(Cavadonga, 333 S., 16,80 Euro)
Tim Moore ist jener radsportverrückte Brite, der nicht nur die gesamte Strecke der 2000er Tour de France abgefahren ist, sondern auch (mit authentischer Technik und Kleidung) die des Giro d’Italia 1914. Oder mal eben die 9.000 km des Iron Curtain Trail auf einem Mifa-20"-Rad ("Mit dem Klapprad in die Kälte"). Für sein jüngstes Projekt bezwang er nun – mitten im Corona-lockdown – auch das letzte große Etappenrennen, Streckenvorbild seiner Spanienrundfahrt ist dabei die von 1941. Sieger war damals der heute fast vergessene Julian Berrendero, ein ungemütlicher Zeitgenosse, der wenig von den ungeschriebenen Fairnessregeln des Radsports hielt und doch in gewisser Weise bewundernswert ist. Denn als er im Juni ’41 in Madrid an den Start der Vuelta a España ging, lagen anderthalb Jahre Franko-KZ erst wenige Wochen hinter ihm. Womit wir beim zweiten bestimmenden Thema dieses Buches sind: Moore verknüpft Radsportlegenden mit den Schrecken des Spanischen Bürgerkriegs, reflektiert während seines eigenen Leidens auf staubigen und vor allem heißen, schlaglochdurchzogenen Pisten über das der spanischen Republikaner unter dem falangistischen Terror (selbstredend ohne das eine mit dem anderen zu vergleichen!). Er nutzt ein Rad der Marke "Berrendero", denn der Vuelta-Sieger verdiente sich seine Brötchen nach dem Ende seiner Sportkarriere als Fahrradhändler, ein bockiges Stahlroß mit (nach heutigen Maßstäben) schlechten Bremsen und schwergängiger Schaltung. Dass er seine Komoot-App nicht auf "Rennrad" eingestellt hat, merkt er erst, als die ihn wiederholt auf "unfahrbare" Ziegenpfade schickt und ihm 6 Etappen lang zur "Tollen Wanderung" gratuliert – gründliche Vorbereitung passt nicht in das Weltbild dieses liebenswerten Exzentrikers (zumindest nicht, sofern es um solcherlei Belanglosigkeiten geht: die politischen und historischen Hintergründe hingegen hat Moore mit der gleichen Akribie recherchiert wie die zeitgenössischen Sportberichte). Mit typischem Moore-Humor (genauso trocken wie gelegentlich derbe) beschreibt er seine Abenteuer in obskuren (oder grandiosen) Hotels, mit brummigen Fahrradmonteuren und netten Kleinstadtbewohnern in einer Zeit, in der ihm Gesichtsmasken und Desinfektionsspender öfter begegnen als auch nur durchschnittlich bestückte Lebensmittelgeschäfte oder gar kalte Getränke. Seinem drastischen Wortwitz (und seinem Übersetzer Olaf Bentkämper) verdanken wir dabei so schöne Bilder wie das von der "Körpermolke" oder diesen herrlichen Hotel-Dialog nach einem entbehrungsreichen Tag im Sattel: "Tut mir leid", sagte die Rezeptionistin, "aber Sie können Ihr Fahrrad nicht mit auf ihr Zimmer nehmen." "Ich will es nicht mit auf mein Zimmer nehmen", erwiderte ich tonlos mit brüchiger Stimme. "Ich möchte es von Ihrem Dach werfen." Auf der anderen Seite widmet er sich mit diesem Buch mindestens genauso gründlich seinen Gedanken über die Unmenschlichkeit, mit der das Franco-Regime seine Gegner vernichtete - man erfährt hier unerwartet viel über eine in dieser Detailliertheit zumindest mir unbekannte dunkle Zeit. Als es um Buenaventura Durruti geht, darf ein kurzer Verweis auf die nach ihm benannte Factory-Band Durutti Column nicht fehlen – selbst durchschnittlich interessierte Briten sind popmusikalisch einfach besser bewandert als ebensolche Deutsche. Nicht nur deshalb ist dieser Reisebericht ein großer Tip – für Rennradfreunde und für Geschichtsinteressierte. Eine Werbung für Spanientourismus ist er eher nicht.Weitere Infos: www.covadonga.de