´Beginnings´ nannte Johanna Amelie ihr letztes Album, doch wie treffend dieser Titel war, zeigt sich erst jetzt. Mit dem just erschienenen feinen Nachfolger ´Fiction Forever´ stellt sich die in Berlin heimische Singer/Songwriterin praktisch auf die Schultern ihres bisherigen Schaffens, wenn sie mit ihren Texten Persönliches ebenso wie die Krisen unserer Tage aufarbeitet und gehüllt in Indie-Folk und Dream-Pop beeindruckend abgeklärt ihren Weg zwischen Poesie und Nachdenklichkeit findet. Schon in der ersten Mai-Woche startet auch die Tournee zum Album, auf der Johanna mit ihrer Band zwischen Hamburg und Trier in einem Dutzend deutscher Städte gastieren wird. Vorab nahm sie sich Zeit für ein Gespräch mit der Westzeit.
Johanna Amelie geht mit offenen Augen durch die Welt. Wo es anderen, ähnlich inspirierten Musikerinnen bisweilen zu reichen scheint, das eigene Tagebuch möglichst ungefiltert zu vertonen, verliert Johanna beim Schreiben ihrer Songs nie die ungewöhnlichen Perspektiven, den Blick fürs Besondere aus den Augen. Dabei geht es ihr eher darum, Fragen aufzuwerfen, als Antworten zu finden, ganz egal, ob es um brennende Gegenwartsthemen wie Umweltzerstörung geht, die sie in ´Earth Wanted Plastic, She Didn´t Know How To Make It´ thematisiert, oder Anliegen mit persönlicher Note, etwa bei ´Swim Suit´."In dem Song geht es darum, wie man damit umgeht, wenn es Menschen, die man liebt, schlecht geht", erklärt sie den Hintergrund der vorab als Single erschienenen Nummer. "Wie kann man sich mit ihnen solidarisieren, ohne dass man versucht, sie zu ändern oder ihnen schlechte Tipps gibt, die sie nicht gebrauchen können? Das war einfach eine Beobachtung von mir, Menschen, die Schicksalsschläge erlitten haben, brauchen ja Zeit, um durch diese Prozesse hindurchzugehen. Für dieses Einfach-da-Sein haben wir die Metapher des Badeanzugs gefunden: Ich bringe meinen Badeanzug mit, und ich spring mit dir rein in den Fluss und versuche nicht, dich da sofort herauszuziehen. Das ist natürlich nur ein Bild für diese Idee, keine Antwort auf das Problem."
Johanna beschreibt sich zwar selbst als anspruchsvolle Perfektionistin, der es nicht immer leichtfällt, die Zügel aus der Hand zu geben.
"Ich glaube, das ist so ein typisches Steinbock-Ding", sagt sie lachend. Dennoch spielt das Füreinander-da-Sein für sie auch in musikalischer Hinsicht eine wichtige Rolle, nicht nur, wenn es um ihren unermüdlichen Einsatz dafür geht, die Sichtbarkeit weiblicher und non-binärer Artists zu steigern. Auf der letzten LP ließ sie sich von Lùisa, Moritz Krämer, Alin Coen und Tristan Brusch unter die Arme greifen, dieses Mal nahmen bei den Aufnahmen, die sie von der Kälte Kreuzbergs in die Hitze Siziliens führten, Pola Roy von Wir sind Helden und Jonas David neben ihr auf dem Produzentenstuhl Platz. Andere "famous friends" waren in verschiedenen anderen Rollen in die Entstehung von ´Fiction Forever´ eingebunden.
"Ich habe viel Verantwortung abgegeben", verrät Johanna. "Die Songs sind von mir, aber die Arrangements und die Produktion habe ich mit vielen anderen zusammen gemacht, und ich glaube, da ist ein neuer Sound draus geworden, irgendwo zwischen Berlin und Modica, Sizilien, zwischen 0 und 50 Grad Celsius, die bei den Aufnahmen geherrscht haben. Das war wirklich eine Reise, ein Prozess, aber ich finde, letztendlich lässt sich der Sound irgendwie dann doch in einem Album zusammenzufassen."
War ´Beginnings´ ein Album, das eher mit zeitloser Schönheit bestach, darf man bei ´Fiction Forever´ gerade im ersten Teil der Platte schon das Gefühl haben, dass die Lieder etwas näher an den Zeitgeist, näher an aktuelle klangliche Trends heranrücken. Diesen Weg zu beschreiten, war eine durchaus bewusste Entscheidung, in der sich die beiden Co-Produzenten besonders einbringen konnten. Als Beispiel nennt Johanna den Song ´Wifi´, der in der Demofassung eine auf Klavier und Gesang heruntergebrochene Ballade war, bis Johanna inspiriert von der neuseeländischen Popmusikerin Chelsea Jade auf die Idee kam, das Lied mit Unterstützung von Jonas David in eine völlig neue Richtung zu schubsen.
"Der Song gefällt mir in dieser Version nun viel besser als meine Klavierballade", gesteht sie. "Das ist ein Beispiel für die Zusammenarbeit mit einem Produzenten. Manchmal entsteht dabei nicht A und nicht B, sondern C, also die Schnittmenge aus den Ideen der beiden. Mich da so auszuprobieren und neue Sounds zuzulassen, hat mir richtig Spaß gemacht."
Aktuelles Album: Fiction Forever (brillJant Alternatives / Indigo)
Weitere Infos: www.johannaamelie.com Foto: Steffi Rettinger