Gäbe es BROCKHOFF nicht schon, man könnte die Band der 22-jährigen Lina Brockhoff nicht besser erfinden. Ohne Scheu vor Verletzlichkeit, aber nie wehleidig spürt die Wahl-Hamburgerin mit den klug beobachteten Momentaufnahmen ihrer Lieder das Besondere im Banalen auf und ist mit ihrem toughen Sound auf den Spuren von US-Singer/Songwriterinnen wie Phoebe Bridgers, Snail Mail und Soccer Mommy auch klanglich der hiesigen Konkurrenz mindestens eine Nasenlänge voraus. Jetzt erscheint ihre mit ungekünstelter Spontaneität glänzende, allenthalben hochgelobte EP ´Sharks´ etwas verspätet endlich auf Vinyl, und auch viele Konzerte sind für dieses Jahr schon jetzt fest eingeplant.
Keine Frage, sucht man in der deutschen Indielandschaft nach dem größten Shooting-Star des vergangenen Jahres, kommt man an Lina Brockhoff nicht vorbei. Ende 2019 kehrt die junge Musikerin ihrer Heimat in der niedersächsischen Provinz den Rücken und zieht in die Großstadt nach Hamburg. Den inspirierenden Ortswechsel nutzt sie, um sich auch künstlerisch neu zu orientieren. Ihre erste EP mit Songwriter-Pop (´Fading Lines´) lässt sie genauso hinter sich wie das Solistinnendasein. Die Teilnahme am Pop-Kurs in der Hansestadt bringt neue Kontakte und frische Ideen mit sich, in der erzwungenen COVID-19-Auszeit reift die Idee für BROCKHOFF, ihr neues Projekt mit Band, das sich in Abgrenzung zu ihrem Nachnamen in Großbuchstaben schreibt und nun mit ´Sharks´ das nächste Kapitel einer schon jetzt beeindruckenden Erfolgsgeschichte aufschlägt.Mit den fünf perfekt inszenierten, beeindruckend facettenreichen Ohrwürmern ihrer EP beweist Lina ein goldenes Händchen für Melodien, die zumeist unheimlich eingängig, aber nie zu aufdringlich sind und oft lieber mit lakonischer Gelassenheit glänzen, anstatt effekthascherisch auf den großen Splash abzuzielen. Doch nicht nur deshalb schwimmt sie mit BROCKHOFF ein Stück weit gegen den Strom. Während viele ähnlich inspirierte Künstlerinnen und Künstler gerade auch hierzulande gar nicht schnell genug von ihren rauen Indie-Wurzeln wegkommen können und ihr Heil in seichten Popsongs suchen, geht sie praktisch den entgegengesetzten Weg und setzt statt auf Akustikklampfe und Synthesizer lieber auf Stromgitarren und einen wuchtigen Sound mit unüberhörbarem 90er-Jahre-Flair. Hört man ihre brillanten Power-Pop-Nummern heute, mag man kaum glauben, dass sie mit klassischen Indie-Folk-Flüster-Songs angefangen hatte.
„Ich glaube, dass ich insgesamt ein bisschen mutiger geworden bin – was das Songwriting angeht, aber auch das ganze Drumherum“, sagt sie beim Videochat mit der Westzeit über ihren Werdegang. „Mit der Band und einem großen Team dahinter habe ich jetzt viel mehr Spielraum, mich rechts und links umzuschauen und Sachen auszuprobieren. Das hatte ich zuvor einfach nicht. Da habe ich nur für mich im stillen Kämmerlein ein paar traurige Akustik-Gitarrensongs geschrieben."
Unverändert ist dagegen Linas intuitives Gespür für die poetischen Situationen des alltäglichen Wahnsinns, die kleinen Momente mit großer (Symbol-)Wirkung, die sie in ihren Songs mit spielerischer Leichtigkeit und gerne auch mal mit einem selbstironischen Augenzwinkern festhält und dabei Brücken baut von der Emotionalität persönlicher Erfahrungen hin zu allgemeingültigen Sinnfragen, die Herz und Kopf gleichermaßen treffen – oder wie sie selbst es ausdrückt:
„Ich denke, mein Ziel ist es, die kleinen Schlüsselszenen zu finden, auf die man beim Wühlen in den Gedanken stößt und die irgendeine Kleinigkeit aus dem Leben erzählen, aber so viel mehr aussagen, weil sie metaphorisch für das stehen, was man zu dem Zeitpunkt empfunden hat. Da reicht dann manchmal eine einzige Zeile, die ein bestimmtes Detail beschreibt, aber trotzdem ein krasses universelles Gefühl auslöst."
Kein Wunder also, dass Lina in den letzten Monaten eine echte Woge der Begeisterung entgegenschwappte, ein Highlight das nächste jagte und Auftritte bei Megafestivals wie dem Tempelhof Sounds in Berlin, eine erste Tournee durch Großbritannien und Supportslots für Paolo Nutini nur die Spitze des Eisbergs waren. Im April finden zudem die ersten BROCKHOFF-Headline-Konzerte hierzulande in Hamburg und Berlin statt, bevor sich Gastspiele bei legendären Sommer-Open-Airs wie Immergut oder Haldern Pop anschließen. Auch die Verwirklichung eines kompletten Albums rückt immer näher. Ganz geheuer ist Lina all die Aufmerksamkeit sympathischerweise nicht. Unter ihre Freude, dass so viele ihrer von klein auf gehegten Träume so schnell in Erfüllung gegangen sind, mischt sich deshalb auch ein wenig Ungläubigkeit.
„Ich bin nicht immer hinterhergekommen, alles zu verarbeiten, weil es so viele neue Sachen auf einmal waren“, gesteht sie. „Das letzte Jahr war auch geprägt von kurzfristigen Anrufen – ‚Hey, wollt ihr vielleicht morgen noch auf einem Festival spielen?‘ –, denn wegen Corona sind ja doch viele Bands kurzfristig abgesprungen. Ich bin superfroh, dass ich so eine spontane Band habe, die das alles mitgemacht hat, weil wir dadurch viele coole Erfahrungen mitnehmen konnten, auch wenn ich oft ins kalte Wasser springen musste."
Sie lacht.
„Keine Zeit zu haben, um aufgeregt zu sein, war manchmal aber sicher auch ganz gut!"
Aktuelle EP: Sharks (Humming Records / Membran) Vinyl-VÖ 03.02.
Weitere Infos: brockhoffmusic.com Foto: Charlotte Krusche