Was die Menschen nicht alles anstellen, um sich inspirieren zu lassen. Julian Englisch, Gitarrist der Postcore-Band Alazka, liest einfach ein paar Seiten Harry Potter. Magie, die abfärbt. Die fünf Jungs aus Recklinghausen starteten 2012 noch als Burning Down Alaska und mit einer etwas anderen Besetzung. Jetzt zaubern sie mit ´Phoenix´ ein starkes Debütalbum, das Freunde des melodischen Hardcore einfach feiern müssen.
Fünf Jahre nach Bandgründung bringt ihr jetzt euer Debütalbum heraus. Inwieweit profitiert ihr davon, zuvor schon so viele Live-Shows gespielt zu haben? Ihr wart ja zum Beispiel auch bei der Impericon Never Say Die!-Tour dabei.Marvin Bruckwilder (Gitarre): “Die Konzerte haben uns auf jeden Fall geholfen, die Live-Tauglichkeit von bestimmten Songs und einzelnen Parts richtig einzuschätzen.”
Julian Englisch (Bass): “Außerdem konnten wir auf diese Weise bereits einige Leute von unserer Musik überzeugen. Die warten jetzt auf unser Album. Das ist ein tolles Gefühl. Da wir vor der Veröffentlichung schon so einiges erleben durften, kommt es einem nun gar nicht mehr wie ein Debüt vor.”
Ihr zwei seid auch für das Songwriting zuständig. Wie findet ihr Inspiration und Muße?
Julian: “Mir fallen die Dinge in ganz unterschiedlichen Momenten ein. Oft schnappe ich irgendwas auf, wenn ich einen Film gucke, ein Buch lese oder Musik höre: Ein Wort oder ein ganzer Satz, aus dem dann in meinem Kopf etwas völlig anderes entsteht. Entspannung hilft mir definitiv. Wenn ich einen Song mit Text füllen möchte, setze ich mich immer erst einmal hin und lese Harry Potter. Wirklich! Das hat sich bei mir irgendwann so eingespielt. Die andern lachen immer noch jedes Mal darüber. Doch für mich ist das eine Art Entspannungsritual.”
Wie man bei Postcore-Shows erlebt, trifft die Musik viele Menschen wirklich mitten ins Herz. Inwieweit seid ihr in eurer Persönlichkeit selbst offen für große Gefühle? Oder anders gesagt: Wie sensibel seid ihr?
Julian: “Ich persönlich finde, man sollte seine Gefühle nicht verstecken müssen. Leider ist es nicht immer einfach, das zu verhindern. Dinge stets runterzuschlucken, kann auf Dauer wirklich ungesund für die Psyche sein. Ich habe für mich die Möglichkeit gefunden, meine Gefühle durch die Texte auszudrücken, die ich für die Band schreibe. Auf diese Weise kann ich Emotionen verarbeiten.”
Marvin: “Ich bin schon ziemlich sensibel, gerade was Musik angeht. Ich höre persönlich auch viele „uplifting“ Songs aus dem Pop und Rock Bereich. Musik kann therapierend sein, aber genauso auch die schönen Momente im Leben begleiten.”
Kunst hat immer einen zeitgeschichtlichen Bezug. Was würden Menschen in 300 Jahren über die heutige Zeit sagen, wenn sie als Forschungsgrundlage lediglich die Songs der diversen Charts-Listen hätten, die heutzutage so gespielt werden?
Julian: “Ich glaube, die Leute würden schon ein ziemlich genaues Bild vom Leben in den frühen 2000ern bekommen. Es gibt mittlerweile so viele Künstler und somit noch mehr Lieder. Dadurch zeigen sich unglaublich viele Perspektiven auf das Leben, die in Songs festgehalten werden. Auf den ersten Blick wäre es sicher verwirrend, dass es Songs über Partys und Zufriedenheit gibt, während gleichzeitig extrem politisch motivierte Songs existieren. Die zeichnen ja ein sehr düsteres Bild von der Welt. Ich glaube, diese Gegensätze würden zunächst einmal viele Fragen aufwerfen.”
Marvin: “Ich kann mir vorstellen, dass sich Menschen in 300 Jahren aufgrund der ganzen Technik wundern würden, wie emotional und gefühlvoll die Menschheit mal war. Vor allem wenn sie sich die Songtexte aus unserer heutigen Zeit anschauen. Es ist ja aktuell schon traurig, zu sehen, wie abgestumpft und unpersönlich der Mensch sein kann. Allein schon durch all die Medien, die sozialen Netzwerke und digitalen Kommunikationsmöglichkeiten. Ich hoffe, ich liege damit falsch. Doch ich bezweifle, dass sich dies in den nächsten Jahrzenten ändern oder gar wieder zum Positiven wenden wird.”
Welche Themen sollten in der einen oder anderen Form heute in der Kunst angesprochen werden?
Julian: “Man sollte sicher weder gezwungen fühlen, etwas Bestimmtes in seiner Kunst zu behandeln, noch das Gefühl haben, etwas habe in der Kunst keinen Platz. Ich mag solche Vorgaben überhaupt nicht. Gerade die Freiheit macht die Kunst ja aus. Ein Thema, das ich persönlich allerdings sehr wichtig finde, sind Depressionen. Dieses Problem ist akut und wird trotzdem immer noch nicht mit dem nötigen Respekt behandelt. Menschen mit Depressionen werden leider zu oft belächelt oder nicht ernst genug genommen. Den Menschen muss klar werden, dass eine Depression ein medizinisches Problem ist wie jede andere Krankheit auch. Es ist ein Problem, das gravierende Folgen haben kann, wie auch bei den kürzlich verstorbenen Sängern Chris Cornell und Chester Bennington. Um das Problem zu thematisieren, habe ich auch „Empty Throne“ geschrieben. “
Wärt ihr nicht zur Musik gekommen, was würdet ihr jetzt machen?
Julian: “Ehrlich gesagt: Keine Ahnung. Ich habe die Band zu meinem Lebensmittelpunkt gemacht. Ich fahre fünf Tage die Woche morgens zu meinem Nebenjob in einer technischen Redaktion und danach setze ich mich an Sachen für die Band. So sieht mein Alltag aus, wenn wir nicht auf Tour sind.”
Marvin: “Für eine Ausbildung oder ein Studium bleiben ehrlich gesagt weder Nerven noch Zeit. Ich könnte mich ansonsten auch gar nicht vernünftig auf die Band konzentrieren. Die Band ist mein Plan A. Einen Plan B klemme ich mir, weil ich weiß, dass ich gar nichts anderes machen will.”
Aktuelles Album: Phoenix (Arising Empire / Nuclear Blast)
Foto: Lennart Kortmann