Emma Ruth Rundle offenbart uns ihre Seele. So nah und echt und direkt wie nie zuvor kanalisiert die amerikanische Ausnahmekünstlerin auf ihrem neuen Album ´Engine Of Hell´ ungefilterte Emotionen und schmerzvolle Erfahrungen in ergreifenden Songs, die niederschmetternder, bedrohlicher und intensiver kaum klingen können. Im Westzeit-Interview spricht sie über ihren Weg zu diesem bemerkenswerten Album, über musikalische Zeitreisen und unerwartete Erkenntnisse.
Emma Ruth Rundle kennt sich aus mit den dunklen Seiten des Lebens. Nicht ohne Grund nannte die 38-jährige Amerikanerin vor fünf Jahren ihre zweite LP als Solistin ´Marked For Death´. Eindringlich und unverblümt zeichnete sie dort ihr Leben ganz tief unten nach, doch statt in Selbstmitleid zu baden, nahm sie in ihren düsteren Songs den Kampf mit ihren Dämonen auf und schuf unter die Haut gehende Klanglandschaften voller Melancholie, die urwüchsige Arrangements und große Musikalität verbanden. Zu scharfkantigen Gitarrensounds und rollenden Rhythmen sezierte sie damals offen und ehrlich ihr Seelenleben, sang von Verlust, Herzschmerz und selbstzerstörerischem Verhalten.Im Jahre 2018 fand sie dann mit dem Nachfolgewerk ´On Dark Horses´ einen Weg aus der Dunkelheit und führte klanglich ihr bisheriges Schaffen mit Red Sparowes, Marriages, The Nocturnes und als Solistin bruchlos zusammen. Anders als beim Vorgängerwerk, bei dem es so schien, als seien die Lieder einfach aus ihr herausgebrochen, wirkten die Lieder auf ´On Dark Horses´ überlegter und waren eher Ergebnis eines kreativen Reifungsprozesses als Therapie in Songform. Doch nicht nur künstlerisch schienen sich damals die dunklen Wolken zu verziehen. In Louisville, Kentucky, wo sie nach ihrer Heirat mit Jaye-Jayle-Mastermind Evan Patterson heimisch geworden war, lernte sie durch die aufblühende Freundschaft mit ihren Bandmitstreitern und der Familie ihres Mannes einen neuen Gemeinschaftssinn kennen, der sich spürbar positiv auswirkte.
Drei Jahre später ist davon nicht mehr viel übrig. Ohne Band im Rücken widmet sich Rundle auf ´Engine Of Hell´ fragilen, verletzlichen Songs, die rau und ungeschminkt ihre tiefe Verzweiflung und unendliche Hoffnungslosigkeit einfangen und nur auf das nötigste Beiwerk beschränkt keine klanglichen Schlupflöcher bieten, um die Schonungslosigkeit der Texte zu maskieren. Das Resultat ist ein Album für einsame Stunden, für gedimmtes Licht, für Momente voller Verwundbarkeit. Doch auch wenn die Lieder oft todtraurig klingen – die Künstlerin selbst ist sehr glücklich über ihr neues Werk, ist es ihr doch gelungen, genau das umzusetzen, was ihr vorschwebte.
„Eine Platte wie diese wollte ich schon sehr lange machen“, gesteht Rundle beim Videocall mit der Westzeit. „Schon bevor ´On Dark Horses´ entstanden ist, wollte ich ein Album aufnehmen, das vollkommen reduziert ist, etwas, das völlig anders ist als das, was ich bisher gemacht habe, gleichzeitig aber repräsentiert, wie ich eigentlich Musik schreibe. Ich wollte eine Platte haben, die mich ohne Band zeigt, denn ich glaube, dass das der Kern, das Herzstück meiner Arbeit als Künstlerin ist. Ich liebe Alben wie Sibylle Baiers ´Colour Green´ oder Nick Drakes ´Pink Moon´. Ich liebe die Unvollkommenheit, die verstimmte Gitarre, und deshalb habe ich schon lange den Wunsch gehegt, selbst auch eine Platte zu machen, die auf diese Art und Weise produziert ist."
