Auf einem der zahlreichen „Reels“, die Philine regelmäßig auf Instagram postet, ist im Hintergrund der Screenshot einer Festplatte zu sehen, auf der die junge Indie-Musikerin aus dem Ruhrgebiet hunderte von fertigen Tracks versammelt hat, die der weiteren Bearbeitung harren. Da indes Philine ihre Songs nicht bloß selber schreibt, sondern auch produziert, ist es offensichtlich gar nicht so einfach, im eng getakteten Live-Schedule Raum zu finden, diese Songs dann auch irgendwann ein Mal für die Veröffentlichung auf Tonträgern aufzubereiten. Immerhin hat Philine Sonny jetzt mit dem kanadischen Indie-Label Nettwerk einen Partner gefunden, der sie bei diesem Ansinnen unterstützen – und auch ihre Musik dann auch im Ausland entsprechend promoten kann. Bevor sich Philine allerdings an die Produktion ihrer ersten „echten“ LP begibt, gibt es mit der zweiten EP „Invader“ erst mal ein neues musikalisches Lebenszeichen, auf dem Philine jene Songs versammelt, die bei ihrem Live-Programm schon länger im Angebot sind. Der Plan ist dann obendrein, diese EP zusammen mit der ersten EP „Lose Yourself“ zu einer Vinyl-LP zusammenzustellen.
Angesichts dessen, dass sich Philine Sonny musikalisch auf einem Terrain bewegt (dem englischsprachigen, konfessionellen Indie-Pop), das ansonsten vor allen Dingen von amerikanischen Songwriterinnen besetzt wird – dieses aber bemerkenswert souverän und selbstsicher besetzt - wäre es mal interessant zu erfahren, was für sie selbst denn die größte Herausforderung an ihrem Metier darstellt.„Weil meine Songs immer sehr persönlich sind und ich den Anspruch habe, auch nicht zu lügen – also nicht irgendwelche Sachen zu sagen, die nicht stimmen - würde ich sagen, dass tatsächlich das Persönliche, was hinter den Songs steckt, das schwierigste ist. Wenn man einen Song über eine bestimmte Sache schreiben will, muss man sich auch im echten Leben wirklich damit auseinandersetzen, was nicht immer so ganz einfach ist."
Viele Musiker benutzen ihr Songwriting in diesem Sinne ja auch zur Autotherapie. Philine greift da aber lieber auf professionelle Unterstützung zurück. Ist ihr also ihre Musik nicht Therapie genug?
„Nee“, meint sie sehr bestimmt, „Songs zu schreiben ist natürlich irgendwie schon eine Hilfe, wenn man – wie in meinem Fall – den Anspruch hat, so tief wie möglich zu gehen und sich in die Themen hineinzuversetzten – aber ich kann ja immer nur so weit gucken wie ich in meiner kleinen Welt so lebe. Es ist dann aber wichtig, jemand zu haben, der von Außen schaut und einen dann wirklich noch mal an andere Grenzen bringt, das kann man dann nicht so richtig selber leisten. Das ist natürlich individuell – aber bei mir ist es auf jeden Fall so und deswegen bin ich in Therapie."
Die neue EP heißt ja „Invader“. Dabei geht es aber nicht um kriegerische Auseinandersetzung und Eroberungsphantasien, sondern vielmehr um das Eindringen in die Privatspähre anderer. Bedeutet das, dass Philine damit ein Problem hat?
„Ich habe die Songs teilweise schon vor langem geschrieben und als ich die mir dann anschaute, habe ich festgestellt, dass alle dieses Gefühl ansprechen, das ich in meinem privaten Leben so habe – nämlich mich immer überall auf- und reindrängen zu müssen; auch durch meine Songs. Denn einige Songs sind ja über Personen in meinem Leben – und manchmal denke ich mir, dass es ja total drüber ist, einfach einen Song über die Erlebnisse anderer zu schreiben. Das Ganze ist von diesem Gedanken überschattet."
Da haben wir ja eine Art tragischen Konflikt – denn als SongwriterIn muss Philine ja eigentlich auch auf andere als sich selbst schauen.
