(DCV, 312 S., 18,00 Euro)
Unter die Widmung "Für mein neugierige Mutter" lies die Kunstkritikerin Kikol ganz unten und ganz klein noch folgenden Hinweis setzen: "Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind REINER Zufall." Das dürfte nicht zuletzt juristische (Hinter)Gründe haben, denn wer längere Zeit "Unterwegs mit der 1UP-Crew und Moses & Taps TM" war, könnte durchaus auch für die Graffiti-SoKos dieses Landes ein gesuchter Interviewpartner sein. Aber die Autorin hat sich das alles natürlich nur ausgedacht, die Treffen mit den berühmten Sprayern von 1UP, die Gespräche mit den ja nun wirklich genialen Moses & Taps TM und überhaupt den ganzen illegalen Kram, der in diesem Buch beschrieben wird. Kikol berichtet nach eigenem Bekunden zwar nur von Aktionen und Gesprächen, bei denen sie selbst zugegen war, aber ...s.o. Trotzdem (bzw. gerade deshalb) gelingt es ihr, das Phänomen Graffiti und seine politischen, soziologischen und ästhetischen Implikationen, aber auch den Nervenkitzel und den Adrenalinschub, ja selbst die Schattenseiten (z.B. die eher unangenehmen Begegnungen mit einer belgischen Bürgerwehr, der italienischen Polizei und den Security-Typen der Deutschen Bahn) und Nebenwirkungen (gebrochene Knochen, Gerichtsverfahren und Bußgelder, ganz banal aber auch: "Was machen wir mit dem kleinen Kind, wenn Mama und Papa nachts gemeinsam malen gehen wollen?") auf eine wirklich packende Weise zu schildern. So, als wäre man selbst dab...s.o. Die zentrale Frage "Wem gehört die Stadt?" beantworten die Sprayer ganz klar, es geht nicht zuletzt auch um Selbstermächtigung, Rückeroberung von Freiräumen und politische statements – um "Die Freiheit des Trotzdem". Dass aber u.a. auch Judy Lübke, der schillernde Star der (Ost-)KunstGaleristen-Szene (mit längeren Beschreibungen von Lübke-privat-Besuchen) und Christoph Schlingensief (mit einer wehmütigen Erinnerung an dessen U3000-Show aus der Berliner U-Bahn) Erwähnung finden, macht den (Hoch?)KulturCharakter dieser Eloge auf illegale Kunst aus. 1UP kennt vermutlich fast jeder, das Logo schreit von etlichen Autobahnbrücken und Häuserwänden und ihre Videos erreichen bei YT schon mal 7stellige Aufrufzahlen. Moses & Taps TM sind artifizieller - das Buch enthält zwar nur wenige Bilder (es gibt ja schon ausreichend(?) Bildbände, hier geht’s um Text, Text, Text!), aber "Schwarzer Wagen in Rapsfeld" (da haben die beiden einen Regionalbahn-Waggon komplett schwarz lackiert), "Wholecarskizze/Skizzenwholecar" (ein Waggon ganz in weiß mit darauf wie auf einem Skizzenblock schwarz umrissenen Fenstern, Türen, Namenszügen) oder "The Wall" (da wurde kurzerhand eine Waggontür mit Leichtbetonsteinen zugemauert – das Foto zeigt die irritierten Zusteigewilligen beim nächsten Halt) sind ganz sicher mehr als "nur" StreetArt, eher schon KonzeptKunst. Nicht immer vermag ich Kikols Sicht der Dinge zuzustimmen und manches scheint mir auch ein wenig zu ausufernd, aber wer sich auch nur ein ganz kleines bißchen für GroßStadtKultur, underground-art und spannende Ausflüge in Bahntunnel interessiert, für den ist das hier ein furioses LeseErlebnis.Weitere Infos: www.dcv-books.com/produkt/larissa-kikol-signed-unterwegs-mit-der-1up-crew-und-moses-taps/