Der Künstlerbiograf der Renaissance, Giorgo Vasari, hat ihn dutzendfach als "göttlich" gewürdigt. Nicht ganz so respektvoll hat es drei Jahrhunderte später Vincent van Gogh formuliert, der die Figuren des verehrten Meisters herrlich fand, "obwohl die Beine entschieden zu lang, die Hüften und das Hinterteil zu breit sind".
Valie Export, Strickmadonna, 1976, Fotografie, Oberösterreichisches Landesmuseum, Landesgalerie Linz © VG Bild-Kunst, Bonn 2014Abb. unten: Henry Moore, Vier liegende Figuren Aus: „Omaggio a Michelangelo”, 1974, 5-Farben-Lithografie, Ex. 107/200, signiert: „Moore”, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett
Eigentlich fiel das Urteil über Michelangelo Buonarroti (1475-1564) aber einhellig positiv aus, so dass man ihn heute in die Riege der Star-Künstler einreihen würde. "Kein anderer als Michelangelo, auch nicht Raffael, Dürer oder Tizian, übte eine ähnlich umfassende, die künstlerischen Gattungen übergreifende, lange und kontinuierliche Ausstrahlung aus." Das meinen die Kuratoren der Ausstellung "Der Göttliche - Hommage an Michelangelo", in der die Bundeskunsthalle in Bonn versucht, einigen der unzähligen, bis in unsere Zeit verlaufenden Spuren des Einflusses der Kunst Michelangelos zu folgen.
Nein, Originalwerke von Michelangelo gibt es nicht zu sehen. Das Universalgenie, das Bildhauer und Maler, Architekt und Dichter war, bleibt im Hintergrund, taucht in Form von Porträts und Fotos seiner Werke auf. In den Arbeiten der Künstler, die Michelangelos Wirkung dokumentieren, reicht die Spanne von Abgüssen und Kopien wie der von Robert Le Voyer, der das "Jüngste Gericht" als Ölgemälde anfertigte, bis zu Interpretationen - etwa im Werk von Fritz Wotruba und Alfred Hrdlicka. Die Österreicher stellen wie Michelangelo die menschliche Figur ins Zentrum ihrer Plastiken, in stark abstrahierender Weise bzw. thematisieren das Herausarbeiten der Figur aus dem (Marmor-)Block, was das Werk bewusst als unvollendet erscheinen lässt. Auch das ein Markenzeichen des Renaissance-Künstlers.
Keine Michelangelo-Schau ohne "David". Die Auseinandersetzung mit der Monumentalplastik aus Florenz reicht von einer Raffael-Zeichnung bis in unsere Tage. Hans-Peter Feldmanns farbiger David-Kopf wirkt künstlich, unecht. Auch Michelangelos Fresken der Sixtinischen Kapelle werden in der thematisch aufgebauten Ausstellung angesprochen. Zeitgenosse Giorgio Ghisi überführte Szenen in Kupferstiche, während sich Nachfolger Rubens mit Studien einzelner Figuren begnügt hat.
Dramatisches Muskelspiel und ausdrucksstarke Gesten, eine Sprache der Körper, die Gewalt, Leid und Liebe vermittelt - die Figuren des Meisters dienten schon zu seiner Lebzeit als Anschauungs- und Lehrmaterial. Echte Kraftpakete gelangen dem Niederländer Hendrick Goltzius mit seinen "Himmelsstürmern". Mit einem respektablen Sixpack und auffälligen Blumenkohl-Knien hat der Kupferstecher Nicolas Beatrizet seinen "Christus des Michelangelo" ausgestattet.
Schon 1499 vollendete Michelangelo seine Pietà für den Petersdom. Sie begründete den folgenreichen Aufstieg des Künstlers. Auch der Auseinandersetzung in Öl von Annibale Carracci ist die ungeheure Intensität der Mutter-Sohn-Szene des Vorbilds eingeschrieben. Das Original zeugt von der tiefen Religiosität Michelangelos.
Der Künstler schuf zudem eine Reihe von Andachtsbildern - etwa für die Dichterin Vittoria Colonna, mit der er den Wunsch nach einer Reform der katholischen Kirche teilte. Selbst diese privaten Zeichnungen, unter denen auch ein Christus war, der sich verzweifelt am Kreuz windet, fanden in Form von Kopien eine schnelle Verbreitung - wohl auch mit Zustimmung des Künstlers, der durchaus mit der Mehrung seines Ruhmes einverstanden war. Auch an andere Zeitgenossen verschenkte Michelangelo Zeichnungen. Durch seine Intensivierung der Formensprache hat er nicht zuletzt die christliche Ikonografie verändert. Die Ausstellung will mit Exponaten von Künstlern wie Cézanne, Rodin und Yves Klein, Henry Moore, Georg Kolbe, Markus Lüpertz und Valie Export belegen, dass der Einfluss des Renaissance-Meisters die Jahrhunderte überdauert hat. Das mag man gerne glauben, doch bleibt dies an mancher Stelle mangels stringenter Argumentation nur Behauptung. Was verbindet etwa Caravaggios "Johannes der Täufer", der ohne Frage jeder Ausstellung zur Ehre gereicht, mit Michelangelo? Wer Antwort sucht, muss zum Katalog greifen. Dass sich bis heute bedeutende Künstler auf ihn beziehen, hätte Michelangelo sicherlich geschmeichelt. Weniger aber, dass aktuell zwei kleine Bronzefiguren, nackte Männer auf Panthern, ihm auf Teufel komm raus zugeschrieben werden sollen. "Der Göttliche - Hommage an Michelangelo" (06.02.-25.05.) Bundeskunsthalle Bonn, Friedrich-Ebert-Allee Tel. 0228/9171-200 www.bundeskunsthalle.de (Katalog 29,00 Euro)