Wer im echten Leben nicht klar kommt, wem Kommunikationsfähigkeiten abhanden gekommen ist, wer, kurz gesagt, auf dieser Welt eigentlich nichts zu suchen hat, der findet im Second Life – ja, was denn? Eine große Blase, ein Hype, der mehr verspricht, als er einzulösen vermag. Da findet man sich doch viel lieber im "Pop Life" ein, diesem gewaltigen Kunstepos, in dem Menschen aus Fleisch und Blut unseren Alltag aus Fleisch und Blut in Kunstwerke gezimmert, gemalt und gefilmt haben. Jeff Koons' in Kunststoff gegossene Fickversuche mit Cicciolina, seiner Zeitarbeitspornoehefrau. Protagonisten/innen der "Young British Artists", die ihr individuelles Dasein zur Schau stellen. Poppapst Andy Warhol, dessen Pop-Ikonenerschaffungen seines gleichen suchen.
Die Hamburger Kunsthalle macht sich nun auf den Weg, aus diesem riesigen Konglomerat einen Aspekt heraus zustellen, der sich mit Künstlern und ihrem Verhältnis zum Markt und den Massenmedien beschäftigt und wie deren Persönlichkeit als Marke etabliert wurde. Gezeigt werden etwa 320 Exponate aus vielen Material- und Technikbereichen wie Gemälde, Fotografien, Skulpturen, Videos, Zeitschriften von Andy Warhol, Tracey Emin, Damien Hirst, Jeff Koons, Martin Kippenberger, Keith Haring, Takashi Murakami, Maurizio Cattelan und anderen.Die Selbstdarsteller – das Grundgerüst der Ausstellung – und ihre Einflüsse, Wirkungsweisen und Rezeptionsstarthilfen: im doppelten Boden des Kunstbetriebes agieren die Künstler in verschiedenen Rollen. Und das alles gleichzeitig. Als radikalster Vertreter dieser Sorte zeigte sich dabei Andy Warhol, dessen Spätwerk ein großer Teil der Ausstellung gewidmet ist. Etwa ab 1968 begann Warhol damit, sich selbst zu inszenieren und sich in eigenen Werken selbst zu zitieren. Seine stringente Art, Kunst, Leben und Geschäft als Einheit, als künstlerisches Grundprinzip zu verstehen ("Gute Geschäfte sind die beste Kunst"), verschonte nichts und niemanden. Warhol hielt die Fäden in der Hand, startete eine eigene TV-Talkshow, publizierte das Prominentenblatt "Interview" und agierte in TV-Werbespots. Wegweisend für nachfolgende Künstler wie Martin Kippenberger oder Tracey Emin stellen sich in diesem Zusammenhang Warhols "Retrospectives" und "Reversals" dar, in denen er Images berühmter Pop-Ikonen wie Marylin Monroe, Elvis Presley oder Jackie Kennedy rekapituliert.
Autobiografische Kunst zeigen Tracey Emin und Sarah Lucas in ihrer Installation "The Shop", der 1993 in der Londoner Bethnal Green Road 103 eröffnet wurde und in dem das rebellische Paar mit provokativen Sprüchen bedruckte T-Shirts und kleinere Kunstarbeiten verkaufte. "The Shop" bediente sowohl die Spielart eines radikalen Exhibitionismus als auch die Gleichung "Kunst=Leben" in einem zukunftsorientierten Kunstumfeld, das radikal das eigene Ich ins Zentrum stellt.
Wie verhält sich Kunst in einer materialistischen Welt? "Pop Life" gibt nicht nur Antworten, "Pop Life" wirft auch Fragen auf. Wie die nach dem Selbstverständnis eines Jeff Koons, der seine intime Zweisamkeit mit Cicciolina, dem italienischen Pornostar Ilona Staller in Kunstharz gießen ließ. "Made In Heaven" war als Provokation gedacht und wurde so aufgenommen, doch Koons hatte eigentlich mehr im Sinn, nämlich die Veröffentlichung des Privaten in jeder Hinsicht. Und: Jeff Koons wollte die Schönheit, ja, den Kitsch, zurück in die Kunst holen, was auch Damien Hirst in ästhetischer Hinsicht irgendwie plante. Im September 2008 revolutionierte Hirst mit einer Auktion unter dem Titel "Beautiful Inside My Head Forever", zu der er seine komplette Jahresproduktion unter den Hammer brachte. Damals kam die erkleckliche Summe von 140 Millionen Euro zusammen.
Mehrere Räume sind Martin Kippenberger (1953-1997) gewidmet. Nur in Hamburg sind dabei frühe Werke aus der Sammlung von Gisela Stelly Augstein, Filmautorin aus der Hansestadt, zu sehen. Kippenberger arbeitete zeitlebens an der Ironisierung und Verspottung des Kunstbetriebes und betätigte sich nebenbei als glänzender Selbstdarsteller und Analytikers der Gesellschaft. Vom japanischen Welt-Kunstverbreiter Takashi Murakami ist in einem der abschließenden Räume eine eigens in Auftrag gegebene neue Installation zu sehen.
12. Februar – 9. Mai 2010, Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall, 20095 Hamburg Tel.: 040-428 131 204 Öffnungszeiten: di – so 10-18 Uhr, do 10-21 Uhr, vor Feiertagen 10-18 Uhr Ticket: 8,50/5 Euro, Familenkarte: 14 Euro (Eltern mit Kindern unter 18 Jahren) Katalog 34,90 Euro
Weitere Infos: www.hamburger-kunsthalle.de