„Ja voll“, bestätigt Philine – das ist ja auch sehr inspirierend. Aber im persönlichen Leben ist das dann halt manchmal problematisch. Das habe ich durch die Therapie gelernt, dass es halt tatsächlich gewisse Grenzen gibt, die man besser einhalten sollte. Es gibt in meinem Fall halt die eine Seite, die einem einredet, dass man zuviel ist und dann die andere, die sagt, dass es auch schon OK ist, nach Hilfe zu fragen und man sich auf andere Leute verlassen darf. Dazwischen gibt es aber auch einen Punkt, der besagt, dass es zwar OK ist, nach Hilfe zu fragen aber es auch Momente gibt, in denen man für sich selber die Verantwortung übernehmen muss. Das ist halt nicht so ganz einfach. Es gibt eben Momente, wo man sich darüber klar sein muss, dass man sein Problem selbst lösen muss – und sich eben nicht anderen aufdrängen sollte. Und da hilft eben Therapie voll, denn das ist dann der Moment an dem man für sich selber sorgen kann, wenn man sowas macht."
Wenn die Selbstfindung per Autotherapie nicht der treibende Faktor ist, sei die Frage erlaubt, warum Philine eigentlich Musik macht? Geht es einfach darum, sich kreativ verwirklichen zu müssen?
„Ich glaube schon“, überlegt Philine, „es geht vielleicht aber gar nicht mal so tief. Es macht einfach Mega-Spaß. Ich habe immer schon gerne etwas mit meinen Händen gemacht – und wenn da schöne Töne rauskommen ist das umso besser. Es hat ja auch sehr früh begonnen. Mit 11 habe ich mit dem Schlagzeug angefangen, dann kam das Gitarre spielen hinzu, dann habe ich im Chor gesungen und bei einer Big Band mitgespielt. Musik war das, was ich immer schon gemacht habe. Ich war auch sehr 'lucky', dass ich so früh ein outlet gefunden habe und habe nie viel darüber nachgedacht. Ich glaube der Antrieb ist einfach Spaß!"
Auf jeden Fall fühlt sich das, was Philine heute macht, sehr selbstverständlich an – ganz so als sei das Ausleben der Kreativität ihr Zuhause.
„Ja schon“, pflichtet sie bei, „es gibt jedenfalls keine Alternative. Es klingt ein bisschen doof, wenn ich das jetzt so sage – aber das ist für mich ein ganz natürliches Ding, was ich immer schon gemacht habe. Damit identifiziere ich mich – und dadurch ist das schon ein bisschen ein Zuhause für mich."
Wenn man sich das bisheriger Format schaut – also EP #1, Konzerte, EP #2 und irgendwann die LP: Sind das für Philine dann so etwas wie Kapitel, die sie nacheinander „abarbeitet“ auf der Suche nach einer Auflösung?
„Jetzt wo Du das sagst, sehe ich das auch so“, führt Philine aus, „es ist nicht so, dass ich das als Kapitel geplant habe, aber ich habe schon gemerkt, dass die zweite EP jetzt etwas 'gessetteter' ist in ihrem Kontext: Wie komme ich an dem Ort klar, an dem ich angelangt bin, was wünsche ich mir für die Zukunft? Auf der ersten EP ging es viel mehr um das Aufwachsen, irgendwo hinziehen und sich selber finden. Und es wird dann ja auch irgendwann ein Album geben – das ist das Nächste, was ich mir für die Zukunft vorgenommen habe – und schaue ich schon, das ganze in einer Reihenfolge zu denken – eine Geschichte oder eine Chronologie, die für mich Sinn macht. Und wer weiß: Vielleicht wird das dann die Auflösung?"
Bislang war Philine's Karriere eine Aneinanderreihung glücklicher Umstände. Gibt es denn jetzt einen Masterplan?
„Ich sehe das immer, dass es zwar sehr viele gute Zufälle gab – aber ich war darauf vorbereitet, dass die passieren. Ich glaube, man kann nie genau sagen, was passiert, deswegen schaue ich erst mal. So wie wir es jetzt machen, läuft alles ganz gut und ich lasse mich gerade ein wenig treiben. Das, was ich in den letzten Jahren gelernt habe ist, dass man sich nicht so richtig auf Dinge verlassen kann – nicht was meinen inneren Zirkel, aber was Termine, Support-Slots, Logistik und solche Sachen betrifft."
