Ella Williams ist angekommen: Auf ´Tomorrow's Fire´, ihrem packenden dritten Album als Squirrel Flower, setzt die 27-jährige Amerikanerin selbstbewusster und selbstbestimmter denn je auf einen explosiven Rock-Sound, lässt bei ihrem unerschrockenen Blick auf den alltäglichen Wahnsinn aber auch nicht die Schönheit und Zerbrechlichkeit außer Acht, die ihre frühen DIY-EPs und ihre ersten beiden Alben zu Indie-folk-Glanzlichtern gemacht hatten.
Mit ihrer hinreißenden Debüt-LP ´I Was Born Swimming´ positionierte sich Ella Williams Anfang 2020 als Künstlerin, die auf den Schultern der großen Heldinnen des Indie-Universums der letzten 30 Jahre selbstbewusst und ohne genretechnische Scheuklappen ihren eigenen Weg geht. Keine 18 Monate später erschien deshalb bereits der ebenso beeindruckende Nachfolger ´Planet (i)´, mit dem die lange in Boston heimische, aber inzwischen seit einigen Jahren in Chicago ansässige Musikerin ihr Tun konsequent weiterentwickelte und mit viel Lo-Fi-DIY-Charme klanglich auf noch breitere Füße stellte.Aufgewachsen in einem künstlerischen Umfeld, wurde Ella die Musik gewissermaßen in die Wiege gelegt. Der Übergang von frühkindlicher Musikerziehung zu selbstbestimmtem Ausdruck in Songform war dabei praktisch fließend.
„Ich habe schon immer Musik gemacht, weil es sich einfach gut anfühlt“, erzählte sie uns schon bei unserer letzten Begegnung vor zwei Jahren. „Echte Ambitionen habe ich dann entwickelt, als ich bereits ein, zwei Jahre als Squirrel Flower aktiv war. Ich stellte fest, dass dem Publikum gefiel, was ich tat, und ich fragte mich, ob ich damit vielleicht meinen Lebensunterhalt verdienen könnte, wenn ich mich wirklich reinhänge. Genau das habe ich dann getan."
Klingt ganz einfach, ist es dann aber doch nicht immer, denn mit ´Full Time Job´ schickte Ella nun dem just erschienenen dritten Squirrel-Flower-Album einen Song voraus, bei dem in Zeilen wie „Taking it easy is a full time job / One I'm tired of“ und „Doing my best is a full time job / But it doesn‘t pay the rent“ eine Menge Frustration steckt. Eine Reaktion auf die Pandemie, die auch ihr viele Steine in den Weg gelegt hat?
„Ich denke, die Pandemie war für mich tatsächlich eher eine Art Segen“, antwortet sie beim Video-Call mit der WESTZEIT Anfang Oktober. „Ich konnte mir einen Moment Zeit nehmen, um die Rolle der Musik in meinem Leben und meine künstlerische Stimme neu zu bewerten, und ich konnte auch schauen, wie ich in die Musikwelt im Allgemeinen passe. Ich denke, die Frustration in den Songs auf der neuen Platte bezieht sich vor allem darauf, in einer Welt zu leben, in der es sehr herausfordernd ist, Künstlerin zu sein.“
In dieser Zeit der Reflexion wurde Ella bewusst, dass sie zwar auch weiterhin mit dem Musikmachen ihren Lebensunterhalt bestreiten will, das Ziel dabei aber nicht eine Karriere mit „fame and fortune“ ist. Die Freiheit, die ihr diese Erkenntnis bescherte, kostet sie nun auf ´Tomorrow‘s Fire´ genüsslich aus.
