
Die meisten Künstler haben einen Markenkern, wie man in unseren restlos ökonomisierten Zeiten sagen könnte. So fällt es Kunstfreunden nicht schwer, einen Baselitz oder Richter, einen Immendorff oder Lüpertz zu erkennen. Bei Sigmar Polke ist das schon schwieriger. Kaum ein Künstler hat sich so vieler Medien bedient wie er. Und wohl keiner hat das Sich-Nicht-Festlegen-Wollen so zum Prinzip erhoben wie das 2010 gestorbene Kunst-Chamäleon.
Can you always believe your eyes?, 1976, Gouache, Lack- und Acrylfarben, Tabak, Zinksulfid und Cadmiumoxid auf Papier auf Leinwand, 207 x 295 cm, Sammlung Liebelt, Hamburg © The Estate of Sigmar Polke / VG Bild-Kunst Bonn, 2015Abb. unten: Hochsitz, 1984, Synthetische Polymerfarben und trockenes Pigment auf Stoff, 300 x 224,8 cm, The Museum of Modern Art, New York. Teilweise und versprochene Schenkung von Jo Carole und Ronald S. Lauder © The Estate of Sigmar Polke / VG Bild-Kunst Bonn, 2015
Jetzt gibt es erstmalig Polke total zu sehen. Die bislang umfangreichste Retrospektive, die alle Werkphasen und die diversen Techniken des rastlosen Suchers und (Er-)Finders zeigt, will - nach New York, wo sie konzipiert worden ist und London - nun im Kölner Museum Ludwig bewältigt werden. In der Domstadt, wo der 1941 in Niederschlesien geborene Künstler seit 1978 gelebt hat, legen über 250 Exponate - Malerei, Grafik, Zeichnungen, Objekte, Fotos, Filme und Skizzenbücher, vieles davon erstmalig in Deutschland zu sehen - mannigfaltige Fährten zum Verständnis des schwer Fassbaren. Eine Kraftanstrengung, aber eine, die auch mächtig Spaß macht.
Sigmar Polke ging als Protagonist des so genannten Kapitalistischen Realismus, der sowohl Pop-Art als auch Informel kritisierte, aus den Startlöchern. Schnell trugen ihm Bilder wie der "Wurstesser", der sich lächelnd anschickt, eine Kette mit 61 Knackern zu verdrücken oder seine gemalten "Bohnen" auf gemustertem Stoff den Titel eines Spaßmachers oder seriöser eines Neo-Dadaisten ein. Dabei zeigte sich schon hier, dass Polke Zeitgeschichte stets kritisch reflektierte. Wirtschaftswunder und Kleinbürgertum waren frühe Opfer seiner Ironisierungen.
Die Vorliebe des Künstlers für Punkte ist ein Verweis auf die Siebdrucke von Warhol oder Lichtenstein. Polkes Punkte waren indes gemalt. Er tupfte sie auf kopierte Pressefotos oder auf Dekostoffe. Was nicht bedeutet, dass er das hohe Lied auf den Künstlergenius singen wollte - ganz im Gegenteil. "Höhere Wesen befehlen" etwa, eine Bildecke schwarz zu malen - womit auch schon der gesamte Bildinhalt erzählt ist. Ja, die Kunstgeschichte hatte es im provozierenden und persiflierenden Werk von Polke nicht leicht. Im Bild "Konstruktivistisch" lässt sich unschwer ein Hakenkreuz erkennen, während in "Moderne Kunst" die Abstraktion mit belanglosen Bildelementen parodistisch abgefertigt wird.
