Bei manchen Bands kann man sich ja gar nicht so richtig sicher sein, ob sie überhaupt existieren. Wie zum Beispiel im Falle von Boss Hog, dem Projekt, dass Cristina Martinez und Jon Spencer dereinst als Follow-Up zu Pussy Galore ins Leben riefen und das im Folgenden durch eine eher erratische Laufbahn von sich reden machte. Ganze 17 Jahre gab es z. B. keine neuen Tonträger und nur gelegentlich fanden Boss Hog in der Zwischenzeit den Weg auf die Bühne. Dennoch machte Jon Spencer bei einem der ersten Live-Auftritt mit Material der nun endlich vorliegenden neuen Scheibe ´Brood X´ deutlich, dass es dabei keineswegs um ein Comeback ginge.
„Boss Hog ist ja nichts, das wir des Geldes wegen machen“, meint Cristina Martinez zu diesem Thema, „es ist etwas, was wir alle lieben – vor allen Dingen, zusammen zu spielen.“In der Tat ist es Cristina wichtig, den Band-Aspekt stets in den Vordergrund zu stellen.
„Ja, denn wir arbeiten immer alle gemeinsam an neuen Stücken. Das war auch bei Brood-Star so. Also Im Grunde genommen haben wir das gemacht, was wir immer machen – wir sind zusammen gekommen und haben Zeug gespielt, was wir gut fanden. Wir sind dabei ziemlich offen und nicht besonders bestimmt in dem was wir tun – obwohl wir das eigentlich versuchen. Wir haben aber jetzt die Fähigkeiten, die es uns auch ermöglichen, offener zu sein und Ideen aufblühen zu lassen.“
Was kontrollieren Boss Hog denn in diesem Prozess?
„Die Arrangements“, führt Cristina aus, „das ist deswegen wichtig, weil wir fünf Leute sind, die alle mit Vollgas performen. Da muss man dann schon aufpassen, dass genügend Struktur und genügend Raum für Details und Nuancen bleibt, die man auch wahrnehmen kann – denn ansonsten wäre alles ja wie eine einzige flache Linie.“
Das gilt bemerkenswerterweise auch für die Boss Hog Live Shows, die für eine solch kraftvolle Band erstaunlich viel Mut zur Lücke aufweisen.
„Ja, das ist immens wichtig, dass in jedem Song Bewegung und Variation vorhanden ist“, stimmt Cristina zu, „'Gott lebt in den Details', wie man sagt. Wir sind zwar eine laute Punkrock Band, ich hoffe aber, dass die Nuancen, die Feinheiten und die Schönheit unseres Krachs sich doch offenbaren.“
Was ist eigentlich das Thema, das sich hinter der Bezeichnung ´Brood X´ verbirgt?
„Dabei geht es um eine Zikaden-Art, die es bei uns gibt, die man anhand ihrer Brut-Generationen klassifiziert. Es geht um ´Brood X´, die 10. Generation dieser Zikaden-Art und wir nannten es deswegen so, weil wir – genau wie diese Zikaden – scheinbar nur alle 17 Jahre aus der Erde krabbeln, um eine neue Scheibe zu machen. Natürlich nicht öfter – aber in dem Fall war das ja nun mal eben so.“
Warum kommen denn Boss Hog gerade jetzt aus der Erde? Hat das vielleicht sogar mit der politischen Situation zu tun?
„Interessanterweise hatte die Sache, als wir schließlich fertig waren, eine ganz neue Bedeutung erhalten, die nicht da war, als wir mit der Arbeit an den neuen Stücken begannen“, überlegt Cristina, „die ersten Aufnahmen haben wir immerhin vor drei Jahren begonnen – noch vor Beginn des ganzen Wahlzyklus´, als wir alle noch fälschlich dachten, dass ein Verrückter niemals Präsident werden könnte. Das war damals nicht Teil des Prozesses – aber nachdem es nun mal alles so gekommen ist, wie es kam, hat das angesichts dieser Apokalypse alles eine ganz andere Gewichtung.“
Ein gutes Beispiel dafür ist der Song ´Elevator´, in dem Cristina eine Aufzugsfahrt als Metapher für ihre körperlichen Reaktionen auf Krisensituationen beschreibt.
„Korrekt“, bestätigt Cristina, „diese Metapher gilt aber nicht nur für meine persönlichen Empfindungen, sondern nun – durch die aktuelle Situation – auch für politische Zusammenhänge. Man könnte das Ganze ja auch so interpretieren: Schnallt euch an, Leute – es geht abwärts und wir sollten etwas dagegen tun und uns auf die Zukunft vorbereiten.“
Kurz gesagt: Es gibt auf ´Brood X´ die Boss Hog Vollbehandlung: Schöner, detailreicher Krach mit persönlichem Kern und möglicher politischer Aussage. Was will man mehr?
Aktuelles Album: Brood X (Bronzerat)
Foto: Angel Zayas