(dtv, 285 S., 20,00 Euro)
Nachdem wir erst im Februar an dieser Stelle Oliver Schröms "Cum-Ex-Files" besprochen haben, stellt sich mancher jetzt vielleicht die Frage, wieso nun schon wieder ein Buch zum Thema "Der größte Steuerraub in der Geschichte der Bundesrepublik" (so der Untertitel) erstens geschrieben und zweitens hier vorgestellt werden muss. Die simple Antwort lautet: Muss einfach wirklich. Denn zum einen steht hinter "Cum-Ex" tatsächlich eine – verglichen mit dem bis dahin Üblichen – völlig neue Form von Wirtschafts- bzw. Steuerkriminalität und zum anderen konzentriert sich der WDR-Journalist Bognanni auf eine Seite des Skandals, die in Schröms Buch zwar angerissen, aber nicht in der notwendigen Tiefe untersucht wurde (wie auch, Schröm hatte sich ja – durchaus zurecht – auf die finanztechnischen und juristischen Implikationen und die kriminellen Köpfe hinter "Cum-Ex" konzentriert): das an Komplizenschaft grenzende Versagen der zuständigen Stellen im Staatsapparat. Es ist – neben den Recherchen investigativer Journalisten – ja unglaublicherweise tatsächlich dem persönlichen Engagement einer relativ jungen Kölner Staatsanwältin zu verdanken, dass eine strafrechtliche Verfolgung des Steuerhinterzieherkartells in Gang kam. Dabei erschien dem Aufseher der Frankfurter Börse August Schäfer schon 1991 das seinerzeit noch eher schüchtern praktizierte "Dividendenstripping" seltsam. Aber im Bundesfinanzministerium folgte man den berühmten drei Affen und sah, hörte und sagte lieber nichts. Im besten Fall aus Faulheit – hono soit qui mal y pense! Doch erst als sich der millionenschwere dm-Gründer Erwin Müller von den Bankhäusern Sarasin und Warburg nicht nur um die versprochene Rendite geprellt fühlte, sondern anstelle einer wundersamen Geldvermehrung gar ein Verlustgeschäft erfahren hatte, begann im September 2013 Anne Brorhilkers Lebensaufgabe. Wie die sich einerseits in die hochkomplexe Materie einarbeitet und mit großer Hartnäckigkeit am Ball bleibt und wie andererseits in Finanzbehörden und Ministerien gemauert wurde, hat Bognanni exzellent recherchiert, die Zusammenhänge und zeitlichen Abläufe rekonstruiert und seine Erkenntnisse in spannender und gut lesbarer Form aufbereitet. Stilistisch löst er das, indem er zwei Erzählebenen aufmacht: auf der einen wird die Ermittlungsarbeit von Staatsanwältin Brorhilker begleitet (ja, das hat was von "True Crime"), auf der anderen wird das ängstliche Mauscheln und Vertuschen der staatlichen Institutionen dokumentiert (das ist dann eher eine Horrorgeschichte). Wer sich also (noch) umfassend(er) über den Komplex "Cum-Ex" informieren möchte, ist hier genau richtig.Weitere Infos: www.dtv.de/buch/unter-den-augen-des-staates-28306