Annie Bloch ist klanglich dort zu Hause, wo schon immer die aufregendste Musik entstanden ist – im Spannungsfeld von Kontrolle und Loslassen, dem diffusen Dazwischen, wo klare künstlerische Vorstellungen auf eine natürliche Neugier und ein Grundvertrauen in den kollaborativen Prozess treffen. Das gilt besonders auch für ´When You Get Here´, das gerade erschienene Debütalbum ihres Duos Annie & Mo, mit dessen dahingetupften Leisetreter-Folk-Songs die in Köln heimische Musikerin ihr breites Spektrum zwischen althergebrachter Orgelmusik, experimentellen Improv-Konstellationen und handgemachten Indieklängen eindrucksvoll um eine zusätzliche Facette erweitert.
Annie Bloch ist nicht nur musikalisch in vielen Welten zu Hause. Aufgewachsen im niedersächsischen Diepholz, verbrachte sie prägende Jahre im irischen Cork, wo sie Musik und Literatur studierte und als Künstlerin erst so richtig aufblühte, bevor sie in Köln die Chance ergriff, ihren weitreichenden musikalischen Interessen uneingeschränkt nachgehen zu können. Dabei zeichnet Annies Musik nicht allein die Suche nach neuen Herausforderungen aus, die schon immer eine wichtige Motivation für sie war, sondern vor allem auch ein Gefühl von Ungezwungenheit und Spontaneität, das dazu führt, dass man speziell bei ihren Konzerten bisweilen glaubt, die Songs würden gerade erst vor den Augen und Ohren des Publikums entstehen. Zufall ist das natürlich nicht.„Live spiele ich eigentlich nie das gleiche Set zweimal“, erklärt Annie bei unserem Treffen vor ihrem Konzert Ende November in Münster. „Ich nehme mir die Freiheit, die Songs immer wieder anders zu arrangieren oder sie mit anderen Leuten zu spielen und achte darauf, dass jede Person selbst etwas einbringen darf. Ich gehe da einerseits aus einer Folk-Richtung ran – dass man versucht, sich nahe zu sein –, aber andererseits auch aus einer Jazz-Perspektive – dass viele Sachen passieren dürfen. Einen Song so zu spielen, wie ich ihn immer spiele oder eine Ansage zu machen, die ich schon mal gemacht habe – da habe ich selbst keinen Spaß dran!“
Das war allerdings nicht immer so. Ihr erstes Album, ´In Between´, hat Annie mit 19 aufgenommen und dabei noch ganz andere Ziele verfolgt.
„Damals war ich bei jedem Song auf der Suche nach dem perfekten Take“, erinnert sie sich lachend. „Ich habe total viel geschnipselt und zusammengebastelt. Allerdings habe ich das Album nicht aus einer Vorstellung heraus aufgenommen, wie meine Musik klingen soll, sondern eher gedacht: Geil, was man alles basteln kann!“
Inzwischen hat sie nicht nur an ihrer künstlerischen Vision gefeilt und dabei den Raum elektrischer Anspannung, schwebender Leichtigkeit und gefühlvoller Annäherung als Wohlfühlort erkannt, sie hat auch das Klavier, das damals ihr wichtiges Instrument war, gegen die Gitarre eingetauscht. Dass sie sich selbst für eine bessere Pianistin als Gitarristin hält, war dabei eher Grund für als gegen diese Entscheidung, die allerdings nicht ganz folgenlos blieb.
„Früher habe ich Klavier gespielt, weil ich dachte: Alle spielen Gitarre!“, gesteht sie. „Ich hatte auch ein wenig Angst, in das Klischee der Singer/Songwriterin zu rutschen und ich merke auch heute noch, dass ich mit solchen Settings Probleme habe, weil es mir da zu sehr um Storys geht und mir der Fokus auf Sounds fehlt.“
Wie man beides perfekt verbindet, zeigt Annie auf ihrem kurz vor dem Ausbruch der Pandemie erschienenen Album ´Floors´, auf dem sie persönlich gehaltene Texte voller Intimität und Poesie kunstvoll in sich langsam entfaltende Songs verpackt, die das Indie in Indie-Folk betonen und ihren breitgefächerten musikalischen Background widerspiegeln, ohne deshalb den Fokus zu verlieren. So begeistert Annie auf ´Floors´, unterstützt von der zehnköpfigen Band, durch einen herrlich wandelbaren Sound mit betont menschlicher Note, der, warm und rau zugleich, keine Idiosynkrasien scheut und ehrliche Authentizität über glitzernde Perfektion stellt.
Trotzdem beweist das neue Album ´When You Get Here´, das sie gemeinsam mit Muireann Ní Sheoighe Eachthighearn als Annie & Mo aufgenommen hat, dass es auch anders geht. Mit der deutsch-irischen Kollaboration bauen die beiden nicht nur Brücken von Köln nach Cork, sondern verbinden in den wunderbar unaufdringlichen Folk-Songs Annie feines Gespür für echte Emotionen, die bei ihr in Text und Musik gleichermaßen stecken, mit Mos Faible für klassisches Storytelling und die Folk-Tradition ihrer Heimat. Behutsam ausstaffierte Lieder wie ´Pine Trees´ passen dabei genauso ins Bild wie eine kurze Momentaufnahme mit Field-Recording-Charme namens ´Nothing´. Doch so mühelos das ein stimmiges Ganzes ergibt – der ursprüngliche Plan warein anderer.
„Das Album ist eher aus der Motivation heraus entstanden, dass ich bei Muireanns Songs mitgespielt habe und wir gerne ihre Songs aufnehmen wollten“, verrät Annie. „Dann haben wir gedacht: Lasst uns doch gleich ein ganzes Album machen, das wir durch meine Songs ergänzen – und zwar durch welche, die zu ihren passen. Die Songs von mir, die nun auf dem Album gelandet sind, sind echt ruhig, aber ich bin sehr froh, dass das passiert ist, weil ich mir zuvor oft nicht die Zeit genommen habe, so ruhige Songs zu machen. Das nun zuzulassen, ist sicher auch ein musikalischer oder persönlicher Reifungsprozess für mich.“
Sie lacht. „Früher hatte ich immer das Gefühl, man kann den Menschen diese Melancholie nicht antun!“
Aktuelles Album: Annie & Mo – When You Get Here (Eigenveröffentlichung)
Weitere Infos: anniebloch.com Foto: Frederike Wetzels