Oft als Freaks belächelt, gehören In Extremo mittlerweile zu den angesagtesten Acts ihres Genres. Was vor fast 10 Jahren mit ihrem ersten Konzert vor dem Leipziger Rathaus begann, hat sich zu einem Phänomen entwickelt, für das auch Sänger Micha a.k.a. das letzte Einhorn keine Erklärung parat hat. Sie haben in Frankreich, England, Skandinavien, Nordamerika und sogar Mexiko gespielt und sind frenetisch abgefeiert worden und das alles mit deutschen Texten. Wie kann denn sowas?
„Ich glaube es liegt an der Energie , die wir rüberbringen“, meint Micha. „In Mexiko hatten wir unseren ersten Auftritt in einer Sendung, wie ‚Wetten Dass‘ mit einer Einschaltquote von 200 Millionen. Wir konnten ohne Bodygards gar nicht auf die Straße. Dann hatten wir drei Gigs in Amerika, einen davon in Los Angeles, da haben uns die Leute mit Deutschlandfahnen empfangen und unsere Songs mitgesungen. Und MTV hat alles aufgezeichnet. Das war ziemlich unglaublich, vor allem weil wir davon ausgegangen waren, dass wir irgendwie nur im Vorprogramm spielen werden, weil uns keine Sau kennt.“Davon kann nicht die Rede sein, ausverkaufte Hallen und Heerscharen von Fans, angefangen bei Bikern, die bei manchen Songs feuchte Augen kriegen, über Hausfrauen, Punks, oder Banker im Anzug. Gothics natürlich nicht zu vergessen. Das Publikum ist breitgefächert und lässt kein Eck-chen der Gesellschaft aus. In Extremo kriegt sie alle.
Habt Ihr Euch diesen Erfolg jemals träumen lassen?
„Wir haben da nie drüber nachgedacht, es hat uns einfach Spaß gemacht und wir haben unser Ding durchgezogen, ohne uns von irgend jemanden beirren zu lassen. Es sind uns oft Knüppel zwischen die Beine geworfen worden. Wenn ich nur an die Radiosender denke, die jetzt alle ankommen und uns haben wollen. Das war auch mal ganz anders. Unseren erstes Interview hatten wir in Frankfurt, die hatten überall Kameras aufgestellt, wir kamen da in unseren Straßenklamotten rein, weil wir da gar nicht drauf gefasst waren und die erste Frage lautete, was In Extremo mit dem Dritten Reich zu tun hat. Da habe ich erst mal eine Kamera umgetreten und denen erklärt, dass wir aus der Punkszene kämen und nichts damit am Hut haben. Die sind wegen unserer Pyroshow auf diesen schrägen Gedanken gekommen. Leute sind immer schnell dabei, einen in Schubladen zu stecken.“
Mit ‚Gothic‘ hatte In Extremo ihren ersten virtuellen Auftritt. Wie es dazu kam, ist denkbar einfach, die Macher von ‚Gothic‘ waren Fans und traten an Micha mit der Bitte heran, die Band spieltechnisch zu verewigen und das Ganze auch noch mit Ihrer Musik zu unterlegen.
„Am Anfang waren wir ein bisschen skeptisch“, so Micha, „und haben uns lange mit der Materie beschäftigt, aber schließlich dachten wir, warum eigentlich nicht. Es eröffnet einer völlig neuen Klientel den Zugang zu unserer Musik.“
Ihr Debutalbum „Weckt die Toten“ wurde bei dem Berliner Label Vielklang aufgenommen und hat sich zur absoluten Kultscheibe mit über 350.000 verkauften Exemplaren gemausert. Zwei weitere Alben folgten, unter anderem „Sünde ohne Zügel“, beides totale Abräumer.
„Kein Blick zurück“ heißt Ihr neuestes Schätzchen, im Sinne von nichts bereuen. Bereut Ihr wirklich nichts?
