Berlins Anziehungskraft auf Kreative ist ungebrochen. Aus dem australischen Sydney ist die nächste Band in die Ex-Mauerstadt übergesiedelt. Und sie nennt sich nach dem, was sie tun. Nämlich vorübergehend oder dauerhaft, jedoch ohne Einbürgerung in einem anderen Land als dem ihrer Abstammung leben. Sie heißt folgerichtig Expatriate. Sänger Ben King, Schlagzeuger Chris Kollias, Keyboarder Damian Press und Bassist David Molland haben ein altes Loft zu ihrer Wohn- und Werkstatt gemacht. Zumindest für zwei der vier Bandmitglieder ist das Leben in der Fremde keine unbekannte Lebensgröße. Bereits in Australien wachsen sie in einem ihnen unbekannten Land auf. Ben King pendelte als Kind zwischen Indonesien und Australien. In Chris Kollias Adern fließt greichischer Wein.
Berlin ruftMusikalisch muss etwas dran sein, an der Band. Simple Minds-Chef Jim Kerr höchstpersönlich lädt Expatriate ein, die Australienshows zu begleiten. Nachdem sie Rock am Ring und Rock im Park spielten, verbringen sie den Tourherbst mit Placebo auf den europäischen Bühnen. Platten haben Expatriate in Australien auch ganz ordentlich verkauft und AC/DC können dort auch ganz prima leben. Da drängt sich doch die Frage auf, was kann eine Band von Berlin aus tun, was sie von Sydney aus nicht hätte tun können? „In Australien stößt man schnell an Grenzen“, liefert David Molland einen kleinen Strauss an Gründen, „dort leben mal eben nur 25 Millionen Einwohner. Und lediglich ein halbes Dutzend Großstädte gibt es. In Europa können wir locker innerhalb kürzester Zeit 20 Shows spielen. Zudem erhielten wir einen Vertrag in Europa.“
Dann ist da noch das berühmte Geldargument. Ben King weist darauf hin: “Das Leben ist in Berlin schlichtweg billiger als beispielsweise in London. Wenn du als junge Band von Australien aus Europa erobern willst, dann hast zusätzlich noch Zehntausende Euro an Flugkosten an der Hacke.“
Kaum, dass sie hier sind, weht Expatriate aber auch ein wenig der Gegenwind ins Gesicht. „Die Konkurrenz ist definitiv größer hier. Das spürt man schon“, weiß Chris Kollias. Damit aber können sie umgehen und wissen, was zu tun ist. „Wir touren deshalb auch sehr gern mit anderen Bands, weil es immer wichtig ist, von ihnen zu lernen“, hat David Molland nicht nur ein Rezept parat, „denen zuzuschauen bringt immer auch Energie für die eigenen Auftritte.“
Aber das allein hilft natürlich nicht, um der Konkurrenz letztendlich den Rang abzulaufen. „Du musst einfach verdammt überzeugende, mitreißende Stücke schreiben“, schiebt Damian Press nach.
Das ewige Debütalbum
„In The Midst Of This“, das Debüt-Album ist in Australien bereits 2007 erschienen und wird hier jetzt auch aufgelegt. Aufgenommen wurde die Platte in der alten Grungehaupstadt Seattle. Als Produzent legt John Goodmanson mit Hand an. Seine Visitenkarte hat er bereits bei Death Cab For Cutie, Blonde Redhead, Wu Tang Clan oder Hot Hot Heat abgegeben. Und doch führen diese Spuren musikalisch in die Irre. Einzig und allein die Rohheit weist in die richtige Richtung. Dabei ist roh bei Expatriate eher ungeschliffen, aber keineswegs brutal. Ansonsten kommen die Klänge eher sphärisch und aufgeschichtet flächig daher. Die Stücke sind episch und melodisch groß angelegt. Davon profitiert die leidenschaftliche und intensive Stimme David Mollands. Die Stücke erklingen in einer Perfektion, als hätten Expatriate sie nicht komponieren müssen. Als wären sie als Ganzes geschürft worden, wie dunkel funkelnde Edelsteine. Das Expatriate nun schon im drittem Jahr mit der gleichen Platte unterwegs sind, ist für die Band kein Problem.
„Wenn wir die Stücke einem neuen Publikum vorstellen, fühlt sich das so an an, als wenn wir ein neues Album veröffentlichen würden“, konstatiert David Molland, „das letzte Stück auf dem Album, „Are You Awake“, das haben wir zum Beispiel noch nie zweimal gleich gespielt.“
Berlin hat allerdings auch die Kreativität von Expatriate in einer Fülle zum Fließen gebracht, dass das zweite Album mehr oder weniger fertig bereits in der Schublade liegt.
Aktuelles Album: In The Midst Of This (Expatriate Music/PIAS)