Lyschko sind eine Band, die man unmöglich überhören kann: Mit großer Dringlichkeit, einem gehörigen Schuss Theatralik und immer wieder auch mit memorablen Zeilen verhandelte das aus Solingen stammende Trio schon vor zwei Jahren auf seinem Debüt ´Brennen´ laut und kompromisslos Verwirrung, Isolation, Rausch und andere allgegenwärtige Themen des Hier und Jetzt. Jetzt erscheint das neue Album ´Niedergang II´, im November ist die Band zudem deutschlandweit auf Tour.
Lyschko schwimmen sich frei: Ihr just erschienenes neues Album ist Fortsetzung und Weiterentwicklung zugleich, eine Platte, mit der das aus Lina Holzrichter (Gesang, Gitarre), Jonah Holzrichter (Bass) und Lukas Korn (Gitarre) bestehende Trio seine Emotionen leidenschaftlich und ohne Furcht vor popmusikalischer Eingängigkeit dezent, aber raffiniert in neue Bahnen lenkt. Seit mehr als einem Jahrzehnt machen die drei nun schon gemeinsam Musik, und mit ´Niedergang II´ gelingt es ihnen nun nicht nur, aus dem Schatten von Seelenverwandten wie Drangsal (bei denen Lukas Bass spielt) und Mia Morgan (die auf der neuen Platte als Gast auftaucht) herauszutreten, sondern auch, ihren eigenen Klangkosmos zwischen poppigem Post-Punk, Wave und NNDW ein Stück weit neu zu definieren. Das ist nicht zuletzt einer veränderten Herangehensweise an die Songs geschuldet."Ich würde sagen, dass man auf jeden Fall merkt, dass wir angefangen haben, wirklich Lieder zu schreiben, und dass das theoretisch auch Songs sind, die man vielleicht auch mal runtergebrochen nur mit der Akustikgitarre spielen könnte", sagt Lukas im WESTZEIT-Interview über den Unterschied zwischen ´Brennen´ und ´Niedergang II´. "Viele Songs auf dem ersten Album sind durch Jammen im Proberaum entstanden, als wir angefangen haben, irgendwas drauflos zu spielen, bis sich dann irgendwann ein vages Konstrukt von einem Song entwickelt hat. Jetzt haben wir uns hingesetzt und Lieder geschrieben."
Das kann man auf ´Niedergang II´ auch hören, denn während der Erstling oft herrlich ungefiltert geklungen hatte, ist die Balance zwischen Frust und Reflexion auf dem erneut von Tobias Siebert (Klez.e, Juli, Phillip Boa) produzierten neuen Album merklich ausgeklügelter. Ein echter Masterplan steckt allerdings nicht dahinter, verrät Jonah:
"Wir haben uns kein Gesamtkonzept überlegt, aber wir haben insgesamt mehr über die Songs nachgedacht und mehr gegenseitig auf uns geachtet. Wir haben versucht, die Songs mehr als Ganzes zu sehen und nicht nur unsere eigenen Parts im Blick zu haben. Ich glaube aber, im Endeffekt funktionieren wir zu intuitiv, um im Vorhinein zu sagen: Das soll das Album werden, da soll es hingehen! Wir arbeiten eher aus dem Gefühl heraus, und am Ende fügen wir dann die Puzzlestücke zusammen."
"Es spielt vielleicht auch eine Rolle, dass das zweite Album in einem kürzeren Zeitraum entstanden ist“, fügt Lina hinzu. „Das erste war eher eine Sammlung, weil wir ja einfach superfrüh angefangen haben, Musik zu machen. Vielleicht wirkt das zweite Album mehr wie aus einem Guss, weil die Songs innerhalb von nur einem Jahr geschrieben worden sind."
Das ist aber nicht die einzige Veränderung. Beim Hören des neuen Albums wird schnell deutlich, dass Pop dieses Mal kein böses Wort für Lyschko ist, wenn sie auf den Spuren der Idole ihrer Kindheit ohne Scheu vor großen Gesten den Geist der alten Zeiten in die Gegenwart tragen, wenn The Cure, Juli oder Wir Sind Helden in der Ferne leuchten.
"Ich glaube, wir hatten ganz doll Bock auf Pop, als die Lieder entstanden sind, und wir haben uns auch bewusst wieder mehr damit auseinandergesetzt und haben dann mit diesem Vorsatz im Hinterkopf Songs geschrieben."
Dass die Songs dieses Mal nicht im Proberaum laut und rau und mit einem Schlagzeug im Rücken entstanden sind, hinterließ ebenfalls Spuren und eröffnete der Band ganz neue Möglichkeiten, sich klanglich auszubreiten.
Neu ist auch, dass ´Niedergang II´ deutlicher als zuvor eine gleichberechtigte Zusammenarbeit der drei war. Das gilt auch für die Texte zwischen Weltschmerz und Hoffnungsschimmer, mit denen Lyschko die eigene Verunsicherung in Worte fassen.
"Früher war es so: Lina hat den Text auf das Instrumental geschrieben, das Lukas und ich gemacht hatten, und dann wurde es auch meistens nicht weiter kommentiert. Lina hatte die Deutungshoheit, und dann war das fertig. Jetzt haben wir viel mehr über die Texte gesprochen", erinnert sich Jonah, und Lina ergänzt: "Wir haben dieses Mal Text und Musik beim Songwriting fast dieselbe Zeit eingeräumt und im Studio auch mal einen halben Tag zusammengesessen und überlegt: Sind das wirklich die Bilder, die das so transportieren, wie wir das wollen, oder ist das noch missverständlich? Das haben wir in der Form beim ersten Album gar nicht gemacht."
Trotzdem geht es der Band auch textlich am Ende eher darum, Gefühle greifbar zu machen, als eine Botschaft zu vermitteln.
"Ich glaube, das ist die Art, wie wir alle am besten funktionieren", sagt Jonah. "Wir schreiben auch die Texte aus dem Gefühl heraus. Wenn uns ein Thema nicht aus dem Kopf geht, wird höchstwahrscheinlich auch ein Song darüber geschrieben werden, aber das passiert ohne Vorsatz."
Bleibt zum Schluss natürlich noch die Frage, welche Hoffnungen, Wünsche und Träume Lyschko mit ´Niedergang II´ verbinden.
"Ich glaube, wir machen das jetzt schon so lange, dass die ganz großen Träume ein bisschen in den Hintergrund getreten sind", erklärt Jonah. „Die Erwartung, dass das Album der Mega-Mainstream-Erfolg wird, hat, glaube ich, niemand von uns. Durch die Erfahrungen, die wir gesammelt haben, und auch durch unseren kleinen, aber stetigen Wachstum als Band haben wir natürlich die Hoffnung, dass unsere Musik weiterhin gehört wird – vielleicht auch von ein paar mehr Leuten als beim letzten Album – und dass Leute etwas damit anfangen können und vielleicht davon berührt sind."
Aktuelles Album Niedergang II (My Favorite Chords / Broken Silence)
Weitere Infos: www.instagram.com/lyschkomusik Foto: Mia Morgan