„Es gibt nur eins, was wir wirklich bereuen, nämlich das wir den Labelchef von Vielklang nicht umgedreht am Baum aufgehängt und einen Molotovcocktail in diesen Scheißladen geschmissen haben. Wir haben von denen nie das Geld gesehen, das uns zustand, was zur Folge hatte, dass wir vor drei Jahren wieder bei Null anfangen mussten. Gott sei Dank haben wir uns nicht daran zerrieben, sondern den Blick nach vorne gerichtet und weitergemacht. Wir haben uns ein neues Management gesucht und fest zusammengehalten. Das hat uns wieder nach vorn gebracht.“
Naja, Vielklang hat im Zuge des großen Labelsterbens vor drei Jahren eh‘ das Zeitliche gesegnet und somit erübrigt sich die Warnung an junge, hoffnungsvolle Bands dort jemals vorstellig zu werden.
Mit Korn, Metallica und Motörhead haben sie auf der Bühne gestanden, Namen die einen ehrfurchterstarrt aufhorchen lassen. Wie ist es, mit solchen Legenden zu spielen?
„Es war immer total nett und entspannt. Da ist es auch schon mal so, dass jemand von einer der Bands auf Dich zukommt, Dir die Hand schüttelt und zu Deiner ‚ great show‘ gratuliert. Hier in Deutschland wirst Du oft mit Neid und Argwohn betrachtet, da bin ich schon ganz froh, dass wir viel rumgekommen sind und einiges gesehen haben. Lemmy kenn‘ ich persönlich. Ich hab‘ mal bei ihm übernachtet. Der ist ein echter Urknochen. Unvergleichlich! Lemmy eben!!”
Wo findet Ihr die Inspiration für Eure Songs?
„In mittelalterlichen Liedersammlungen zum Beispiel. Unsere Texte sind ja in allen möglichen Sprachen gehalten: Latein, okzitanisch, altprovencalisch etc. Wir lassen die Texte von Übersetzungsbüros übersetzen, bearbeiten das Ganze und lassen es wieder rückübersetzen. So wissen wir wenigstens, worüber wir singen. Ich fänd‘ es ziemlich aufgesetzt, wenn ich keine Ahnung hätte, wovon unsere Texte eigentlich handeln.“
Das neue Album ist als Best Of gedacht, was bei über 100 Stücken im Repertoire die Auswahl nicht leicht machte. Die Fans durften bei der Entscheidungsfindung mitmischen und so wurden einige alte Stücke, die von der Soundqualiät grottig waren, neu eingespielt und zwei Songs extra geschrieben.
Aber um das Ganze perfekt zu machen, gibt es dann auch noch eine Bonus CD, auf der befreundete Bands Songs covern. Mit von der Partie sind ‚Silbermond‘, Götz Alsmann, der ‚Singapur‘ mit einem fluffigem Cha-Cha-Rhythmus unterlegt, aber auch keine geringeren als Killing Joke und Ougenweide, jene Kult-Mittelalterband, die in den 70ern eine Melodie zu den ‚Merseburger Zaubersprüchen‘ komponierte und In Extremo als Inspiration diente.
Auch eine neue Version von ‚Spielmann‘ wird es geben, nur Stimme und Klavier, so quasi als Chanson, was auch sehr interessant zu werden verspricht.
Das gute Stück erscheint jetzt im Dezember und wird, wie alles was die Sieben anpacken, ein Riesenerfolg.
Ich schließe dieses Interview mit dem guten Gefühl ab, die Gelegenheit gehabt zu haben, mit einem echt coolen Typen sprechen zu dürfen und habe in meinem zarten Alter auch noch was dazugelernt: Eine Nickelharpa ist eine schwedische Schlüsselfidel mit 16 Saiten und eine Trumscheit ist eine Nonnengeige, Nonnen durften nämlich keine Blasinstrumente spielen.
Na, was sagt Ihr jetzt??
Spart Euch Eure Worte und geht in den nächsten Plattenladen!
Aktuelles Album: Kein Blick Zurück (Universal)
Foto: Tanja Bonensteffen