„Als ich die Songs schrieb, bekam ich das Gefühl, dass sie sehr laut sein mussten, und auch wenn ich glaube, dass in meiner Musik viel Zurückhaltung steckt, wollte ich bei diesem neuen Album betont hemmungslos sein und klanglich bis an die Grenzen gehen. Ich wollte keinen Interpretationsspielraum zuzulassen.“
Wuchtig, dringlich und unmittelbar sind ihre neuen Lieder deshalb, mit denen sie den Geist der 70er-Jahre-Großtaten eines Neil Young, die raue Energie des Grunge und die Melodien des 90er-Jahre-Indierock ins Hier und Jetzt katapultiert. Während ihr Erstling vor drei Jahren um Coming-of-Age-Themen und die damit verbundenen Probleme kreiste und sich der Nachfolger mit der Klimakrise und Naturkatastrophen beschäftigte, vereint Ella diese Themen nun auf ´Tomorrow's Fire´, während unter dem Einfluss von Bruce Springsteen und Tom Waits in Songs wie ´Canyon´ und ´Alley Light´ Ellas Freude am Storytelling an die Stelle der strikt autobiografischen Note ihrer früheren Lieder rückt.
„Das zu tun, fühlte sich für mich wie eine natürliche Weiterentwicklung an“, erklärt sie. „Ein Song wie ´Alley Light´ ist einfach so passiert. Ich habe mich nicht hingesetzt und überlegt, wie ich den Song mit einer anderen Erzählform schreiben kann, es war eher so, dass ich mir erlaubt habe, Spaß zu haben, und zugelassen habe, dass dabei dieser Song herauskommt.“
Doch nicht nur beim Songwriting ging Ella neue Wege. Benannt nach einem Roman ihres Urgroßvaters Jay Williams, ist ´Tomorrow's Fire´ das erste ihrer Alben, das sie – gemeinsam mit Alex Farrar (Snail Mail, Wednesday, Indigo de Souza) – auch selbst co-produzierte.
„Mir zu erlauben, diese Rolle auszufüllen und die damit verbundene Verantwortung anzunehmen, war ein wirklich großer Schritt für mich, und ich spürte, dass ich zum ersten Mal wirklich bereit dafür war“, sagt sie. „Ich glaube nicht, dass ich bei den beiden vorherigen Platten das Wissen oder das Selbstvertrauen dazu gehabt hätte, aber bei dieser Platte habe ich es wirklich geschafft, und das war ein sehr, sehr ermächtigendes Gefühl.“
Mit ihrer ersten Band-Tournee in Europa, die sie Mitte November auch nach Berlin, Rotterdam und Brüssel führt, macht sie nun den nächsten Schritt und weiß dabei auch ganz genau, was für sie ein gutes Konzert ausmacht.
„Ich gehe oft auf Konzerte und sie klingen die ganze Zeit genau gleich, und wenn die Abwechslung fehlt, ist das am Ende einfach ermüdend. Deshalb braucht eine gute Show für mich Präsenz, Dynamik und Energie. Sie nimmt dich mit auf eine Reise – das ist zumindest das, was ich bei meinen Konzerten versuche.“
Dass sie damit ein wenig gegen gängige Trends schwimmt und künstlerische Belange ein Stück weit über finanzielle stellt, gehört dabei zum Konzept.
„Ich denke, es geht darum, ein Gleichgewicht zu finden. Wenn man Musik nur mit Blick auf den kommerziellen Erfolg macht, wird die Musik ziemlich schlecht sein“, gibt sie zu bedenken. „Unabhängig davon, ob es schlechte Musik ist oder nicht, ist das auch nicht der Sinn des Künstlerdaseins, zumindest aus meiner Sicht. Es ist leicht, sich für eine Schublade zu entscheiden und dort für deine gesamte Karriere zu bleiben, aber ich finde, es gibt doch so viel Freiheit, und die sollte man nutzen. Denn wenn man das nicht tut, fängt man an, sich zu langweilen, und das ist das schlimmste Gefühl überhaupt!"
Aktuelles Album: Tomorrow's Fire (Full Time Hobby / Rough Trade)
Weitere Infos: squirrelflower.net Foto: Alexa Viscius