Nach drei langen Jahren melden sich Tocotronic endlich mit einem neuen Album zurück. Das ist schlicht in Weiß gewandet und trägt lediglich den Namen "Tocotronic" – doch damit hört die Bescheidenheit auch schon auf. Denn in den anderthalb Jahren Entstehungszeit im Hamburger Studio von Tobias Levin (Cpt. Kirk &, Blumfeld etc.) haben Dirk von Lowtzow, Arne Zank und Jan Müller musikalisch dick aufgetragen. Lediglich Dirks unverkennbare Stimme und sein Gitarrenspiel erinnern noch an die Frühwerke der drei, der ungewohnte Schlagzeug-Sound und jede Menge Keyboards sorgen dagegen für eine willkommene musikalische Neuausrichtung (siehe "This Boy Is Tocotronic") , ohne Gefahr zu laufen, im Pop-Einerlei abzusaufen.
Noch vor der Albumveröffentlichung Mitte Juni präsentieren sich die drei übrigens livehaftig auf ausgesuchten Festivals – obwohl Fans wie Band beispielsweise der Headline-Auftritt beim 1999er Haldern Open Air nicht gerade in bester Erinnerung ist, wie Dirk beim Gespräch mit der WESTZEIT offen zugibt: "Das ist interessant, dass du das sagst, weil es stimmt – Haldern war echt schrecklich, weil es überhaupt nicht gepasst hat. Ich glaube, wir sind da halt manchmal etwas stoisch, wenn wir wissen, wir sind Headliner, es ist spät abends und alle sind etwas angeheitert und wollen Spaß haben. Und dann machen wir extra auf spröde. Wir sind wohl nicht die allerbeste Festivalband, weil man sich dort mit viel größeren Gesten an die Gegebenheiten anpassen muss. Wir sind am besten, wenn wir uns [zum Beispiel in einem Club] inszenieren können als DER Act des Abends."Diese charmante Variante des Starrsinns führt auch dazu, dass "Tocotronic" eine echte Toco-Platte geworden ist, bei der dennoch auffällt, dass sich die Band von einem Album zum nächsten noch nie so stark verändert hat. "Wir haben die Band ja vor fast zehn Jahren gegründet und vor sieben oder acht Jahren die erste Platte rausgebracht, da nimmt man die Sache mit der Zeit etwas leichter", erzählt Dirk. "Durch die wahnsinnig lange Zeit im Studio waren wir so lange in dieser künstlichen Welt ‚gefangen’, dass wir uns eigentlich überhaupt keine Gedanken über die Rezeption gemacht haben. In dieser Zeit waren wir drei und unser Produzent Tobias Levin die Menschen, die wir am meisten gesehen haben." Das klingt nicht unbedingt nach einer sehr fröhlichen Zeit im Studio. Warum also überhaupt die lange Produktionszeit auf sich nehmen? "Wir wussten, dass wir auf die für uns herkömmliche Weise keine weitere Platte mehr machten konnten, das heißt, erst die Stücke zu schreiben und dann ins Studio zu gehen. Dabei kommt so eine Lagerstimmung auf, und das hat uns nicht mehr so interessiert", erklärt Dirk. "Wir haben dieses Mal bewusst versucht, lange Zeit an bestimmten Sachen zu arbeiten." Eine Herangehensweise, die sich bezahlt gemacht hat, denn trotz der langen Produktionszeit klingt das neue Album nie überproduziert, sondern stets durchdacht. Okay, "1:1 ist jetzt vorbei" heißt es in einem Song, aber auch wenn uns die drei ermahnen, in ihre Texte nicht (mehr) so viel hineinzulesen – ein besseres Album als "Tocotronic" dürfte dieses Jahr hierzulande kaum mehr eingespielt werden.Aktuelles Album: "Tocotronic" (L’age D’Or/Zomba)