Von seinem rautengemusterten Pullunder in rot und weiß sieht man natürlich während eines Telefonats nichts. Sein Outfit könnte in die Irre führen: Bernd Begemann macht keine Musik, die altmodisch orientiert ist. Erkennbare Fußspuren hinterlassen und den eigenen Ansprüchen genügen ist das Ziel des Musikers, der die Hamburger Schule stark geprägt hat. Seine neue CD "Ich werde sie finden" nennt er ein "Pop-Singspiel in vier Aufzügen", was Kombinationen zu Richard Wagner assoziiert.
Worum geht es bei dem Pop-Singspiel?„Es dreht sich dabei um Geschichten in der Art, dass man irgendwo herum macht und dann stecken bleibt. Das ist die Geschichte der meisten Leute, die ich kenne. Es gibt ein älteres Lied von mir mit der Zeile: "man macht ein paar Jahre lang rum und dann sieht man zu, wo man bleibt".
Das hat auch mit suchen und finden zu tun. Dieses Suchen und Finden klingt etwas ratlos.
„Ich sehe es bei mir so, dass mein Leben zwischen diesen beiden Polen abläuft: zwischen, Bewegung und Feststecken. Ich sehe auch, dass das bei anderen Leuten so ist. Nicht alle Musiker sind immer noch auf Tournee. Viele haben jetzt einen Bürojob. Die haben sich das teilweise ziemlich anders vorgestellt in ihren wilden Zeiten, wo sie viel herum gesucht haben. Heute gehen vielleicht einmal im Monat auf ein wildes Rockkonzert. Aber im Grunde war es das.“
Wenn Du in Deinen Texten "Ich" sagst, bist Du dann selbst gemeint?
„Ja, aber meiner Meinung nach bin ich nicht viel anders als andere Menschen. Wir sind alle nackt und bedürftig, alle wollen sich wohl fühlen, abends nach Hause kommen und jemanden antreffen, der lächelt.“
Eine Zeile in einem Song heißt: "Ich fliehe durch dieses seltsame Land". Wovor ergreifst Du da die Flucht?
„Unterwegs sein ist eine gute Methode, sich von Druck oder vom Schmerz zu befreien. Man kann tatsächlich eine Zeit lang vor seinem Schmerz oder seinen Problemen weg laufen. Viele Leute, die auf Tour sind, genießen das nicht nur wegen der Musik oder der Freigetränke, sondern weil das Leben so einfach ist. Es ist so linear: du musst da und da hin, spielst deine Lieder, und alles ist cool. Das ist ein leichtes, schönes Leben. Thys Mynther, der Produzent, hat da eine phantastische psychologische Landschaft geschaffen. Diese Klangwelt wollte ich haben, Psycholandschaften, Erzählungen zu den Klängen.“
Deine Lieder bestehen aus Chansons und Balladen, aus harter Beatmusik und verzwickten Strukturen. Wie setzt Du diese stilistische Vielfalt ein?
„Wenn ich merke, dass einige Lieder zusammen passen, denke ich, dass ist ja fast eine Geschichte. Die sich aus verschiedenen Komponenten zusammen setzt. Und dann merke ich, daß da Sachen fehlen, und ich schreibe Lieder dazu. Man kann das natürlich Konzept nennen, aber ich möchte eine Symmetrie erreichen, ich möchte ein komplettes Bild haben. Ich möchte Lieder auf eine Art zusammenfügen, die sich ergänzen, gegenseitig beleuchten und voran treiben. Ich habe mit ein paar Leuten über diese CD gesprochen. Einer meinte, da kommt ja eine Menge Stilistik zusammen. Das klang negativ, ein bißchen wie Wahllosigkeit. Ich habe wirklich immer nur versucht, angemessen zu sein und den Reichtum der Musik, der uns zur Verfügung steht, zu nutzen. "Auf den schwarzen Schwingen der Nacht" hat etwas Operettenhaftes, aber ich parodiere nicht diese Musik. Es passt hervorragend zum ersten Teil, dieses leichte, ein bißchen schmierige Johannes-Heesters-Gehabe.“
Wohin führt das alles noch?
„Ich hoffe, das führt zu so etwas wie bei Balzac, der hat achtzig Romane geschrieben. Dreißig davon habe ich gelesen und meine, daß er ein modernerer Autor ist als achtzig Prozent von dem, was gerade ein Bestseller ist. Man lernt mehr über die Gegenwart, wenn man Balzac liest als wenn man Gaby Hauptmann liest oder so etwas. Balzac versuchte, ein umfassendes und objektives Bild seiner Gegenwart zu zeichnen. Seine Romane hängen alle zusammen. Das finde ich einen guten Ansatz. Ich schreibe auch über Sachen, die ich mir angeeignet und recherchiert habe. Vielleicht hat man durch mich auch ein komplettes Bild, und zwar ein besseres Bild unserer Zeit als wenn man in fünfzig Jahren eine Guido-Knopp-Dokumentation über die Zeit sieht.“
Was macht heutzutage deutschen Pop aus?
„Naja, das sind alles Popmusikschul-Absolventen, die habe alle kleine nette Bärte und sind Nebendarsteller von Seifenopern und dann singen sie darüber, daß vielleicht alles ganz toll wird. Also, wenn das deutscher Pop ist, bin ich froh, nichts damit zu tun zu haben.“
Aktuelles Album: Ich werde sie finden (Begafon/Indigo)
Foto: Andreas Schmidt-Wiethoff