Um ihrem Ziel näher zu kommen, die menschlichen Aspekte von Songs und Performance in den Mittelpunkt zu rücken, entstanden die Aufnahmen für ´Engine Of Hell´ größtenteils live im Studio. Rundle spielte die Songs wieder und wieder, Perfektion war dabei allerdings nicht das Ziel.
„Am Ende haben wir die Takes mit dem besten Feeling ausgesucht“, erklärt sie. „Vielleicht habe ich dabei den Text vermasselt, vielleicht gab es Probleme bei der Gitarre oder vielleicht war mein Gesang etwas schief, aber ich wusste, dass ich ein Platte haben wollte, die klingt wie früher, als man einfach nur mit einem Mikro aufgenommen hat."
Die Intimität und Eindringlichkeit der neuen Lieder ist aber nicht allein dem Aufnahmeprozess an sich geschuldet. Anstatt sich wie in der Vergangenheit auf die Gitarre zu beschränken, widmet sich Rundle auf der neuen Platte auch wieder ihrer „ersten Liebe“, dem Klavier, ein Instrument, das ihr in jungen Jahren von ihrem Vater nähergebracht wurde.
„Je älter ich werde, desto mehr weiß ich zu würdigen, was für ein ungewöhnlicher Musiker mein Dad ist“, gesteht sie. „Sein Klavierspiel ist sehr meditativ, er setzt sich einfach hin und kanalisiert Musik, die aus einer anderen Dimension zu stammen scheint. Man könnte sie vielleicht als Jazz oder als Jazz-beeinflusst bezeichnen, letztlich ist es wohl zeitgenössische Avantgarde. Damit aufzuwachsen, hatte für mich zur Folge, dass ich diese Art des Spielens einfach verinnerlicht habe. In jungen Jahren war das Klavier mein Hauptinstrument, aber es war ziemlich unpraktisch, die Keyboards überallhin mitzunehmen, und sie klangen damals – anders als heute – auch einfach nicht gut. Mit dem Gitarrespielen habe ich dann gewissermaßen aus Bequemlichkeit angefangen.“
Spätestens nach ´On Dark Horses´ und ´May Our Chambers Be Full´, ihrer letztjährigen Kollaboration mit den Sludge-Rockern Thou, spürte Rundle allerdings, dass es Zeit für neue klangliche Impulse war.
"Ich hatte den Punkt erreicht, an dem ich das meiste, was ich mit der Gitarre ausdrücken wollte, bereits gesagt hatte“, erklärt sie. „Ich hatte das Verlangen, mich wieder dem Klavier zuzuwenden, denn wie für meinen Dad ist es auch für mich ein Instrument, an das ich mich zum Improvisieren setzen kann, ohne darüber nachdenken zu müssen, während meine Herangehensweise an die Gitarre analytischer ist. Das Klavier ist wie meine Muttersprache für mich, es gibt da eine Verbindung, die mit Worten nicht zu beschreiben ist, und mich dem Instrument jetzt wieder zu widmen, hat gewissermaßen ein Zeitportal geöffnet."
So führte die Hinwendung zum Piano dazu, dass sich Rundle dieses Mal wieder stärker von der Musik inspirieren ließ, die sie als Teenager besonders geprägt hatte. „Ich habe das Gefühl, dass die Platte stark von Tori Amos beeinflusst worden ist“, sagt sie. „Ich habe sie damals einfach geliebt, ihr Klavierspiel und ihr Songwriting, und meine Beschäftigung mit dem Piano ließ all diese Erinnerungen an die Zeit zurückkommen, in der ich viel Klavier gespielt habe. Das war fast wie eine Zeitreise!"
