Empathie als Urantrieb: The Weakerthans wohnen immer noch in Winnipeg, haben sich die Zeit gelassen, die sie brauchten und sind auf ihrem vierten Album „Reunion Tour“ schon wieder in der Welt zuhause
„How I don't know what I should do with my hands when I talk to you.How you don't know where you should look, so you look at my hands.”
(“Pamphleteer”, Left And Leaving, 2000)
„Wir waren immer glücklich, mit unseren Fans auf einer intimen Ebene verbunden zu sein. Wir spielen keine großen Arenen und werden das auch wahrscheinlich niemals mehr tun. Damit sind wir sehr zufrieden.“
Auf der Bühne tritt diese Ausstrahlung noch lebendiger zu Tage. „Fallow“ hieß das erste Album um den ehemaligen Propagandhi-Bassisten, Geschichten interessierten ihn schon damals mehr als Slogans - auch wenn es „sehr politisch sein kann, sich in andere Menschen hineinzuversetzen“. „Left and Leaving“, der Titel ihres Folgewerks aus dem Jahre 2001, lugt als Thema bis heute in jedem Weakerthans-Song still und heimlich um die Ecke und zieht Dich mitten hinein in seine kleine Welt. Das mag wie die Beschreibung von Kinderbüchern klingen. Die faszinieren aber genauso unvermittelt.
John K. Samsons Lyrik funktioniert nämlich, wenn man so eine technokratische Sprache im Zusammenhang mit seinen post-punkigen Pop-Kleinoden überhaupt benutzen darf, wie die wohltuend unabstrakten Bilder von Edward Hopper. Selbst da, wo bei ihm keine Menschen zu sehen sind, werden ihre Geschichten angedeutet und mehr Fragen als Antworten aufgeworfen. Es beschäfigt den Betrachter das, was er nicht sieht, erst die eigene Fantasie zieht ihn in die Kunst. Wie bei den Weakerthans.
„Nach unserer vorletzten Europatour hatte ich ernsthafte Zweifel, ob wir jemals noch ein weiteres Album machen würden - “, erinnert sich Samson, „bis ich mir in London eine Hopper-Ausstellung ansah. Ich kann bis heute nicht genau sagen, warum, aber „Reunion Tour“ ist einzig und allein aus der Inspiration geboren, über Hoppers Bilder schreiben zu wollen.“
Eines dieser Bilder heißt „Night Windows“ und gab dem verhaltenen Album-Vorboten gleich seinen Namen.
Menschen sitzen bei Hopper in einer Bar an einer Ecke im Laternenlicht, nachts in Büros oder auf einer Terasse auf dem Land. Reden die Menschen miteinander, schweigen sie, kennen sie sich? „Reunion Tour“ spielt mit solchen Fragen, nahbaren Alltagsauszügen und fremden Perspektiven, weil Samson drei Winter lang Songs aus der Sicht von Menschen geschrieben hat, „die ich nicht unbedingt mag. Über mein eigenes Leben gäbe es ja auch nichts derart Interessantes zu erzählen“.
Herausgekommen sind Geschichten über gefloppte Dotcom-Karrieren, über Eishockey-Torwächter, die ohne Maske spielen oder über eine Katze namens Virtute, die auf dem 2003er „Reconstruction Site“ ihrem faulen Herrchen noch die Treue hielt und heute das Weite sucht:
„Es nimmt eben nicht immer alles einen guten Weg, obwohl es Virtute jetzt bestimmt besser ergeht. Das Album nimmt die Welt auf eine realistischere Art und Weise wahr. Das ist oftmals keine glückliche Angelegenheit. Aber es blitzt ja immer die Hoffnung durch, die am Ende bleibt.“
Am Ende, im finalen „Utilities“ wünscht sich der unbekannte Protagonist, eine Zahnbürste zu sein oder wenigstens irgendwas, das irgendjemand nutzen kann und entpuppt sich dabei doch als ein Stück von Samson: „Seems the most I have to offer, doesn´t offer much.“ Zweifelt so jemand, der solche Zeilen schreibt?
“Fragen wir uns das nicht alle?“, relativiert Samson. Ja, tun wir. Und die erlösende Antwort folgt auf dem kleinen Fuße: „Wir alle führen kreative Leben. Einige kreieren Dinge, die vermarktet werden können. Das ist nicht zwingend gesund. So hat auch jeder Schreiber seine Zweifel, ob er noch irgendetwas zu sagen hat. Und schreibe ich irgendwann mal keine Songs mehr, bin ich in meinem alltäglichen Leben doch immer noch eine kreative Person. Denn was auch immer Du tust: Solange Du Deine Energie dafür verwendest, andere Menschen zu erreichen, wird etwas Gutes daraus entstehen.“
Gibt es schon eine Weakerthans-Jugend? Falls nicht, dann ist das hier der Startschuss. Denn: The Weakerthans retten Leben.
Aktuelles Album: Reunion Tour (Anti / SPV)
Weitere Infos: http://www.theweakerthans.org/