Julien Bracht und Markus Nikolaus sind Lea Porcelain, der helle Stern am Club-Himmel. Während viele über ihren Sound den Retro-Stab brechen, erschufen die beiden mit ihrem Alter Ego mit ihrem Debütalbum „Hymns To The Night“ eine auch klanglich neue Identität. Das ist einerseits forsch, andererseits aber auch einfach nur natürlich. Zeit, den beiden Herren ein paar Fragen zu stellen.
Lea Porcelain – das klingt nach einer edlen Dame aus einem noblen Pariser Vorort. Was oder wer hat euch bei der Namenswahl inspiriert?Julien: „Das ist eine sehr schöne Vorstellung. Und genau das war auch unser Gedanke. Wir wollten eine Person erschaffen, die den Namen Lea Porcelain trägt und unsere Musik verkörpert und ausstrahlt. Wer diese Person ist, ist jedem selbst überlassen. Für manche wird Sie eine edle Dame aus Paris sein, für andere ein Punkmädchen aus New York, das melancholisch, aber positiv durch die Strassen zieht und dabei das Gefühl von Sehnsucht erweckt.“
Euer Sound ist weltgewandt, stilsicher und dennoch sehr offenporig und breit – hat sich das in der Entstehungsphase ergeben oder hattet ihr genau solche Visionen, als ihr Lea Porcelain erschaffen habt?
Julien: „Erst mal vielen Dank für diese schöne Beschreibung. Ehrlich gesagt, wussten wir gar nicht, was auf uns zukommt, als wir in die erste Session gegangen sind. Ich weiß nur noch, dass ich ein Muster im Kopf hatte. Große Drums, große Atmosphären, Verzerrung und die großartige Stimme von Markus. Aber was dabei rauskam, hat mich selbst erst mal sehr überrascht und alle Vorstellungen übertroffen. Ich denke es gibt ein paar Momente im Leben, wo sich Dinge fügen, die zueinander gehören. Markus und ich haben vorher komplett andere Sachen gemacht und wir beide wussten nicht, was wir einmal zusammen machen könnten. Ich bin schon immer sehr kritisch was Sounds angeht und mag es nicht, wenn ich Gitarren Effekte oder Synth-Flächen höre, die ich schon in zehn anderen Songs gehört habe. Deswegen war immer mein Ansatz, frische Sounds zu machen, die man zeitlich nicht einkategorisieren kann und die einen überraschen und in eine andere Welt ziehen. Egal ob sie düster ist, traurig, hoffnungsvoll oder hell.“
Im Bezug auf die von euch genutzten Klangfarben fallen mir sofort The Human League und Joy Division ein – Helden eurer Kindheit? Wobei, hey, seid ihr für die nicht viel zu jung?
Julien: „Keine Helden unserer Kindheit und auch nie bewusst gehört, bevor wir Lea Porcelain gegründet haben. Als ich das erste mal von dem Joy Division-Vergleich gehört hatte und mir ein befreundeter Produzent (Roman Flügel) sagte, dass es ihn von der Mood her daran erinnert bei bestimmten Songs, bin ich erst mal nach Hause und habe mir das erste mal wirklich bewusst Joy Division angehört. Wir hatten also ehrlich gesagt diese Bands und dieses Genre nie im Sinn, aber dass es jetzt teilweise diesen Vibe hat, finden wir umso besser, denn er ist zeitlos und hat diese gewisse Ehrfurcht, die wir in Musik so sehr lieben. Ich denke, es war auch sehr wichtig für unsere Schaffensphase, dass wir keine konkreten Einflüsse hatten, die wir hätten kopieren können, denn Kopien sind fast immer schlechter als das Original. Ich denke wir haben 12 originelle Tracks erschaffen, die teilweise eine bestimmte Stimmung von anderen Musikepochen oder Künstlern einfängt, dies ist aber völlig unbewusst geschehen.“
Der geneigte Hörer mag ja hier und da ja stimmlich an den jungen Bono oder Ian Curtis erinnert werden. Was haben die Sangesknaben in den 80ern besser gemacht als viele Kollegen heute? Oder war es die stimmliche Identität, die diesen Herren zum Ruhm verholfen haben? In eurem Falle sehe ich das übrigens genau so – ich würde ich so weit gehen und behaupten, dass ihr nach Wolfsheim (also Peter Heppner) die erste Band aus dieser Richtung seid, die wirklich eine stimmliche Identität besitzt!
Markus: „Das ist immer eine energetische Sache, wie eine Band konstruiert ist. Ich will auch nicht sagen, dass diese Herren aus den 80ern authentischer waren als heute, das ist immer eine Erfindung der Zeit. Da spielt Synergie und Schicksal einen großen Anteil. Die stimmliche Identität von der du sprichst, muss überzeugen, in dem sie Charakter zeigt. Und das tut sie, wenn sie 1. “ehrlich ist” und 2. wenn sie “present ist”. Alles andere sind Lyrik und Ausdruck und auch ganz stark, Performance. Ein guter Performer zu sein, bedeutet jemand zu sein, dem ein Gefühl wichtiger ist als 'gewollte Richtigkeit' und der lieber etwas Leidenschaft zeigt, ob live oder auf Platte, anstatt angestrengt überzeugen zu wollen.“
Ihr nutzt im reichhaltigen Synth-Kosmos auch immer klassische Instrumentation wie Piano und Gitarre. Eine Art von „zurück zur Natur“ oder sind das eure „Schreibutensilien“?
