Die Musik bezeichnet Johanna Amelie als den roten Faden in ihrem Leben, doch auch wenn das Musikmachen sie schon ihr ganzes Leben lang begleitet, ist die just erschienene EP ´Horizon´ für die in Berlin heimische Singer/Songwriterin, Musikerin und Produzentin doch eine Art Neuanfang. Mit den neuen Songs, die bei einer dreiwöchigen Artist-Residency in Paris entstanden sind, schlägt sie klanglich den Bogen von der analogen Handwerkskunst, die bei ihren früheren Veröffentlichungen oft im Mittelpunkt stand, zu sanften elektronischen Beats, die sie näher als je zuvor an den Pop-Zeitgeist heranrücken lassen.
"Das Musikmachen ist für mich heute eine Art Luxus, und ich freue mich immer wahnsinnig, wenn ich es schaffe, jeden Tag eine Stunde in mein Studio zu gehen, um zu üben oder zu komponieren", gesteht Johanna Amelie im WESTZEIT-Interview. Der Grund dafür ist denkbar einfach: Weil sie nun mehrere Verantwortungsbereiche jongliert – nicht zuletzt, weil sie inzwischen auch Mutter ist – hat sich die Rolle der Musik in ihrem Leben verändert. Gleichzeitig haben aber auch die post-pandemischen Umwälzungen in der Unterhaltungsindustrie, die es gerade kleineren Acts heute nicht leichter machen, dazu beigetragen, dass sie ihr Tun jetzt mit etwas anderen Augen sieht:"Zuvor war ich sehr darauf fokussiert, von der Musik 100% zu leben, deshalb war ich ja auch sehr viel auf Tour", erzählt sie. "Inzwischen hat sich das Ganze auch wirtschaftlich so verändert, dass es viel aufwändiger ist, da durchzukommen. Das hat dazu geführt, dass ich nach neuen Wegen suche, Musik zu machen: So, dass es mir damit gut geht und ich aber auch weiterkomme."
Auch deshalb hat sich Johanna nach einem Jahr Elternzeit in puncto Plattenfirma, Verlag und Booking neu aufgestellt. So erscheint die neue EP bei Listenrecords, dem Berliner Label, auf dem auch CATT, Charlotte Brandi oder Joy Bogat zu Hause waren oder sind.
"Ich habe Leute gewählt, die mich da abholen können, wo ich gerade stehe, die meine Absichten als Künstlerin verstehen und mich auch so lassen können, wie ich bin", sagt sie. "Das fühlt sich für mich tatsächlich an wie ein Neuanfang."
Wie der klingt, kann man nun auf der ´Horizon´-EP hören, mit der sich Johanna auch klanglich ein Stück weit von alten Mustern löst. Doch was macht für sie selbst den größten Unterschied aus zwischen den neuen Liedern und dem, was davor kam?
"Der wichtigste Unterschied ist sicherlich, dass ich die Songs dieses Mal allein geschrieben habe", sagt sie. "Bei der Platte davor habe ich ja sehr viel mit anderen Künstlerinnen und Künstlern zusammengearbeitet, und das war auch cool, aber in Paris war ich halt ganz allein, und ich habe mich gefragt: Wenn ich mich allein ausdrücke und Arrangements mache – wie soll das klingen? Das Ergebnis habe ich in dieser EP eingefangen."
Trotz vieler Veränderungen ist ´Horizon´ aber natürlich keine komplette Kehrtwende. Wenn Johanna in ihren Liedern Liebe, Trauer und Klimawandel in den Fokus rückt und bei einem Song – dem Christine & The Queens-Cover ´Comme si´ – auch auf Französisch singt, knüpft sie damit an die Vergangenheit an. Nachdem sie vor zwei Jahren in dem Song ´Earth Wanted Plastic She Didn’t Know How To Make It´ das Thema Umweltverschmutzung thematisiert hatte, kreist auf ´Horizon´ das wunderbar reduzierte ´Tide´ um die Gefahren des Klimawandels, während ´Greece´ in Tönen gegossene Trauerarbeit ist.
"Ich kann am besten über Sachen schreiben, die mich wirklich berühren und für mich ein Gefühl von Dringlichkeit und Wichtigkeit besitzen", erklärt sie. "Das kann Romantik oder Trauer sein, aber eben auch dieses: Hallo, die Welt geht gerade kaputt, und es ist nicht zu sehen, dass das Steuer herumgerissen wird."
Inspiration für ´Tide´ lieferte der Sci-Fi-Film ´Interstellar´, in dem die meterhohen Wellen des Wasserplaneten die Hoffnung der Menschen auf einen Schutzraum fernab der Erde verwüsten. Die bedrohlichen Wellen sind für Johanna eine Metapher für den Moment der Realisation, dass die Menschen ihren Lebensraum zerstören und das nicht rückgängig gemacht werden kann.
"Dieses Bild hat mich total geprägt", verrät sie. "Die Angst, die das in mir ausgelöst hat, habe ich in den Song gepackt, weil ich denke, dass es wichtig ist, darüber zu sprechen, denn das beschäftigt mich nach wie vor."
Doch nicht nur für Klima und Umwelt ist Johanna engagiert. Schon zu Beginn ihrer Karriere führte sie der Wunsch nach mehr Austausch mit anderen Musikerinnen zur Gründung des Visibility Breakfasts in Berlin und inzwischen ist sie auch für Music Women* Germany tätig, um sich für mehr Sichtbarkeit von FLINTA*-Acts einzusetzen. Doch das ist noch nicht alles. Inspiriert durch die Vernetzung mit anderen Musikerinnen und Musikern, die auch Eltern sind, plant sie, im kommenden Jahr gemeinsam mit ihrer Kollegin SOBI ein Projekt mit familienfreundlichen Auftritten aus der Taufe zu heben.
"Es geht darum, dass junge Eltern mit Babys natürlich nicht abends auf Konzerte gehen können. Wir wollen ermöglichen, dass auch diese Leute ausgehen und unsere Musik hören können", sagt Johanna über die Shows, die tagsüber, draußen und mit weniger Lautstärke als üblich stattfinden sollen. Damit sollen nicht zuletzt der wenig familienfreundlichen Musikbranche neue Möglichkeiten aufgezeigt werden, oder wie Johanna es selbst abschließend ausdrückt: "Wir wollen einfach ein bisschen die Strukturen sprengen!"
Aktuelle EP: Horizon (Listenrecords)
Weitere Infos: johannaamelie.com Foto: Steffi Rettinger