Kommen wir mal zur Musik: Philine produziert ihre Musik ja selber. Arbeitet sie dabei auf einen bestimmten Sound hin oder entsteht dieser durch das Ausprobieren von Möglichkeiten?
„Genau letzteres“, erklärt Philine, „was ich für mich herausgefunden habe, ist dass Limitationen für mich total wichtig sind. Man ist in einem Raum und hat nur diese bestimmten drei Instrumente. Da macht man andere Dinge, als wenn man jedes Instrument der Welt vor sich hat. Dann wird man nämlich weniger kreativ."
Wovon lässt sich lässt sich Philine musikalisch inspirieren? Philine's Lieblings-Acts wie z.B. Bruce Springsteen – dessen Charakter „Sonny“ sie ihren Künstlernamen verdankt – sind ja nicht wirklich in ihrer Musik herauszuhören.
„Ich glaube, ich gucke relativ wenig nach links und rechts. Ich mache es nie so, dass ich mir einen Track nehme und sage, ich möchte, diesen und jenen Sound und das so machen, wie es jetzt in dem Song ist, sondern ich bin vor allen Dingen inspiriert von Leuten, die machen, was sie wollen und die jede Produktionsentscheidung selber treffen. Und das inspiriert mich dann auch das zu machen, was ich in dem Moment gerade fühle. Das klingt dann halt manchmal anders. Es gibt dann Künstler, die klingen total weird – und das ist dann für mich die Message: Das ist scheiß-egal, wenn der irgend etwas macht, dann kann ich auch irgend etwas machen."
Hilft es dabei, dann selber ein wenig unkonventionell, nerdy und verrückt zu denken.
„Ja voll“, meint Philine und belässt es zunächst dabei – was aber dann zu der Frage führt, ob Musik nicht vielleicht gleich besser größer als das Leben sein sollte?
„Boah“, meint Philine, „ja schon. Ich versuche immer die eine Wand noch zu durchbrechen. Was manchmal frustrierend sein kann, weil man es selbst noch nicht ganz versteht, was hier und da dahinter steckt. Es ist aber auf jeden Fall ein Anspruch von mir.“ Wird man denn da auch manchmal von der Musik selbst geleitet? „In a way“, zögert Philine, „manchmal sitzt man zu Hause und denkt sich: Das wäre eine coole Idee jetzt mal einen Basslauf einzuspielen. Dann macht man das und merkt: Absolut nicht – der Text will etwas ganz anderes."
Und was zeichnet dabei einen guten Song aus?
„Da denke ich auf jeden Fall drüber nach“, überlegt Philine, „ich will immer einen guten Text hören, der darüber hinaus geht, das Offensichtliche zu 'staten', sondern etwas zieht. Und ich möchte schöne Sounds hören, die man noch nicht gehört hat. Ich selbst habe immer den Anspruch, dass meine Texte ein wenig clever und nicht zu offensichtlich sind – also nicht 'super-plain'. Wobei ich halt keine Lyrikerin bin. Ich lese nicht so viel und bin da auch nicht so bewandert; weswegen das auch für mich eine Challenge ist. Und ich will doch seht ehrlich sein und nicht allzu viele Regeln setzen, sonst wird es langweilig."
Wie geht es denn jetzt weiter für Philine Sonny? Wird es wieder so einen eng getakteten Live-Plan geben, wie in der letzten Saison.
„Das wird ein bisschen geordneter jetzt“, führt sie aus, „wir haben jetzt noch ein paar Support-Gigs Ende März, dann spielen wir im Mai unsere Headliner Tour in Europa und England und ansonsten haben wir bislang nur ein Festival geplant. Ich werde also vermutlich das Album aufnehmen – und vielleicht ein bisschen Urlaub machen."
Aktuelles Album: Invader (Nettwerk)
Weitere Infos: https://www.instagram.com/philinesonny/ Foto: Nicolas Blanchadell