Julien: „Ich wollte bewusst im ersten Schritt der Produktion fast immer alles ohne Gitarren klingen lassen, da wir nie eine Gitarren Band sein wollten und die Synths und Flächen im Vordergrund haben wollen. Wenn dann das Gerüst so stand, haben wir immer nach sehr prägnanten und interessanten Gitarrenlines gesucht, die es dann aus diesem Synth Sound noch mal rausgehoben hat und eine andere Welt aufgehen ließen.“
„Hymnen an die Nacht“ heißt euer Debütalbum übersetzt – ist das ein Plädoyer für das Leben in Nachtclubs, das ausschweifende Feiern, die besondere Stimmung, wenn das Licht dünn und die Luft heiß ist?
Julien: „Nein ganz und gar nicht, es ist viel mehr eine Hommage an die Nacht. Wir haben das ganze Album in der Nacht geschrieben, aber nicht weil wir das schwarze der Nacht und die Feiern lieben, sondern weil wir die Ruhe der Nacht so lieben. Jedes mal, wenn die Sonne untergeht und die Menschen aus ihren Jobs nach Hause in die geborgene Welt kommen, fühlen wir, dass wir jetzt als Künstler Platz haben um etwas zu schaffen, was diese Welt in einer gewissen Art und Weise zu einer besseren macht. Auch wenn wir nur eine Person mit dieser Musik beglücken und Motivation geben, etwas noch besseres aus deren Leben zu machen, haben wir einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Die Nacht gibt kreativen Seelen Platz, etwas zu kreieren und die Ruhe, die am Tag leider oft keinen Platz hat in dieser sehr hektischen und dichten Welt. Deswegen „Hymns To The Night“.“
Wenn ich an die Indie- und Wave-Discotheken der 1990er zurückdenke, in denen ich damals getanzt habe, glaube ich, dass ihr dort sicher den einen oder anderen Hit hättet landen können. Je nach aufgelegtem Song hat sich allerdings auch das Publikum auf der Tanzfläche immer geändert – wenn die rudernden Wave-Boys und -Girls dran waren, gingen die Punks an die Theke... Hat sich die Clubszene in den letzten Jahren verändert (im Sinne von mehr open-mindedness)? Welcher Szene fühlt ihr euch zugehörig?
Markus: „Wir sind gerne unsere eigene Szene. Szenen sind im Endeffekt auch nur ein Trend, der verfliegt. Was die Clubszene angeht, in der Julien und Ich uns ja auch anfangs getroffen haben, so denken wir, ist der Geschmack heute über mehrere Genres verteilt, d.h. auf jeden Fall 'Open Mindedness', aber man bleibt auch auf der Tanzfläche, wenn's Geschmackssache ist. Spätestens seit “Warm Leatherette” von 'The Normal' tanzen die Punks auch mit den Wavern zusammen. Und unsere Szene ist jetzt das Funkhaus. Das ist auch wild gemischt und da bilden sich keine Szenen, da ist jeder Familie.“
Euer Album ist durchzogen von einer Art positiven Melancholie (wahrscheinlich das, was mich am meisten fasziniert am Album) – denn so richtig hoffnungslos und traurig will es im Gesamtkontext zumindest auf mich nicht wirken. Seid ihr immer noch auf Licht am Ende des Tunnels gestoßen
Markus: „Wir würden einen Song nicht rausbringen, wenn da nicht irgendwo Licht am Ende des Tunnels wäre. Wir sind weder Schwarzseher noch Dauereuphoriker. Wir machen Musik, die dem Zuhörer Hoffnung geben soll. Unsere Botschaft ist es, ein Lebensgefühl und eine Inspiration zu vermitteln, auch wenn sie manchmal die düsteren Teile der Seele anspricht. Doch genau dort werden die wirklich wichtigen Entscheidungen getroffen.
Gibt es ein textliches Konzept auf dem Album? Sind es eher Geschichten, die das Leben schrieb oder Wünsche und Träume?
Markus: „Es sind Geschichten aus dem Leben, Auszüge, eigene Erfahrungen und immer das bestimme Gefühl einer ganz besonderen Stimmung, die uns im Leben beschäftigt. Dabei sind es oft intuitive Texte. Wir entscheiden nach Gefühl und sobald ein Text ein Bild im Kopf erzeugt und uns gefällt, dann fehlt da nichts. Beispiel: ”What do I care about your Bones or mine or anybodys Bones, I hold you eager on the sands” soll das Gefühl erwecken, dass man sein eigen Fleisch und Blut, seine Knochen nicht abschütteln kann. Hier geht es um Familie, ein Zuhause, eine Suche. “There's destruction in that romance” weist dann darauf hin, das Zuhause-Gefühl in einer Liebe gefunden zu haben, die genau dadurch zerstört zu werden scheint. Das jetzt nur als Beispiel, aber textlich zählen wir immer darauf, was ein Bild erzeugt, bei dem einen das Gefühl sticht. Und was genau dieses Gefühl ist, daraus entsteht dann der Song.“
Zum Abschluss: Was ist das Beste und was ist das Schlechteste an Lea Porcelain?
"Das Beste an Lea Porcelain ist die Musik und das Schlechteste ist, keine Antwort auf die letzte Interviewfrage zu haben."
Aktuelles Album: Hymns To The Night (Lea Porcelain Records / Kobalt)
Foto: Micki Rosi Richter