gau ihre Runde durch Frankreich drehte, wurden Sunrise Avenue quasi über Nach zu Stars. Ohne ihr Wissen wählte die ARD den bis dato vollkommen unbekannten Song „Fairytale Gone Bad“ für die Berichterstattung aus und überraschte damit die Macher selbst am meisten.
„Irgendwann rief mich unser Label an und erzählte mir davon: Natürlich ahnte ich keineswegs, dass der Radsport bei euch zu diesem Zeitpunkt derart populär war und so überrumpelte mich der Erfolg schon ein wenig“, blickt Haber gelassen zurück und korrigiert sein Gegenüber zugleich, als dieser sich nach dem Wohlbefinden des Songs erkundigt und ob er auch vier Jahre später noch eine große Rolle im Repertoire der Band einnimmt?
„Logisch, warum auch nicht“, folgt die Antwort wie aus der Pistole geschossen, „wir mögen den Track immer noch gerne und ich liebe es einfach die Leute damit zu unterhalten – immerhin sind Sunrise Avenue im Mainstream-Pop zu Hause und da ist Entertaiment viel wert, oder nicht?“
Um jedoch nicht weiter allein im Gestern zu schwelgen, schlägt der Sunrise Avenue-Chefschreiber umgehend eine Brücke zum neuen, dritten Werk der Band namens „Out Of Style“.
Ein Titel, der dann doch recht programmatisch wirkt, weil er verglichen mit dem Vorgänger „Popgasm“ einer gewissen Totalverweigerung gleichkommt:
„Wir hängen viel miteinander rum und der Erfolg hat nichts daran geändert: Wir bleiben in erster Linie Freunde und darauf verständigt man sich in allen Lagen. Deswegen war es für uns logisch, dass es dieses Mal ein schwierigeres Album geben muss – eines, dass uns als Kollektiv und Musiker nach vorne bringt.“
So floskelhaft dieses Statement wirkt, so treffend ist es zugleich: Sunrise Avenue vermengen in den neuen Songs allerhand verschiedene Stilrichtungen; angefangen bei Gitarren-dominierten Balladen über radiotaugliche Rocksongs und natürlich darf auch lupenreiner Pop der härteten Gangart nicht fehlen. Aber trotz dieses großen Mash-Ups ist „Out Of Style“ sehr homogen geraten.
„Freut mich, dass du das so siehst! Wir waren uns da lange nicht sicher und probierten extrem viel im Studio herum – ob dies möglich ist oder das wirklich geht“, richtet sich Samu Haber auf und krempelt die Ärmel seines Longsleeve hoch: „Es gibt zu jedem Track der Platte zwei oder drei verschiedene Versionen und ohne selbstverliebt klingen zu wollen, die Auswahl war schwer. Manchmal rannte ich tagelang durch die Gegend und fragte mich, was fürs Album am besten ist.“
Entscheidungen dahingehend werden bei Sunrise Avenue intuitiv gefällt, denn Musik verstehen die Finnen in erster Linie als Herzensangelegenheit – selbst wenn ihnen das berühmte Kalkül zum Hit oftmals unterstellt wird:
„Weißt du, Bon Jovi kritisierte man auch lange Zeit dafür, dass sie versuchten ‚Living On A Prayer’ erneut aufzunehmen – während sie ihren Weg unbeirrt weitergingen. Für diese Konsequenz bewundere ich sie in gewisserweise.“
Auf einer Stufe mit den amerikanischen Stadionrockern sieht er Sunrise Avenue derweil nicht – dagegen befänden er und seine Jungs sich noch in einer sehr kleinen und unbedeutenden Liga, bekräftigt Haber, schnappt sich einen Keks vom Tisch und gibt genau damit einen schönen Einblick ins Innenleben seiner Band:
Zum einen haben Sunrise Avenue keine Angst vor großen Gesten und andererseits ist ihnen cooles Auftreten ziemlich egal, wenn es sich dabei allein um Etikette handelt.
„Ich habe in uns noch nie eine lupenreine Indieband gesehen und auch Trends gingen meist spurlos an mir vorbei. Ich will einfach meine Musik machen und wenn dann noch Leute kommen, um sie zu hören, ist das der Himmel auf Erden!“
Plötzlich und wie aus heiterem Himmel ärgert sich Samu Haber aber doch:
„Mist, wir haben verloren!“, denkt er laut vor sich hin und natürlich geht es dabei um den Nationalsport der Finnen: Eishockey. „Ich bin ein riesiger Fan und heute hat unsere Nationalmannschaft gespielt – schlimm genug, dass ich es nicht Live miterleben konnte, aber jetzt haben die sogar noch einen auf den Deckel bekommen, verdammt.“
Sorry dafür, aber ähnlich wie für Sunrise Avenue das Leben nach „Fairytale Gone Bad“ weiterging, wird sich auch das heimische Team wieder aufrappeln – oder nicht? „Sicher, aber gestatte mir eine letzte Frage: Keine Ahnung, aber schaut ihr hier eigentlich immer noch die Tour de France?“
Leider eher nicht, obwohl die Hymne von 2006 schier unvergessen im Radio auf Heavy Rotation läuft.
Für die Macher natürlich ein großes Glück, eine Ehre und sicher kein Fluch.
Aktuelles Album: Out Of Style (EMI)
Foto: Ville Juurikkala