Tori Amos ist allerdings nicht die einzige Heldin aus Rundles Jugend, die auf ´Engine Of Hell´ ihre Spuren hinterlassen hat. Der Song ´Citadel´ wurde durch ´Castle On A Cloud´ aus ´Les Miserables´ inspiriert, bei ´Razor´s Edge´ leuchten Smashing Pumpkins in der Ferne, und auch PJ Harveys ´White Chalk´ beeinflusste Rundle in ihrer Herangehensweise: „Ich liebe, was sie auf dem Album gemacht hat, und die Platte zu hören, hat mich in dem Glauben bestärkt, dass es okay ist, mich zu verändern, dass ich mich entwickeln darf, stimmlich und in der Art und Weise, wie ich das präsentiere, was ich als Künstlerin tue.“
Gerade in puncto Gesang ist die Veränderung unüberhörbar. Vom Zwang befreit, gegen eine laute Rockband ansingen zu müssen, setzt Rundle auf der neuen LP wieder viel öfter ihre Falsettstimme ein und unterstreicht auch damit die emotionale Seite der Lieder.
Der Wunsch nach einem musikalischen Selbstportrait, das ehrlich, echt und unvollkommen ist, ging Hand in Hand mit vielen Veränderungen in Rundles Privatleben. Die Texte der neuen Songs sind nicht zuletzt Resultat einer langen Sinnsuche und reinigenden Katharsis, die damit endete, dass Rundle ihrer Ehe den Rücken kehrte, Louisville verließ und viele tausend Meilen entfernt in Portland, Oregon – der Heimat ihrer Schwester und wichtigsten Bezugsperson –, allein einen Neuanfang wagte. Thema des neuen Albums sind allerdings weniger die Veränderungen an sich, sondern vielmehr der Weg dorthin, wenn sich Rundle mit einer Sammlung von Jugenderinnerungen über ihre eigene Bestimmung klarzuwerden versucht.
"Ich hatte den Wunsch, eine ehrliche Geschichte zu erzählen und meine Wahrheit zu enthüllen“, erklärt sie. „Gleichzeitig wollte ich sie aber auch so weit verschleiern, dass ich keine detaillierte Story erzähle, im Sinne von: Das ist passiert, diese Personen waren beteiligt und so habe ich mich gefühlt. Es ging eher um die Balance zwischen Enthüllung und Verschleierung. Die Songs handeln alle von sehr spezifischen Dingen, mit Ausnahme vielleicht von ´Return´, denn das ist eher existenzielle Poesie. Allerdings funktioniert das Gedächtnis nicht wie das Anschauen eines Filmes. Es geht eher um Symbolismus im Jung´schen Sinne. Du beziehst dich auf bestimmte Dinge aus der Vergangenheit, die Symbolwert erhalten, und setzt damit das Puzzle neu zusammen. Oft erschließt sich beim Lesen meiner Texte nicht, worum es wirklich geht, aber für mich ergibt alles Sinn!“
Mehr noch, der tiefe Blick in die eigene Seele hat dazu geführt, dass Rundle ihren weiteren Weg als Mensch und Musikerin jetzt viel deutlicher sieht, wie sie abschließend verrät.
„Ich weiß inzwischen mehr über meine eigenen Songwriting-Fähigkeiten und was meine Grenzen sind“, sagt sie. „Wenn ich mir das Album jetzt anhöre, stelle ich fest, dass sich meine Beziehung zu den Songs seit den Aufnahmen bereits verändert hat. Ich kann nun auf die Platte schauen und sehe, wer ich werde und wie die Jahre vor der Entstehung des Albums mich beeinflusst und geprägt haben. Diese Veränderungen manifestieren sich in der Musik, bevor sie mir selbst bewusst werden, das ist sehr spannend. Vielleicht werde ich in drei Jahren keinerlei Beziehung mehr zu diesen Liedern haben, aber wenn ich sie mir jetzt anhöre, sagen sie unglaublich viel aus über meinen Weg als Mensch und Musikerin.“
Aktuelles Album: Engine Of Hell (Sargent House / Cargo) VÖ 05.11.
Weitere Infos: www.emmaruthrundle.com Foto: Emma Wondra