Wir leben in einer Zeit konstanter Panik und globaler Hysterie, einer Zeit in der handfeste Bedrohungen und bloß fiktionale Bedrohungsszenarien nebeneinander existieren und zunehmend ununterscheidbar geworden sind. Die diesjährige Ausgabe des Berliner Festivals für Kunst und Digitale Kultur, Transmediale, rückt dieses eigentümliche Wechselspiel von Realität und Fiktion in den Fokus der Aufmerksamkeit und hat dabei das Internet als Ort entdeckt, in dem Verschwörungen und Verschwörungstheorien gleichermaßen generiert werden.
»Für uns als Medienkunst-Festival ging es zunächst einmal darum, Arbeiten zu präsentieren, die sich mit aktuellen Verschwörungen bzw. Verschwörungstheorien auseinandersetzen. Andererseits kann man sich natürlich fragen, ob es sich bei all diesen Formen verschwörerischen Handelns nicht generell um eine eigene, bislang wenig beachtete Kulturtechnik handeln könnte, die sich auch und gerade als künstlerische Praxis etablieren ließe«, erklärt Stephen Kovats, diesjähriger Leiter und Kurator der Transmediale.Wie hat man sich nun konkret eine solche kreative Aneignung konspirativen Handelns vorzustellen; oder genauer: Was kann die Kunst von der Kunst der Verschwörung lernen? Zwei Beispiele: Im Rahmen der Transmediale-Ausstellung im Berliner Haus der Kulturen der Welt haben die beiden italienischen Künstler Alessandro Ludovico und Paolo Cirio eine Hacker-Software vorgestellt, die es ihnen ermöglicht, komplette Bücher aus dem Internet herunterzuladen und zwar allein durch die von Amazon zu Werbezwecken ins Netz gestellten kurzen Lesepassagen: »Niemand braucht also mehr bei Amazon zu kaufen. Wir stehlen diese Bücher und stellen sie für alle lesbar ins Netz«, erklärt Cirio.
Einen anderen Zugang zum Phänomen der Verschwörungstheorien wählt der amerikanische Künstler Trevor Paglen. Er präsentierte eine Auswahl militärischer Rangabzeichen in Form einzelner Stoff-Patches, die auf bislang unbekannte, von der amerikanischen Regierung finanzierte Elite-Kampftruppen hindeuten. Ob es sich hierbei um bloße Fiktion des Künstlers oder reale Fundstücke handelt, lässt Paglen hierbei offen. Auf diese Weise wird all jenen, zahlreich im Internet kursierenden Gerüchten über geheime US-Amerikanische Militäroperationen eine handfeste Grundlage gegeben. Zudem stellt sich hierbei die interessante Frage, »wie man überhaupt etwas darstellen soll, was seiner Natur nach eigentlich nicht dargestellt werden darf«, so Paglen.
Beide Beispiele zeigen auf eindrucksvolle Weise, wie sich aus der zunehmenden Nivellierung von Information und Desinformation, von verfügbarem und unverfügbarem Wissen, künstlerisches Kapital schlagen lässt. Warum also nicht all jenen längst vorhandenen, dunklen Künsten der Verschwörung eine Verschwörung der Kunst selbst entgegensetzen?
Die Ausstellung ist nun dieser Tage zu Ende gegangen, jedoch finden sich nähere Informationen zu den erwähnten und anderen Projekten der Transmediale im Internet unter: www.transmediale.de