In Zeiten, in denen Verlässlichkeit immer seltener zu werden scheint, kann man für Konstanten wie das mittlerweile alljährliche (und regelmäßig ausverkaufte) Keimzeit-Konzert im Kölner Yard Club gar nicht dankbar genug sein. 2018 schaute die Band um die Brüder Norbert und Hartmut Leisegang, die in der ehemaligen DDR Kultstatus erlangt hatte, erstmals in der Kantine vorbei, kam 2019 wieder und hätte das vermutlich auch in den Folgejahren gerne getan, wenn ihr nicht eine gewisse Pandemie dazwischengekommen wäre.
So ging es erst im Herbst 2022 pünktlich zum 40. Geburtstag der Band weiter, der auch noch 2023 und 2024 unter dem Motto der aus diesem Anlass veröffentlichten Doppel-CD „Von Singapur nach Feuerland“ ausgiebig zelebriert wurde. Wer in diesen Jahren mehrfach den Weg in den Yard Club antrat, hatte gute Chancen, bereits beim Warten auf den Konzertbeginn auf bekannte Gesichter zu treffen – die ‚Wiederholungstäter*innen‘-Quote im Publikum ließ sich zwar nicht empirisch erheben, dürfte an jenen Abenden jedoch beträchtlich gewesen sein.Als Keimzeit am 8. November dieses Jahres um kurz nach 20 Uhr die Bühne betraten, hatte auch das den Charakter eines langerwarteten Wiedersehens mit Freunden – exemplarisch erkennbar am freudigen Strahlen im Gesicht des Sängers Norbert Leisegang, das vom Publikum gewissermaßen gespiegelt wurde.
Auch auf der Setlist warteten alte Bekannte wie das „Mädchen für alles“ oder der „Plastiktütenmann“. Letztgenannter Song ist getragen von der Überzeugung, dass jeder Mensch irgendetwas sammelt, und seien es auch nur Verspätungen wie im Falle des Keyboarders Andreas ‚Spatz‘ Sperling, wie Norbert Leisegang in seiner Ansage frotzelte. Neben neueren Songs wie den beiden erwähnten vom 2022 erschienenen Album „Kein Fiasko“ (von dem glücklicherweise auch die wunderbare Ballade „Zweig“ gespielt wurde) gab es natürlich auch wieder reichlich ältere Klassiker wie „Flugzeug ohne Räder“ oder „Das Projektil“ zu hören, die vom Publikum mit beeindruckender Textsicherheit mitgesungen wurden.
Es gab allerdings auch Neuerungen, sowohl personeller Art, weil Gitarrist Lars Kutschke von Dennis Becker (mehr als souverän) vertreten wurde, als auch beim Konzertablauf, weil die Band sich nach etwa einer Stunde Spielzeit für zwanzig Minuten verabschiedete, „um ein bisschen an die Luft zu gehen“. Ob es sich dabei lediglich um eine Ausnahme handelte, um den allesamt gesundheitlich etwas angeschlagen wirkenden Bandmitgliedern eine Verschnaufpause zu gönnen, oder ob man damit vor allem dem Publikum eine Gelegenheit zur Nikotinaufnahme sowie für Getränkekäufe und Toilettengänge geben wollte, muss an dieser Stelle offen bleiben und ist letztendlich auch unwichtig, denn die möglicherweise aufgekommene Befürchtung, dass eine solche Pause für einen Bruch sorgen und den Fluss des Konzertes stören könnte, erwies sich glücklicher- und erwartbarerweise als unberechtigt. Die Wahrscheinlichkeit hierfür war natürlich schon allein deshalb gering, weil die Band sich für das zweite Set noch Gassenhauer wie „Irrenhaus“ oder Gänsehautnummern wie „Singapur“ aufgehoben hatte. Beide Songs funktionieren auch losgelöst von historischen Bezügen, berühren aber um ein Vielfaches mehr, wenn man weiß, dass sie im Kontext der ‚Wendejahre‘ entstanden sind.
Gegen Ende des Konzertes zeigten die Bandmitglieder dann eindrucksvoll, dass sie mehr als nur ihre angestammten Instrumente beherrschen: Andreas ‚Spatz‘ Sperling räumte sein Keyboard und nahm stattdessen mit Akustikgitarre bewaffnet Norbert Leisegangs Stammplatz am vorderen Gesangsmikro ein, um mit „Manchmal“ den Zugabenblock einzuleiten. An Sperlings Keyboard wiederum war später auch mal Dennis Becker zu finden, während Lin Dittmann seine Drumsticks gegen ein Tambourin eintauschte. Für „Der fliegende Teppich“ legte Sebastian Piskorz (a.k.a. Richie Nachtwei) seine Trompete beiseite und diente Leisegang als Duettpartner für das Zwiegespräch zwischen Teppich und Boden.
Zwar versorgte die Band ihr Publikum jetzt auch noch mit Hits wie „Kling Klang“ oder „Windstill“, aber die Anwesenden gaben durch laute Sprechchöre unmissverständlich zu verstehen, ohne welchen anderen Song sie die Location vermutlich nur unter größtem Protest verlassen würden: „Nathalie“, die in Moskau angesiedelte Geschichte über die Begegnung mit einer schönen Frau, die „in gelehrtem Ton von der Oktoberrevolution“ sprach. Ganz am Ende, nach weit über zwei Stunden Nettospielzeit, hatten Keimzeit dann ein Einsehen und gaben der Menge zum Abschluss eines Konzertabends zum Wohlfühlen bereitwillig das, was sie verlangte.
Wie fragte Norbert Leisegang an einer Stelle des Konzertes so schön und rhetorisch: „Es könnte ewig so weitergehen, oder?“ „Oh ja, bitte!“, möchte man ihm antworten. Der Termin für einen nächsten Abstecher in den Yard Club – dann zur Feier des 30. Geburtstags des Albums „Primeln & Elefanten“ – ist erfreulicherweise schon gefunden und der Vorverkauf bereits gestartet: Also auf zum nächsten großen Wiedersehen am 17.10.2025!
Weitere Infos: www.keimzeit.de/