(Voland & Quist, 128 S., 20,00 Euro)
Zwei Jahre ist es her, dass wir an dieser Stelle Lavochkinas Roman "Puschkins Erben" begeistert mit Texten von Bulgakow oder Gogol verglichen. Die Familien Katz und Winter, die darin die Hauptrollen besetzen, sind auch die Protagonisten eines neuen kleinen Bandes, für dessen seinerzeit noch unveröffentlichtes Manuskript die aus der Ukraine stammende, in Leipzig lebende und auf Englisch schreibende Autorin schon 2013 einen Wettbewerb der legendären Pariser Buchhandlung "Shakespeare and Company" gewann. Die im Original sehr treffend "Dam Duchess" titulierte Novelle erschien dann erstmals 2018 in den USA und hätte eigentlich Teil von "Zap" (=Puschkins Erben) sein sollen – Lavochkina stellte allerdings fest, dass die (Vor)Geschichte von Herzogin Darja und Oberbauleiter Chaim Katz inkl. aller zugehörigen, höchst zahlreichen (Liebes)Verhältnisse (u.a. zu Hugh Winter, dem vom Genossen Josef Wissarionowitsch Stalin höchstpersönlich aus Amerika an den Dnjepr verpflichteten "besten Staudamm-Ingenieur der Welt") viel zu dominant und (literarisch) raumgreifend ist, um sich verlustfrei in das ohnehin schon komplexe "Zap"-Gefüge einordnen zu lassen. Der "ruhmreiche Revolutionär" und durch etwas Zufall zum "Hauptmechaniker der Schießpulverfabrik" avancierte Mechaniker Katz scheint dem "Chef" – anders als die ängstlichen "besten Ingenieure Moskaus", die neben ihm in Stalins Arbeitszimmer angetreten sind – ideologisch so gefestigt, dass er auch ohne tiefere Sachkenntnis die Bauleitung am Dnjepr-Damm übernehmen kann. "Vergiss nicht, dein fesches Frauchen mitzunehmen.", befiehlt Josef Wissarionowitsch noch und schon ist Darja Katz, gewesene Herzogin Woronchina, die Propaganda-Chefin der Großbaustelle. Diese Aufgabe füllt sie allerdings nicht zur Gänze aus, es bleibt genügend Zeit für Besuche bei Ingenieur Winter oder beim schmierigen Händler Esaw-Yantz. Ihre Langeweile vertreibt sich die Herzogin nicht nur mit amourösen Aktionen, sondern auch mit der Planung eines gänzlich unsozialistischen, aber angesichts der allgemeinen Tristesse zur Aufrechterhaltung eines letzten Funkens LebensSinn dringend erforderlichen "Weihnachtsballs". Dazu organisiert (sich) Darja nicht nur Leckereien und (halbwegs) geeignete Tanzpartner, sondern auch edle Stoffe und vier Fuchspelze, um sich vom Staudamm-Lageristen Aaron Knoblauch (ehedem der beste Schneider der örtlichen Aristokratie) ein standesgemäßes Kleid anfertigen zu lassen. Dass all das im Desaster enden muss, ist klar – aber mit welchem Maß an Lakonie, Sarkasmus und Sprachgewalt Lavochkina die ganzen damit zusammenhängenden Grausamkeiten und Entbehrungen, all die Gewalt und Mühen beschreibt, ist einfach nur großartig. Jeder Satz ein Kunstwerk, jede Seite ein Genuss. Ob man nun erst "Die rote Herzogin" oder "Puschkins Erben" liest, ist fast egal – beides sollte man tun. Denn bestens unterhalten wird man in jedem Fall.Weitere Infos: www.voland-quist.de